Hasenbergl:Im Garten des Herrn

Ein Kunstprojekt in der Evangeliumskirche macht Betbänke zu Beetbänken

Von Jerzy Sobotta, Hasenbergl

Claudia Starkloff hält behutsam einen kleinen Grünliliensetzling zwischen den Fingerkuppen, als plötzlich ein beherztes C-Dur aus der Kirchenorgel ertönt. Die junge Frau, Erde an den Fingern, steht vor einem Tisch, auf dem sich leere Pflanzentöpfe auftürmen. Daneben steht eine Palette mit sechs großen Säcken voll Blumenerde. Seit Mitte Juli ähnelt der hintere Teil der Evangeliumskirche einem Gartencenter. Im hinteren Teil der Kirche, wo früher schwere Holzbänke in Richtung Altar gezeigt haben, hat Starkloff in mehreren Reihen Frühbeete aus Plexiglas aufgestellt - Beetbänke statt Betbänken. Darin schimmern blasse Halogenleuchten, die den Schatten der Pflanzen auf den Kirchenboden werfen und der Szene einen sakralen Glanz verleihen.

Beetbänke Betbänke

Das Festival wird im Herbst in mehreren evangelischen Kirchen stattfinden.

(Foto: Privat)

Das Kunstwerk ist interaktiv: Die Gemeindemitglieder sollen Samen, Setzlinge und Pflanzen aus ihren eigenen Gärten mitbringen und die Kästen befüllen. So soll mitten in der Kirche ein gemeinsamer Garten der Gemeinde entstehen, der über den Sommer wächst und gedeiht. Am 6. Oktober verwandelt er sich dann und geht in die zweite Phase des Kunstprojekts über. Zum Erntedank-Gottesdienst Anfang Oktober wandern die Pflanzen in einen Folientunnel, der wie ein Gewächshaus den Altar überspannen wird. Die Installation wird Teil der "Artionale", eines Kunstfestivals, das im Oktober evangelische Kirchen in ganz München zu Spielstätten für Neue Musik und Gegenwartskunst macht.

Beetbänke Betbänke

Seit Mitte Juli ähnelt der hintere Teil der Evangeliumskirche einem Gartencenter.

(Foto: Privat)

Immer wieder hebt Starkloff den Deckel eines Kastens an, fühlt, ob die Erde feucht genug ist. "Die Pflanzen wachsen. Manche sind schon zu groß für die Kästen", sagt sie und schaut auf eine Monstera, die aus einem geöffnetem Frühbeet schaut. Die vielen Grünlilien hat sie selbst mitgebracht. Aber den zarten Eichenkeimling, die Baumwollpflanzen und die Tomaten, die kommen von den Kirchgängern. "Mir war wichtig, dass der Garten erst in der Gemeinde Wurzeln schlägt, bevor er zum Ausstellungsgegenstand für die Kunstwelt wird", sagt die 32-jährige gelernte Holzbildhauerin. Jeden Donnerstag kommt sie in die Evangeliumskirche, gießt und topft Pflanzen um. Mittlerweile wissen auch die Gemeindemitglieder, dass sie da ist und kommen häufig zum Plaudern. "Auch das ist typisch Garten: Man führt Gartengespräche, die Leute öffnen sich", sagt Starkloff. Waltraut Nicolai nickt im Vorbeigehen. Die Dame hat gerade ein welkes Blatt aus einem Beet genommen. "Anfangs waren wir erstaunt. Was machen die Pflanzen in der Kirche?", sagt sie. "Aber jetzt, da schauen wir alle nach dem Rechten."

Be(e)tbänke Hasenbergl

Die Installation von Claudia Starkloff ist Teil des Kunstfestivals "Artionale".

(Foto: Privat)

Dass nun die Beetbänke in der Kirche stehen, verdankt sich nicht nur dem Wortwitz. Es war Januar, als Betina Meißner, die Kuratorin der Artionale, der Künstlerin zum ersten Mal die Kirche zeigte. Die Bänke in der Evangeliumskirche waren bereits abmontiert, denn der Kirchenraum soll verkleinert werden, um Platz für Gemeinschaftsräume zu schaffen. Die Bänke mussten für Statiker weichen, die mit einer Hebebühne die Decke untersucht haben. Gegen die klaffende Leere haben die Gemeindemitglieder notdürftig eine Sitzecke und einige Bücherregale aufgestellt. "Viele kommen schon seit vielen Jahrzehnten in die Kirche, sie haben Angst vor dem Umbau", berichtet die Künstlerin. Dazu passe das Motiv des Gartens, das stete Veränderung ausdrückt. "Im Garten kann man nichts festhalten. Alles vergeht." Zeitlichkeit und Vergänglichkeit, eingefasst in die zyklische Wiederkehr der Feste im Kirchenjahr.

Beetbänke Betbänke

Lichtspiele mit Grünlilien.

(Foto: Privat)

Diese Idee ist auch dem Organisten Simon Holzwarth nicht fremd. Er gesellt sich lächelnd dazu und spricht über das Kunstwerk, dessen Einweihung er vergangenen Monat an der Orgel begleitet hat: "Auch die Musik ähnelt einem Garten. Durch die Ordnung der Töne hindurch gedeiht und entwickelt sich das Motiv." Und der Ton, der aus der Orgel dringt, der verklinge. Man könne ihn unmöglich festhalten.

Es sei wichtig, dass die Installation in einer Kirche steht, sagt Claudia Starkloff. "Erst durch den veränderten Kontext tritt die Symbolik des Gartens hervor." Denn der Garten war nicht immer ein profaner Ort zum Entspannen. Die mittelalterlichen Pfarr- und Klostergärten waren von christlicher Symbolik durchzogen, dort entstand die Pflanzen- und Heilkunde. "Der Garten Eden, er ist ein Sehnsuchtsort für die Menschheit", sagt sie. Und man möchte hinzufügen, frei nach Voltaire: "Gut gesagt! Recht gut. Allein, wir müssen unsern Garten bestellen."

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