Süddeutsche Zeitung

Hebammen am Existenzlimit:Es ist ein ... Versicherungsfall!

Ihr Job ist für viele die "Krönung der Arbeit". Dennoch betreut nur noch jede vierte Hebamme tatsächlich eine Geburt. Der Grund: explosiv gestiegene Haftpflichtbeiträge.

Susanne Klaiber

Julia quietscht vergnügt, Marie gluckst durch ihre Schnupfennase, während ihre Mütter über die Bäuche der Babys streichen. In der Schongauer Hebammenpraxis von Maria Weiß üben sie sich in Babymassage. Weiß kniet zwischen den Müttern und zeigt ihnen an einer Puppe, wie sie ihre Hände bewegen sollen - sanft, langsam, fließend.

Der Kurs ist in doppelter Hinsicht segensreich: Die Mütter lernen, wie sie bei ihren Kindern Bauchweh lindern oder den Lymphfluss anregen können. Und Weiß helfen die Kursgebühren dabei, ihre traditionelle Kernaufgabe als Hebamme weiter betreiben zu können: die Geburtshilfe.

Ohne diese Einnahmen sähe es für die 51-Jährige schlecht aus. Seit Juli zahlen freiberufliche Hebammen im Vergleich zum Vorjahr gleich 56 Prozent mehr für ihre Haftpflichtversicherung, um die Risiken bei der Geburtshilfe abzudecken. Das sind insgesamt 3689 Euro pro Jahr, die erst einmal erwirtschaftet sein wollen. Als Weiß vor gut 30 Jahren ihren Beruf erlernte, lag die Versicherungsprämie noch bei umgerechnet 31 Euro.

Der Grund für die stetigen Prämienerhöhungen ist auch für Weiß nachvollziehbar. Bleibt ein Kind durch Geburtsfehler behindert, lebt es heute dank des medizinischen Fortschritts länger als noch vor Jahren, und das verursacht Kosten: für die medizinische Versorgung, für die intensive Pflege und für die teuren Geräte, die das Leben der Betroffenen erleichtern. Hinzu kommt, dass die Sozialgerichte inzwischen in die Schadenssumme den mutmaßlichen späteren Verdienst des Kindes mitberechnen, der durch die Geburtsfehler wegfällt. Das alles treibt die Haftpflichtprämien nach oben.

Ausstieg aus der Geburtshilfe

Im Gegensatz dazu ist das Honorar der Hebammen aber kaum gestiegen. "Die Krankenkassen sagen uns, dass sie nicht dazu da sind, unsere Probleme bei der Haftpflichtversicherung aufzufangen", sagt Iris Edenhofer, die Vorsitzende des Bayerischen Hebammenverbandes. Für eine Geburt im Krankenhaus bekommen Hebammen laut Edenhofer 237 Euro. 548 Euro sind es für eine Geburt zu Hause oder in einem von Hebammen betriebenen Geburtshaus, wie jenen in München, Rosenheim oder Nannhofen.

Auch die Münchner Geburtshelferinnen stöhnen unter der hohen Versicherungsbelastung, ihnen geht es dennoch besser als den Kolleginnen in den eher ländlichen Gebieten. "Bei etwa 40 bis 50 Geburten pro Hebamme kann man sich ausrechnen, was wir in einem Beleg-Krankenhaus verdienen", sagt Edenhofer."Da bleibt oft nicht so viel, dass es eine 60-Stunden-Woche rechtfertigt", hat auch Maria Weiß feststellen müssen.

Viele ihrer Kolleginnen steigen deshalb aus der Geburtshilfe aus. Mittlerweile sind weniger als ein Viertel der freiberuflichen Hebammen neben der Vor- und Nachsorge auch noch bei der Geburt des Kindes mit dabei, wie der Deutsche Hebammenverband ermittelt hat.

Auch Weiß hat sich überlegt, ob sie die Geburtshilfe aufgibt. "Aber die Geburt ist für mich die Krönung der Arbeit", sagt sie. Also gibt sie noch mehr Kurse - Babyschwimmen oder Beckenbodentraining für werdende Mütter zum Beispiel -, um mit diesen Einnahmen die Versicherungsprämien zu finanzieren. Bislang hat sie ihre Haftpflichtversicherung nie in Anspruch nehmen müssen. "Aber das kann sich von einer Minute zur anderen ändern", sagt Weiß. Trotz aller modernen Technik auf den Geburtsstationen und trotz verbesserter Hebammenfortbildungen können Geburten plötzlich eine dramatische Wendung nehmen.

Der SZ liegt das Gedächtnisprotokoll einer Hebamme vor, es dokumentiert einen Kampf um Leben und Tod. Hier eine stark gekürzte Version: "7.50 Uhr: Das Kind hat ganz niedrige Herzschläge. 7.58Uhr: Sofortiger Ruf nach Facharzt. 8.10 Uhr: Medikamentöse Reanimation im Mutterleib, Herztöne erholen sich. 8.45 Uhr: Überlegungen, wie die Geburt schnellstmöglich beendet werden kann. 8.55 Uhr: Anlegen der Saugglocke. 9.06Uhr: Geburt eines schlaffen Neugeborenen - sofort zum Reanimationstisch gebracht, Wiederbelebung eingeleitet. 9.09 Uhr: Anästhesieabteilung trifft ein und übernimmt die Reanimation. Kind wird notfallmäßig wiederbelebt." Laut Edenhofer sind schwere Komplikationen die Ausnahme: Nur bei 70 bis 80 von bundesweit 700.000 Geburten im Jahr komme es zu Zwischenfällen. "Aber nicht alle führen zum Glück zu Großschäden."

Es sind auch nicht allein die hohen Versicherungsprämien, die den freiberuflichen Hebammen das Leben schwer machen. Im Gegensatz zu ihren im Krankenhaus angestellten Kolleginnen müssen sie eigene Praxisräume finanzieren, und bei Hausgeburten gilt ihre Aufmerksamkeit nur einer Gebärenden - in der Klinik hingegen ist eine Hebamme oft bei mehreren Geburten parallel im Einsatz. "Wenn eine junge Frau ihr erstes Kind bekommt, kann das bis zu zwölf Stunden dauern", berichtet Edenhofer. Finanziell rentabel ist das nicht. "Ohne den Verdienst meines Mannes wäre es nie gegangen", sagt Maria Weiß. Zu arbeiten würde sie aber nur dann aufhören, wenn es gesundheitlich nicht mehr ginge.

Sie liebt ihren Beruf eben - wie auch die zehn Hebammen im Rosenheimer Geburtshaus, bei denen die finanziellen Sorgen mit der jüngsten Beitragserhöhung derart wuchsen, dass sie ernsthaft ans Aufgeben dachten. Schon lange sei das Haus nur noch von der Euphorie der Hebammen getragen worden, sagt eine von ihnen. Der Enthusiasmus hat wieder gesiegt - das Geburtshaus bleibt nun doch bestehen. Aber auch weil Schwangere künftig selber 250 Euro für die Rufbereitschaft vor der Geburt zahlen müssen.

Ihren Kolleginnen, so betont die Verbandsvorsitzende Iris Edenhofer, gehe es nicht nur ums Geld - das habe die lange währende Zurückhaltung bei den Honorarverhandlungen bewiesen: "Natürlich wollen auch wir von unserer Arbeit leben können. Aber ebenso wollen wir, dass die Frauen weiterhin die Möglichkeit haben, sich den Geburtsort ihrer Kinder aussuchen zu können", sagt sie. Dafür wollen die Hebammen nun auf die Straße gehen: Am 30. September planen sie eine Mahnwache in Nürnberg.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2010/cosa/tob
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