Süddeutsche Zeitung

Hasenbergl:Hundertwasser in Bröseln

Der Wiener Künstler kam selbst ins Viertel, um ein Mosaik für die rauen Mauern der Willy-Brandt-Gesamtschule zu entwerfen. Teile des daraus entstandenen Kunstwerks finden sich jetzt im Schutt des abgerissenen Gebäudes

Von Jerzy Sobotta, Hasenbergl

Fast täglich ist Georg Loy an der Willy-Brandt-Gesamtschule im südlichen Hasenbergl vorbeigefahren, meist mit dem Fahrrad. Ein unwirtlicher Bau, mit gewaltigen, brutalistisch anmutenden Betontürmen, die Schulkinder jahrzehntelang auf den Ernst des Lebens vorbereitet haben. Den einzigen optischen Trost hat ein buntes Mosaik gespendet, das verspielt, wie ein bunter Faden, rechts und links vom Eingang die Betonwände mit Knoten schmückte. Es war nicht irgendein Mosaik: Denn entworfen hat es der Wiener Maler und Architekt Friedensreich Hundertwasser.

Trotzdem wurde ein großer Teil dieses Mosaiks nun zerstört. Die Schule an der Freudstraße wird neu gebaut, und wo das alte Schulgebäude aus den Siebzigerjahren stand, befindet sich nur noch ein Feld aus Bauschutt und Eisendrähten. Nurmehr ein kleines Fragment des Mosaiks schaut traurig aus den Ruinen hervor: ein blau-gelbes Auge, das auf wundersame Weise den Abrissbagger überlebt hat.

Hundertwasser-Fan ist Georg Loy zwar nicht, aber über all die Jahre hat er doch so etwas wie eine emotionale Verbindung zu den bunten Kachelplatten aufgebaut, die den kalten Wänden trotzten. "Warum hat man es zerstört?", fragt Loy, der in der Nähe wohnt. "Der Münchner Norden ist doch ohnehin schon so arm an Kultur." Es habe ihn verwundert, dass ausgerechnet ein Werk, das mit einem so berühmten Künstler in Verbindung steht, so arglos den Baggern ausgeliefert wird. Denn von Hundertwasser gibt es in München nur einen einzigen Bau: Das Hoch-Wiesen-Haus im Westpark - einen menschengroßen Blumenkübel, der aussieht wie ein Haus.

Verwunderlich ist es umso mehr, als die Geschichte hinter dem Mosaik ähnlich rührend ist wie das Motiv: Eine Schülerin der Gesamtschule hatte 1988 Hundertwasser angeschrieben, um einen Tipp für die Verzierung des trostlosen Gebäudes zu bekommen. Doch statt eines freundlichen Briefes, kam der Künstler kurzerhand selbst für einen Tag nach München und entwarf das Mosaik gemeinsam mit den Schülern. Als vor vier Jahren klar war, dass das Gebäude abgerissen wird, setzten sich Bürger für den Erhalt des Mosaiks ein. Auch die Stadt kündigte damals an, dass sie Experten herbeiziehen und es in den neuen Schulbau integrieren wird.

Doch warum steht nun ausgerechnet das einprägsamste Fragment, das blau-gelbe Auge, im Schutt? Weil nur ein Teilstück gerettet worden sei, wie die Stadt auf SZ-Anfrage mitteilt. Man habe sich mit den Fachleuten für Kunst-Am-Bau (QUIVID) und dem Nachlassverwalter der Hundertwasserstiftung in Wien abgesprochen. Der habe entschieden, dass es sich lediglich "um eine durch Hundertwasser inspirierte reine Schülerarbeit" handelt - also nicht um sein eigenes Werk. Das bestätigt auch Andrea Fürst von der Stiftung.

Die Folge: Die Stadt hat das Mosaik von der Mayer'schen Hofkunstanstalt "dokumentieren" und vom Restaurator nur ein Teilstück sichern lassen. "Dieses soll im Neubau der Schule an einer besonderen Stelle wieder integriert werden, da das Kunstwerk für die Schule immer eine identitätsstiftende Bedeutung hatte", sagt ein Sprecher des städtischen Baureferats.

Wie ernst es um die Hundertwasser-Patenschaft gewesen ist, wird sich in drei Jahren zeigen. Dann soll der neue Schulbau stehen und es wird sich zeigen, welche besondere Stelle für die Mosaik-Hommage auserkoren wurde. Dass das prägnante Auge Teil davon wird, darf bezweifelt werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5423103
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.09.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.