Süddeutsche Zeitung

Haus der Kulturen und Religionen:Raus aus dem Elfenbeinturm

Bleibt das Haus der Kulturen und Religionen auf dem Gelände der Nazarethkirche in Bogenhausen? Während neben dem Standort auch die Finanzierung offen ist, beginnen die ersten kreativen Planungen.

Von Andrea Schlaier

Vor Lego-Steinen hat keiner Angst. Ein Haufen Klötzchen, Grundplatte, drei, vier Leute, Smartphone, um zwischendrin mal die Kamera draufzuhalten, und fertig: Eine Stunde später ist auf dem Grundriss der Nazarethkirche in Bogenhausen das "Haus der Kulturen und Religionen in München" auferstanden. Martin Rötting hat viel übrig für diese Art des kommunikativen Bauens: "Wenn man haptisch etwas anfasst, denkt man anders." Und Sportsgeist beim Denken braucht's, um die Idee eines künftigen interreligiösen Zentrums in München zu realisieren, in dem Angehörige möglichst vieler Glaubensrichtungen einander begegnen. Lego spielen ist eine Möglichkeit, die Rötting und der eigens für die Umsetzung der Vision gegründete Verein der Stadtgesellschaft anbieten, um sich planend einzuklinken.

Martin Rötting forscht als Professor an der Uni Salzburg zu interreligiösem Dialog und hat im Vorstand des Vereins Mit-Visionäre an seiner Seite: Gönül Yerli, stellvertretende Vorsitzende des Münchner Forums für Islam und Vizedirektorin der Islamischen Gemeinde Penzberg, sowie Rabbiner Steven Langnas mit seinem "Münchner Lehrhaus der Religionen". Seit einem Jahr arbeiten sie mit einem Team aus Ehrenamtlichen konkret am Traum eines Zentrums für Christen, Juden, Muslime, Buddhisten und andere Religionsgemeinschaften.

Das Konzept sieht mehrere Bausteine vor: ein "College of Interreligious Studies" in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Philosophie samt Wohnheim im künftigen Haus der Kulturen und Religionen und außerdem Erwachsenenbildung in Kooperation mit den interreligiösen Partnern vom "Münchner Lehrhaus der Religionen" und dem Verein "Freunde Abrahams". Auch kleine Religionsgruppen sollen einmal unter dem Dach Platz finden und ein Café, das als Ort für den Austausch "ganz wichtig" sei, sagt Rötting. Die Pilotphase läuft, seit der junge Verein zum Jahreswechsel 2020/2021 in die Nazarethkirche in Bogenhausen ziehen durfte. Die evangelische Landeskirche hatte das Haus angeboten, für das man ohnehin eine neue Zukunft sucht.

Ist eine evangelische Kirche der richtige Ort für ein interreligiöses Zentrum?

Soweit es in Pandemiezeiten eben geht, finden hier seither Veranstaltungen statt, Tafakkur - eine im Koran verankerte Form der Meditation gehört ebenso dazu wie Zen oder ein Multiplikatorenkongress zum Thema Antisemitismus. "Der erste große Schritt, der uns wirklich nach vorne gebracht hat", sagt Rötting, "waren Arbeiten des Masterstudiengangs Architektur an der Hochschule München." Für den Standort Nazarethkirche haben die Studierenden "recht kreative" Visionen entwickelt, die auch auf der Homepage des Vereins zu sehen sind unter www.hdkrm.org. Bis vor der Sommerpause wolle man entscheiden, ob die Zukunft des Hauses am Standort Bogenhausen liege und das Kirchengelände dafür gemietet werde, "das wäre dann Phase zwei. Phase drei wäre, es zu kaufen".

Was dagegen spricht? Dass das Grundstück zu weit weg ist vom Stadtzentrum, eine evangelische Kirche kein neutraler Ort ist und die Frage nach der Bausubstanz. In alle Richtungen fordere man Münchnerinnen und Münchner gerade auf, dem Verein ihre Meinung zuzurufen, auch was alternative Standorte angeht. Gleiches gelte für kleine Religionsgemeinschaften, die eine dauerhafte Bleibe suchten, Sakralräume, Meditationshallen und künftige Betreiber eines interkulturellen Cafés. Man befindet sich im Stadium der Feldforschung.

Sobald die einzelnen Bausteine definiert sind, soll eine Machbarkeitsstudie erstellt werden. Die wichtigste Frage: "Ist das ein Projekt, das den eigenen Betrieb stemmen kann?" Auch hier, das ist Rötting klar, hängt alles am Geld. "Ein Haus der Religionen hat nicht den einen großen Träger, der alles zahlt; wir sind darauf angewiesen, dass das nachher auch angenommen wird und nicht ein Projekt aus dem Elfenbeinturm ist, das keiner braucht." Die Finanzierung solle auf drei Beinen stehen: Crowdfunding, die Unterstützung der Öffentlichen Hand, "wir sind momentan mit allen Parteien des Stadtrats im Gespräch, auf die Verantwortlichen im Landtag wollen wir jetzt zugehen" - und ohne große Einzelspenden werde es auch nicht klappen.

Für die Studenten geht es bereits im Oktober los: Sie besuchen an der Hochschule für Philosophie den Modulstudiengang für "Interkulturelle Ethik" und werden Praktika in "verschiedenen Münchner Religionen" absolvieren, darunter Moschee-Gemeinden oder Pfarreien. Der Verein hat für den Start Räume in St. Bonifaz im Stadtzentrum gemietet. "Das College", sagt Rötting, "soll für die jungen Leute einerseits ein Lernort sein, andererseits das Haus der Religionen mit der Stadtgesellschaft vernetzen." Jetzt komme es darauf an, ob die sich auch vernetzen wolle. Eine Methode zur Meinungsfindung legt der Religionswissenschaftler den Münchnern dabei besonders ans Herz: ein Lego-Workshop - zu finden auf der Homepage des Vereins.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5555294
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dac
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.