Süddeutsche Zeitung

Stammtisch für Rentnerinnen:"Sonst würden wir alle daheim einzeln vorm Fernseher sitzen"

Lesezeit: 3 min

Der Mittagstisch im neuen Alten- und Servicezentrum im Hasenbergl ist für viele Senioren ein wichtiger Treffpunkt. Damit die älteren Gäste nicht nur unter sich bleiben, hat die Einrichtung ein Projekt mit Langzeitarbeitslosen gestartet.

Von Jonas Wagner

Am Tisch ist die Stimmung prächtig. Es wird diskutiert, palavert, gelacht. In der Mitte steht ein dunkles Metallschild mit der Aufschrift "Stammtisch". Soweit, so normal. Doch der Stammtisch trifft sich nicht in einem Münchner Wirtshaus - sondern in einem tageslichtdurchfluteten Raum mitten im Hasenbergl. Neues Holz statt rustikalem Inventar, Kaffee und Saftschorle statt Bier und Schnaps. Am Tisch sitzen ausschließlich Frauen. "Wir sind fast alle über 80", sagt eine. Die älteste von ihnen ist 96 Jahre alt. "Das ist unser Küken", wird sie vorgestellt.

Der Ort, an dem sich die Rentnerinnen-Runde trifft, ist das Alten- und Service-Zentrum (ASZ) Hasenbergl. Im Juli 2022 hat die Einrichtung der Diakonie Hasenbergl ein neues Gebäude am Stanigplatz bezogen. Leiterin Carla Singer führt durch die Räumlichkeiten, zeigt Konferenzzimmer, Büros, Räume für Mal- und Gymnastikkurse. "Wir haben hier 750 Quadratmeter Fläche", erklärt Singer. "Davor hatten wir 70".

Entsprechend beengt sei es früher im Senioren-Pavillon am Pfarrer-Steiner-Platz gewesen, mit 30 Gästen beim täglichen Mittagstisch "war das Ding bumsvoll". Diesen Mittagstisch bietet das ASZ auch am neuen Standort an. Zunächst seien etwas weniger Leute gekommen, "denn einige, die fußläufig beim Pavillon gewohnt haben, sind nicht mehr mobil genug, um die eine Station hierher mit dem Bus zu fahren". Doch inzwischen seien es regelmäßig wieder um die 30 Personen, so Singer. Nicht allen jedoch sei der Umzug leichtgefallen. "Einen alten Baum verpflanzt man halt nicht so gern."

Sich an den neuen Standort zu gewöhnen, das habe etwas gedauert, erzählen auch die Rentnerinnen am Stammtisch. Die meisten sind langjährige Mittagstisch-Gäste, sie haben sich hier kennengelernt. "Ich finde, das ist eine tolle Einrichtung, denn sonst würden wir alle daheim einzeln vorm Fernseher sitzen", sagt eine Seniorin. "Also, ich zumindest." Die Runde nickt zustimmend. "Wir haben keine Männer mehr zum Ärgern", ergänzt eine andere schmunzelnd. Also essen sie jeden Werktag im ASZ zu Mittag. An diesem Tag gibt es Gulaschsuppe mit Brot für 6,50 Euro. Der Standardpreis hier für ein Hauptgericht mit Getränk.

Doch nicht jeder kann sich das leisten. "Der Anteil an Senioren, die über das Budget des 'Sozialen Mittagstisches' finanziert werden, ist exorbitant gestiegen", erklärt ASZ-Leiterin Singer. Wer weniger als 1540 Euro Rente monatlich zur Verfügung hat, dem bezahlt die Stadt München das Mittagessen im ASZ. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres sei das im Schnitt etwa jeder fünfte Gast gewesen, so Singer. "Wir merken gerade heftig, dass durch die Inflation die Renten immer weniger reichen." Der Anteil an Senioren, die Anspruch auf die Finanzierung des Mittagessens haben, habe sich etwa verdoppelt, schätzt sie. Genaue Zahlen erhebt die Diakonie Hasenbergl erst seit einigen Monaten - seit das Budget für den Sozialen Mittagstisch nicht mehr ausreicht.

Um kurz nach 14 Uhr ist in der Cafeteria nicht mehr viel los. Die meisten der 56 Plätze sind leer. An einer Wand reihen sich Rollatoren aneinander, an einer anderen lehnt ein Regal mit Gesellschaftsspielen, Büchern und Zeitschriften. Dazwischen: helle Holzstühle und -tische, darauf lila Tischsets und frische Blumen. Neben einigen anderen Gästen sitzt auch die Stammtisch-Runde noch da. Denn nach dem Mittagstisch gibt es einen offenen Kaffee-Nachmittag.

Der sei früher selbst organisiert und "eher provisorisch" gewesen, erklärt Singer. Seit Anfang des Jahres ist das anders: Acht Beschäftigte kümmern sich um das gastronomische Nachmittagsangebot wie auch um den Mittagstisch. Das Besondere: Sie alle beziehen Arbeitslosengeld II, viele von ihnen waren jahrelang ohne Job. Die Arbeit in der Küche diene als Wiedereingliederung, erklärt Philipp Blümle, der als Einrichtungsleiter des Sozialen Betriebs "Pro. Hilfe durch Arbeit" für die Beschäftigten verantwortlich ist. Bis zu drei Jahre lang könnten die Personen in der ASZ-Küche arbeiten, für eine vom Jobcenter vorgegebene Aufwandsentschädigung von zwei Euro pro Stunde. "Das Ziel ist immer der reguläre Arbeitsmarkt", erklärt Blümle.

Auf dem Weg dorthin, so die Idee, sollen langzeitarbeitslose Menschen und Senioren voneinander profitieren. Bislang gehe das Konzept auf, finden Blümle und Singer. Dass die Senioren nicht nur mit anderen Senioren in Kontakt kommen, ist Singer besonders wichtig: "Die Altersgruppe ist zwar ab 60, aber wir wollen hier kein Altenheim sein", sagt sie. Auch deshalb gebe es die Kooperation mit den Langzeitarbeitslosen, und auch deshalb starte im Frühjahr ein Projekt, bei dem Rentner und junge Eltern mit Kindern im ASZ zusammenkommen sollen.

Auch Menschen mit Migrationsgeschichte will die Einrichtungsleiterin künftig besser erreichen. Bislang kämen nur wenige Personen mit Migrationshintergrund ins ASZ. "Wenn ich mir aber anschaue, wer tagsüber hier im Park sitzt, dann ist da noch viel Potenzial", findet Singer. Deshalb richtet sich das ASZ in diesem Jahr mit einem Bürgerbeteiligungsprozess vor allem an migrantische Communities im Münchner Norden. "Wir wollen klarmachen: Es ist völlig egal, was du glaubst und woher du kommst", erklärt Singer, "du bist hier immer willkommen."

Wie wichtig das ASZ für die Senioren im Hasenbergl ist, wird auch im Gespräch mit den Rentnerinnen am Stammtisch deutlich. Früher habe es im Hasenbergl ein Kino gegeben, Biergärten, Cafés, erzählen sie. Heute gebe es kaum noch etwas. Umso mehr freuen sich die Seniorinnen über die Angebote im ASZ. "Für mich ist das die zweite Heimat", sagt eine von ihnen. "Wobei, inzwischen fast schon die erste."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5770835
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.