Im Sommer ist am Neubau des Harlachinger Krankenhauses Richtfest gefeiert worden, hoch oben im vierten Stock auf der künftigen Außenterrasse der Palliativstation. Wie bei derlei Anlässen üblich, waren sämtliche Beteiligte von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bis zu Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in Festtagslaune - etwa zehn Kilometer weiter östlich dagegen war die Stimmung ungleich frostiger.
Denn viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geburtshilfe am Klinikum Neuperlach sehen den Neubau als Signal dafür, dass ihre Einrichtung schließen und nach Harlaching umziehen soll. Um dies abzuwenden, ist eine Gruppe von Hebammen, Kinderkrankenschwestern und Pflegerinnen bereits in mehreren Bezirksausschüssen vorstellig geworden, hat bei der Bürgerversammlung für Bogenhausen einen Antrag eingereicht und eine Petition gestartet, die bereits mehr als 10 000 Menschen unterstützen.
"Aus unserer Sicht ist es offensichtlich, dass die Verlegung der Geburtshilfe und Frauenheilkunde aus Neuperlach in den Neubau nach Harlaching bereits beschlossene Sache ist", sagt Sisko Stenzel, Hebamme am Klinikum Neuperlach. "Damit soll eine Abteilung geschlossen werden, die gut funktioniert und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist für eine hochprofessionelle Versorgung und Unterstützung rund um die Geburt."
"Krankenhäuser stoßen an Kapazitätsgrenzen"
Gerade in Zeiten steigender Geburtenzahlen und vor dem Hintergrund einer wachsenden Stadt sei dies der falsche Weg, sind Sisko Stenzel und ihre Mitstreiterinnen überzeugt. "Wenn man sich die Prognosen anschaut, wird vor allem der Münchner Osten stark wachsen. Und schon jetzt stoßen viele Münchner Krankenhäuser, insbesondere auch die geburtshilflichen Abteilungen, an ihre Kapazitätsgrenzen."
Der Protest gegen die drohende Schließung der Frauenklinik in Neuperlach ist die Neuauflage eines Streits, der schon vor vier Jahren hochkochte. Damals sah das Sanierungskonzept für die München Klinik - so heißt das städtische Klinikum mit seinen fünf Häusern in Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing sowie an der Thalkirchner Straße - aus wirtschaftlichen Gründen den Umzug der Neuperlacher Geburtshilfe nach Harlaching vor. Seitens der München Klinik wurde argumentiert, dass dort und in Schwabing die Geburtshilfe ausgebaut werden solle.
Zudem handle es sich bei diesen zwei Standorten um Level-1-Perinatalzentren mit einer Neugeborenen-Intensivstation - anders als in Neuperlach. Doch nicht zuletzt wegen der massiven Proteste und einer Petition mit 5700 Unterschriften beschloss der Stadtrat Ende 2018, die dortige Frauenklinik bis 2024 zu erhalten. Überdies sollte das Gesundheitsreferat die stadtweite Versorgungssituation in der Geburtshilfe ermitteln, damit der Stadtrat auf Basis dieser Zahlen über die Zukunft der Einrichtung in Neuperlach entscheiden kann.
Aus Sicht der Gruppe um Sisko Stenzel werden mit dem Neubau in Harlaching jedoch schon Fakten geschaffen, bevor die Ergebnisse dieser Evaluierung vorliegen. So sehen die Pläne dort sieben Kreißsäle für circa 4000 Geburten pro Jahr vor - mithin genauso viele, wie es 2021 in Harlaching (2528) und Neuperlach (1419) zusammen waren. Überdies berichtet Sisko Stenzel davon, dass im Klinikum Neuperlach bereits eine Koordinatorin vorstellig geworden sei, um über die künftige Ausgestaltung der Kreißsäle in Harlaching zu sprechen. "Für die München Klinik steht also schon fest, dass wir in den Neubau nach Harlaching umziehen sollen."
Die München Klinik aktualisiert ihr Medizinkonzept
Seitens der München Klinik heißt es zu den Plänen für den Neubau: "In München gibt es immer mehr junge Familien, deshalb wird ein entsprechender Ausbau um 1500 Geburten geplant." Aktuell kämen in den Geburtskliniken in Schwabing, Harlaching und Neuperlach mehr als 6000 Kinder zur Welt; nun wolle man die Kapazitäten vergrößern. "Die München Klinik erarbeitet derzeit ein aktualisiertes Medizinkonzept, das in einem nächsten Schritt mit der Landeshauptstadt München als Gesellschafterin abgestimmt wird", teilt die München Klinik mit.
Derweil kündigt das städtische Gesundheitsreferat an, dass die Evaluierung zur Versorgungssituation in der Geburtshilfe bis Ende März abgeschlossen sein wird. Dabei würden auch die Perspektiven der werdenden Eltern und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berücksichtigt, teilt ein Sprecher mit. Danach solle das Thema im dritten Quartal 2023 in den Stadtrat kommen.
Sisko Stenzel und die anderen Hebammen, Krankenschwestern und Kinderpflegerinnen aus Neuperlach fürchten jedoch, dass die Schließung ihrer Abteilung dann nur noch abgenickt wird. "Die Wege zum nächsten Kreißsaal werden deutlich länger, wenn unserer nicht mehr da ist", warnen sie in ihrer Petition. Und weiter: "Funktionierende Abteilungen sollten nicht wegrationalisiert, sondern unterstützt werden!"