Süddeutsche Zeitung

Hebammen in München:Kollaps im Kreißsaal

Lesezeit: 3 min

Von Inga Rahmsdorf

Die Nachfrage ist groß, die Zahl der Geburten in München steigt, die Kliniken suchen händeringend Geburtshelfer und die Bedeutung der Hebammen für die Vor- und Nachsorge rund um die Geburt nimmt zu. Trotzdem hat Maria Jacobi keine Perspektive mehr in ihrem Job gesehen. Zehn Jahre hat die Hebamme in einer Münchner Klinik gearbeitet - und schließlich gekündigt.

Nachdem Jacobi zwei Kinder bekommen hatte, arbeitete sie in Teilzeit weiter. Doch die Öffnungszeiten der Kita waren oft nicht mit ihrem Schichtdienst vereinbar. Zudem stieg die Belastung im Kreißsaal, für Jacobi war es unbefriedigend, zwischen mehreren gebärenden Frauen hin und her zu springen - mit dem Gefühl, keine von ihnen richtig zu betreuen. "Ich liebe meine Arbeit", sagt sie, "aber die Bezahlung stand in keinem Verhältnis zu der Anstrengung und Verantwortung. Und am Ende blieb kaum noch etwas übrig." Sie war zwar in der Klinik angestellt, wie viele Hebammen hat sie darüber hinaus aber noch eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Wenn etwas schiefgeht, können die Geburtshelfer für lebenslange Schäden in die Haftung genommen werden.

Die Arbeit wirft kaum Gewinn ab

Jacobi hat dann überlegt, freiberuflich zu arbeiten, hat sich beraten lassen. Doch auch da kam sie zu dem Schluss, in Teilzeit lohnt es sich kaum. Die hohe Haftpflichtversicherung für Geburtshelfer von mehr als 5000 und bald wohl mehr als 6000 Euro im Jahr, die Schwierigkeiten, die Arbeitszeiten zu planen. Zudem fehlten ihr Aufstiegschancen, sie wollte gerne weiterkommen. Von ihrem Beruf wollte sie sich aber dennoch nicht verabschieden, nun studiert sie Hebammenkunde in Köln und pendelt regelmäßig von München dorthin.

Die Akademisierung des Berufs könnte dazu beitragen, dass er mehr wertgeschätzt wird, sagt sie. Aber es müsse sich dringend auch etwas an den Arbeitsbedingungen ändern, fordert Jacobi, die auch Beauftragte beim Bayerischen Hebammen Landesverbands (HBLV) ist. Sie hat sich am Dienstag an einem Protest in München beteiligt, der auf die schwierige Situation der Hebammen aufmerksam machen wollte.

"Schwanger? Bitte hinten anstellen", mit diesem Spruch hatte der HBLV zu einer Aktion auf dem Rindermarkt und dem Odeonsplatz aufgerufen; etwa 50 Frauen kamen. Dabei war die Parole nicht nur im übertragenen Sinne gemeint, sondern entspricht der Erfahrung vieler schwangerer Frauen und junger Mütter in München. Laut den Ergebnissen einer Umfrage des Gesundheitsreferats (RGU) müssen sie durchschnittlich sieben bis acht Hebammen kontaktieren, bis sie eine finden, die freie Kapazitäten hat für die Betreuung vor und nach der Geburt.

Das einzige Geburtshaus in München hat eine lange Warteliste und ist von der Schließung bedroht, wenn es keine neuen Räume findet. Und selbst bei den Kliniken wird es zunehmend schwierig, sich für eine Geburt anmelden zu können, weil die Kreißsäle voll sind und das Personal überlastet ist. Laut Gesundheitsreferat müssen die sechs Münchner Geburtskliniken, die über ein Perinatalzentrum verfügen, also die höchste Versorgungsstufe, derzeit mehr Geburten betreuen, als in ihren Planungen vorgesehen sind. Bei einer Befragung durch das RGU haben zudem mehrere Kliniken angegeben, dass sie Hebammenstellen nicht besetzen können, weil es kaum noch Bewerbungen gibt.

Die Lage hat sich verschärft

Dass Münchner Kliniken schon schwangere Frauen abweisen müssen, hat vielfältige Gründe - von der schnell wachsenden Stadt bis hin zu fehlenden Räumlichkeiten. Ein entscheidendes Kriterium für die Versorgungslage aber ist und wird auch künftig sein, ob sich genug Hebammen ausbilden lassen und ob die ausgebildeten Geburtshelfer dann auch langfristig in ihrem Beruf arbeiten oder ihn irgendwann frustriert aufgeben.

"Die Hebammen sind oft am Rande dessen, was sie leisten können und wollen und was sie noch verantworten können", sagt Astrid Giesen, die Vorsitzende des HBLV. Gerade in großen Kliniken habe sich die Situation in den vergangenen Jahren verschärft, in München seien die Belastungen und die Anforderungen enorm gestiegen, der Personalschlüssel sei völlig veraltet, klagt Giesen. Das Problem ist vielschichtig. Wegen der seit Jahren ständig steigenden Beiträge für die Haftpflichtversicherung haben sich in den vergangenen Jahren viele Hebammen von ihrer originärsten Aufgabe, der Geburtshilfe, verabschiedet.

Die Zahl der sogenannten Schadensfälle ist zwar kleiner geworden, die zu zahlenden Summen sind aber stetig gestiegen. In Kommunen mit wenig Geburten ist es für freiberufliche Hebammen schwierig, ihre Existenz zu sichern, weil sie pro Geburt bezahlt werden. In München dagegen ist es oft attraktiver, freiberuflich zu arbeiten, weil die Bezahlung besser ist und man sich die Zeit besser einteilen kann. Doch dafür steigt die Belastung dort enorm an.

Eigentlich sollen Hebammen von Juli an einen finanziellen Ausgleich von den Krankenkassen für die gestiegenen Haftpflichtprämien erhalten, wenn sie diese nicht mit ihrer Arbeit abdecken. Das sei ein wichtiger Schritt, sagt Giesen, doch keine wirklich langfristige Lösung. Zudem ist derzeit unklar, ob und wann der finanzielle Zuschlag kommen wird, weil die Verhandlungen zwischen dem Deutschen Hebammenverband und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen gescheitert sind. Außerdem sind kaum noch Versicherungen bereit, Hebammen aufzunehmen.

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SZ vom 06.05.2015
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