Hasenbergl:Airbag für die harten Fälle

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Auf einer Garagenwand an der Wintersteinstraße toben zwei Aliens: Sozialpädagogin Ulrike Stein findet diese Arbeit beispielhaft für das gute Miteinander im Hasenbergl. (Foto: Florian Peljak)

Ulrike Stein arbeitet als Sozialpädagogin im nördlichen Hasenbergl. Sie soll die Mieter der GWG unterstützen. Ihr Eindruck: Das Viertel ist stabil - allerdings nur, solange die sozialen Dienste so stark vertreten sind

Von Simon Schramm, Hasenbergl

Ulrike Stein bezeichnet ihre Rolle im Hasenbergl als "Airbag". Um das zu verstehen, sollte man nachschlagen, wie der Duden den Begriff erklärt: "Der Airbag ist ein Luftkissen im Auto, das sich bei einem Aufprall automatisch aufbläst, um die Insassen vor schweren Verletzungen zu schützen." Zwei Kriterien aus dieser Definition passen zu Ulrike Steins Beruf als Sozialpädagogin für die Mieter der GWG-Wohnungen im nördlichen Hasenbergl: die Automatik und der Schutz vor schweren Verletzungen.

Ulrike Stein kommt immer dann ins Spiel, wenn die Verwaltung der GWG nicht mehr weiterweiß und einem Bewohner das Schlimmste droht: die Entmietung, in den meisten Fällen wegen Mietschulden. Anstatt den Auszug zu veranlassen, sei es das Anliegen der GWG, die Mieter zu halten, sagt Stein. "Mietrecht ist Mietrecht. Aber ich sage immer: Wir müssen einen Weg finden." In diesem Jahr sei ihr das bisher gelungen, es habe noch keine Zwangsräumung gegeben.

Wann aber ist das Maß erreicht? "Wenn die Leute nicht zeigen, dass sie kooperieren wollen", sagt Stein. Im vergangenen Jahr räumte die GWG zwei Wohnungen im Hasenbergl, in einem Fall habe eine Frau ihre Wohnung aufgegeben und sei zu Verwandten gezogen, im anderen Fall habe ein Alkoholiker in einem Zeitraum von sechs Monaten nie auf den drohenden Rauswurf reagiert. "Wer ausziehen muss, kommt über ein städtisches System in Notunterkünfte", sagt Stein.

Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG setzt in allen sechs Vierteln, in denen sich ihre sozialen Wohnanlagen befinden, jeweils einen Sozialpädagogen ein. Sie sollen die Mieter der GWG bei Problemen unterstützen, mit Institutionen im Viertel netzwerken und auch einfach nur bei Nachbarschaftsstreitigkeiten vermitteln. Im Hasenbergl vermietet die GWG etwa 3300 Wohneinheiten.

Stein ist seit Oktober 2013 für die Wohnungen am Stadtrand verantwortlich. Die Entscheidung, im Hasenbergl zu arbeiten, traf Ulrike Stein bei einem Schnuppertag nach dem Vorstellungsgespräch für die Stelle. Stein begleitete ihren Vorgänger und ihr gefiel, wie positiv die Bewohner die Hilfe annahmen - obwohl der Sozialpädagoge ja schließlich den potenziellen Rauswurf verkörpert habe. Beeindruckt von den Hasenberglern ist sie immer noch.

Gemeinsam mit einer alleinerziehenden Mutter hatte Ulrike Stein deren Auszug abgewendet, die Mutter war danach motiviert, für ihr Kind eine Betreuung zu finden und einen neuen Beruf zu suchen. Ein Messie habe die Ordnung in seiner Wohnung wieder in den Griff bekommen, nachdem Stein mit ihm das Problem angegangen sei. Andererseits: Wie geht man um mit der täglichen Konfrontation mit sozialen Schicksalen? "Ich habe gelernt, mich abzugrenzen", sagt Stein. "Wenn ich nach Hause gehe, wird das Diensthandy abgeschaltet."

Ulrike Stein ist 35 Jahre alt. Eigentlich hat sich die Münchnerin lange mit Jugendlichen beschäftigt, als Streetworkerin in Ramersdorf und in einem Jugendzentrum in Taufkirchen. Für ihre heutige Arbeit hat Stein aus dieser Zeit mitgenommen, keine Scheu zu haben, auf Menschen zuzugehen - "egal wie sie aussehen, was sie reden oder machen".

Wenn ein Bewohner mit zwei Mieten im Rückstand ist, kommt die fristlose Kündigung. Findet er mit Ulrike Stein keine Lösung, und zeigt er auch keinen Willen, sie zu suchen, sei die GWG verpflichtet, ein Räumungsurteil zu beantragen, sagt Stein. Oft liege die Ursache für die Schulden bei einem Bruch in der Biografie, wie Arbeitslosigkeit, manchmal würden die Mieter auch falsche Prioritäten setzen und erst Urlaub oder Auto bezahlen; auch lebten einige Mieter eben in prekären Situationen und kämen darum mit der Zahlung nicht nach.

Ulrike Stein will mit den Mietern Deals entwickeln, etwa eine Ratenzahlung, oder sie schickt die Mieter zum Sozialbürgerhaus, damit sie Wohngeld beantragen. "Niemand will seine Wohnung verlieren", sagt sie. Eingesetzt wird Ulrike Stein auch als Mediatorin, etwa wenn Jugendliche zu laut Musik hören, und sie berät Senioren, vermittelt zum Beispiel Pflegedienste. Eine Einführung in das Viertel hat sich Ulrike Stein von ihrem Vorgänger nicht geben lassen. "Ich wollte das Hasenbergl selber neu kennenlernen", sagt sie. Zu Ohren gekommen war ihr da bereits so einiges, eher Gemunkel: Dem Hasenbergl hängt seit Jahren der Ruf an, ein Problemviertel zu sein. Welchen Eindruck hat Ulrike Stein, jetzt, wo sie so nah dran ist, über die Gegend?

Als Antwort auf diese Frage führt Ulrike Stein zu einer mit Graffiti bemalten Garagenwand an der Wintersteinstraße, auf der Fassade toben zwei Aliens. Im vergangenen Jahr hat Stein zusammen mit 40 Jugendlichen aus dem Viertel und professionellen Malern diese und weitere Wände bemalt. Das Projekt habe im Viertel großen Anklang gefunden, und auch Stein selbst imponiert. Die jungen Hasenbergler stammten aus vielen unterschiedlichen Ländern, alle hätten friedlich zusammengearbeitet, sagt sie. "Ich finde das Viertel schon stabil. Auch die Hausgemeinschaft funktioniert, alle leben miteinander. Und hier funktioniert Integration."

Sie begegne verschleierten Frauen, ebenso wie solchen in Hotpants. Würde man jedoch die vielen sozialen Dienste im Hasenbergl abbauen, dann verschlechtere sich auch die Situation, befürchtet die Sozialpädagogin.

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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