Hasenbergl:Vorsorge im Viertel

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Berater sollen dort hin, wo die Menschen leben und lernen, etwa um über Ernährung aufzuklären, wie an der Schule an der Stuntzstraße 2018. (Foto: Florian Peljak)

Das Projekt "München - gesund vor Ort" soll Gesundheitsangebote entwickeln, die auf die Bevölkerung zugeschnitten sind. Für den Stadtbezirk gibt es nun erste Ergebnisse für ein Konzept, das auch auf andere Stadtteile übertragen wird

Von Jerzy Sobotta, Hasenbergl

Das Glücksrad konnte man im vergangenen Jahr immer wieder sehen. Wenn Christina Schub und Corinna Sokoll ihren Stand auf einem Stadtteilfest haben, dann gibt es immer etwas zu gewinnen, egal wie man es dreht. Meist ist es ein Apfel aus dem großen Flechtkorb. Am Glücksrad kommen die beiden Gesundheitsmanagerinnen mit den Leuten ins Gespräch, verteilen Fragebögen und horchen nach, woran es fehlt. "München - gesund vor Ort" heißt das von der Stadt und der Krankenkasse AOK finanzierte Projekt, durch das die Hasenbergler gesünder werden sollen.

Doch an diesem Morgen gibt es kein Glücksrad, keinen Apfel und auch keinen Flechtkorb. Die beiden haben ins Kulturzentrum 2411 zu einer Stadtteilkonferenz eingeladen, in der sie Bilanz ziehen über ihr erstes Jahr im Hasenbergl. Und sie geben Ausblick darauf, wie sie die "gesundheitliche Chancengleichheit" im Viertel in den kommenden drei Jahren verbessern wollen.

"Jugendliche, Frauen und Männer über 55, das sind die Menschen, um die wir uns im Hasenbergl besonders kümmern müssen", fasst Sokoll das Ergebnis der einjährigen Arbeit zusammen. Die Zielgruppen haben sie mithilfe von statistischen Bevölkerungsdaten und lokalen Experten aus dem Viertel ermittelt. Viele von ihnen sind auch zur Konferenz gekommen. Im Publikum sitzen rund 50 Mitarbeiter von Sozialeinrichtungen, Jugendzentren und Senioreneinrichtungen. "Hier gibt es schon sehr viele Angebote. Aber häufig wissen die Einrichtungen nichts voneinander und die Menschen finden sie nicht", sagt Schub. Gerade darin bestehe eine der zentralen Aufgaben des Projekts, das auf insgesamt vier Jahre angelegt ist.

Erste Pilotprojekte zeigen, wovon es in Zukunft mehr geben könnte: ein Bewegungstag für Hortkinder im Förderzentrum Nord, ein Gesundheitstag im Kulturzentrum 2411, drei Tage Kochkurs mit einer Ernährungsberaterin für Schüler der Erich-Kästner-Realschule oder ein Ernährungskurs für Auszubildende der Jungen Arbeit der Diakonie. Erste "Sofortmaßnahmen" seien das, die in Zukunft passgenauer für Einrichtungen angeboten werden sollen, sagt Schub. Wenn die richtigen Konzepte erst einmal entwickelt sind, dann seien sie auf andere Stadtteile übertragbar. Einen Erfolg soll von Sommer 2020 an eine Website bringen: der "Gesundheitswegweiser" mit besonderen Dienstleistungen. Dort kann nachschauen, wer beispielsweise für seine gehbehinderte Mutter einen griechischen Friseur finden will, der auch Hausbesuche macht. Oder eine Apotheke, in der man Arabisch spricht. Ältere Menschen ohne Internetanschluss sollen diese Informationen auch im Stadtviertel erfragen können, etwa in der Bibliothek oder dem Seniorencafé.

Dass Schub und Sokoll überhaupt mit ihrem Glücksrad durchs Hasenbergl fahren, hat mit dem Präventionsgesetz zu tun, das der Bundestag bereits vor mehr als vier Jahren verabschiedet hat. Gesundheitsförderung von Menschen in ungünstigen Lebensverhältnissen soll dort greifen, wo Menschen leben, lernen und arbeiten: in der Kita, der Schule, am Arbeitsplatz und im Pflegeheim. "Stärkung der Lebenswelt" hieß damals das Zauberwort, das durch das politische Berlin kursierte. Zwei Euro pro Versicherten müssen die Krankenkassen seither für solche Präventionsprojekte ausgeben - keine kleine Summe, bei rund 73 Millionen gesetzlich Versicherten. Wie und wo dieses Geld in München eingesetzt wird, soll bei "München - gesund vor Ort" entwickelt werden. Das Projekt gibt es neben Feldmoching-Hasenbergl auch in Moosach, Trudering-Riem und Ramersdorf-Perlach.

Im vergangenen Jahr habe man einige konkrete Probleme herausgefunden, sagt Renate Binder, die zuständige Projektleiterin beim städtischen Gesundheitsreferat. Zum Beispiel: "Vereine sind immer noch ein deutsches Ungetüm", sagt sie. Das passe nicht mehr zur migrantischen Mehrheit unter den Münchner Jugendlichen, die daher schlechteren Zugang zu Sportangeboten hätten. Im Hasenbergl fehlte es außerdem an Sexualaufklärung außerhalb der Schule. Andere Erkenntnisse sind wenig überraschend: Etwa dass es im Münchner Norden an Kinderärzten, Supermärkten und allgemein an Fahrdiensten für Senioren fehle. Bereits der örtliche Bezirksausschuss hatte nach einer Präsentation des Projekts moniert, dass vieles abstrakt bleibe. Und auch ein halbes Jahr später hat sich an dem Vortrag nicht allzu viel verändert. Eine Konferenzteilnehmerin resümiert: "Man muss das Rad nicht neu erfinden." Das gilt wohl auch dann, wenn es einen Apfel zu gewinnen gibt.

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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