Hasenbergl:Die verlorenen Hochzeiten

4425 Ehen wurden im Pandemie-Jahr 2020 in München geschlossen, die wenigsten konnten angemessen gefeiert werden. Mit Kunstaktionen im Hasenbergl will Ergül Cengiz diesen Verlust symbolisch verarbeiten

Von Katja Gerland, Hasenbergl

Noch trauen sich die Menschen, die an diesem Freitagabend auf den Parkplatz Mariä Sieben Schmerzen im Hasenbergl gekommen sind, nicht so richtig vor die Bühne. Vielleicht liegt es am laut tönenden Soundcheck der Unterbiberger Hofmusik, bei dem sich der Klang der Tuba mit dem der osmanischen Darbuka-Trommel mischt. Vielleicht sind es auch der weiße Tüll und die Girlanden, die den Parkplatz in ein ungewohntes Gewand hüllen. Doch dann tritt Ergül Cengiz auf die Bühne, schnappt sich das Mikrofon und lädt alle zum Tanzen und Feiern, auf Deutsch und auf Türkisch, denn das ist Teil des Konzepts von "geheiratet - ungefeiert".

Hasenbergl: Nachfeiern: Die Mischung aus orientalischen und bayerischen Klängen der "Unterbiberger Hofmusik" zieht anfangs etwas zaudernde Zuschauer im Hasenbergl vor die Bühne.

Nachfeiern: Die Mischung aus orientalischen und bayerischen Klängen der "Unterbiberger Hofmusik" zieht anfangs etwas zaudernde Zuschauer im Hasenbergl vor die Bühne.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Künstlerin hat das Projekt für den Wettbewerb "Kunst im öffentlichen Raum 2021" des Kulturreferats entworfen. Rund 90 Künstlerinnen und Künstler haben das Thema "Distanzen - Distances" interpretiert und in ein Kunstkonzept übersetzt. Die fünf Gewinnerprojekte werden nun Schritt für Schritt umgesetzt - darunter auch Ergül Cengiz' Idee. "Ich wollte etwas ansprechen, das alle Menschen und alle Nationen betrifft", erzählt Cengiz. So entschied sie sich dafür, die Geschichte der entfallenen Hochzeiten des vergangenen Jahres zu erzählen. In jeder Kultur schaffe die Hochzeit Nähe, indem zwei Familien zu einer würden. Corona habe diese Nähe zu Distanz werden lassen. "Das betrifft nicht nur den Deutschen, nur den Türken oder nur den Griechen. Das ist ein großer Verlust für viele, viele Menschen", sagt Cengiz. In ihrer Kunstaktion möchte sie diese verlorenen Hochzeiten symbolisch nachfeiern.

Hasenbergl: Die Icebreaker geben Ergül Cengiz und ihr Mann. Von der Künstlerin stammt die Idee zu der Kunstintervention.

Die Icebreaker geben Ergül Cengiz und ihr Mann. Von der Künstlerin stammt die Idee zu der Kunstintervention.

(Foto: Stephan Rumpf)

Deshalb ist der Parkplatz im Hasenbergl an diesem Freitagabend festlich dekoriert, die Unterbiberger Hofmusik spielt türkische, arabische und deutsche Volksmusik, während sich im Hintergrund Bilder von vergangenen Hochzeiten in einer Diashow abwechseln. Und über der Bühne prangt die Zahl 4425 in Form von silbrig glänzenden Helium-Luftballons. 4425 Ehen, das hat Cengiz zuvor beim Münchner Standesamt in Erfahrung gebracht, wurden 2020 in der Stadt geschlossen. Mit einigen der Paare habe sie vorab darüber gesprochen, wie es ist, seine Hochzeitsfeier an die Pandemie zu verlieren. Vor Ort ist aber keiner der frisch Vermählten zu finden - ganz bewusst, wie Cengiz erzählt. "Mir ist es wichtig, niemanden für meine Kunst zu instrumentalisieren", sagt die Künstlerin. Sie wolle lediglich einen offenen Raum dafür schaffen, den Verlust des vergangenen Jahres in einer symbolischen Hochzeit zu verarbeiten.

Hasenbergl: Bekir Çetinkaya begleitet die Band an der Bağlama.

Bekir Çetinkaya begleitet die Band an der Bağlama.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ganz bewusst ist auch der Ort des Kunstprojekts gewählt. "Kunst findet oft nur in der gleichen Blase statt", sagt Cengiz und spielt auf Konzepte an, die vor allem in der Münchner Innenstadt vor kunstinteressiertem Publikum umgesetzt werden. Mit ihrem Projekt im Hasenbergl möchte sie nun auch eine Gruppe ansprechen, die sich nur wenig mit Kunst beschäftige. Deshalb finden auch die kommenden zwei Kunstinterventionen, die Cengiz gemeinsam mit dem Kulturreferat unter dem Motto "geheiratet - ungefeiert" veranstaltet, im Hasenbergl statt: am Freitag, 16. Juli, am Goldschmiedplatz Blauer Punkt und am darauffolgenden Donnerstag, 22. Juli, am Festplatz Dülferanger. Jeweils von 18 Uhr an.

"Ich möchte damit auch einfach eine Offenheit bei allen Menschen schaffen", sagt Cengiz am Rande der Bühne, auf der gerade bayerische in orientalische Klänge übergehen. "Das Lied kennt in der Türkei wirklich jeder", freut sich die Künstlerin.

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