Harthof:Wohnzimmer für alle

Die Versöhnungskirche im Harthof gibt es seit 1957. Sie ist Anlaufstelle und Heimat für viele Menschen, egal woher sie kommen

Von . Nicole Graner, Harthof

Sein Blick ist gütig. Die großen Augen blicken auf die Menschen, als wolle er sie beschützen, sie mit seinem Wesen ganzheitlich umfangen. Die eine Hand segnet, die andere signalisiert, dass sein Leben auf der Erde zu Ende ist, er es in ganzer Demut in die Herzen der Gläubigen legt. Es ist ein Christus, der versöhnen, die Menschen zusammenbringen will - egal, ob sie glauben oder nicht; egal, von woher sie kommen. Die wunderbar schlichte Holzfigur am großen Kreuz ist genau die bildliche Umsetzung des Leitsatzes aus dem zweiten Korintherbrief, der der Kirche an der Hugo-Wolf-Straße 18 ihren Namen gibt: "Lasset euch versöhnen mit Gott" heißt es da. Und jener Satz steht dann auch in großen Buchstaben über der Eingangstür der Versöhnungskirche, die es nun seit 60 Jahren gibt und die so hübsch eingebettet liegt in dem Gebäudekomplex bestehend aus Pfarrhaus, Kindergarten und Gemeindezentrum.

Die Christusfigur des Künstlers Reinhold Fritz ist Mittelpunkt der kleinen Kirche. Wie auch der Altar. Zu beidem sind die Sitzbänke - auch an der Seite - ausgerichtet. Nichts Pompöses, kein Gold, keine Schnörkel - nur die drei roten Strahlen des Glasfensters leuchten auffällig, wenn die Sonne scheint. Wie ein kleines Wohnzimmer, in dem man sich trifft, verweilt, in Gedanken versunken der Welt entflieht oder betet, wirkt die von Architekt Franz Gürtner geplante Kirche, die 1957 eingeweiht wurde. Und genau diese Atmosphäre, die der Architekt ganz bewusst vermitteln wollte, ist es, die Pfarrer und Menschen der Gemeinde gleichermaßen fasziniert. "Mit hat diese Kirche von Anfang an so gut gefallen", sagt der 86-jährige Herbert Wiedemann, der mit seiner Frau seit 45 Jahren zur Gemeinde gehört. "Alles ist minimalistisch. Und immer wenn ich in der Kirche sitze, schaue ich nach oben und bewundere das Holzgebälk." Ein Wort fällt immer wieder, wenn langjährige Gemeindemitglieder über ihre Kirche sprechen: "Unser Zuhause." Und Pfarrerin Dorothee Hermann schwärmt von ihrem "dörflichen" Arbeitszimmer: "Die Kirche ist so ungewöhnlich klein und irgendwie ein Wohnzimmer." Eines, das die Menschen lieben.

60 Jahre Versöhnungskirche harthof

Von Anfang an gute Nachbarn: St. Gertrud (links) und die Versöhnungskirche.

(Foto: Privat)

Das Motto der Versöhnung zeigt sich in vielen Dingen und lässt sich in drei Worten zusammenfassen: glauben, leben, feiern. Und in einem wichtigen Aspekt, der die Kirche auch in Zukunft tragen soll: der Dienst am Nächsten. Es gibt die Kirchenküche, die Lese-Insel, in der leseschwache Kinder unterstützt werden, es gibt seit 36 Jahren die Heilpädagogische Tagesstätte. Ein Besuchsdienstkreis wünscht älteren Geburtstagskindern der Gemeinde alles Liebe und im Posaunenchor treffen sich viele Gemeindemitglieder. Junge und alte. Menschen eine Heimat zu geben, das sei, so erklärt Hermann, ein besonderer Wunsch. "Das Gefühl, hier kann ich ankommen, soll einfach spürbar werden." Viele, die hier ehrenamtlich tätig seien, sagt Hermann weiter, kämen nicht wegen der religiösen Ausrichtung, sondern, weil sie sich mit einer Gruppe in der Gemeinde identifizieren.

Vor 60 Jahren war die Versöhnungskirche auch eine Kirche für jene, die nach Flucht und Vertreibung in der Tat eine neue Heimat suchten. Das ist bis heute so geblieben. "Heimisch", sagt Christine Achberger (71), "das war ich von Anfang an hier". Seit 42 Jahren lebt sie und ihre Familie in der Gemeinde. Sieglinde Harnisch hat in der Kirche geheiratet und dann gefeiert: Im Gemeindezentrum und zusammen mit den Kindern des Kindergartens, die zufällig dazu kamen. Hermann vergleicht das Leben in der Gemeinde mit einer "offenen Schale". Eine, die immer gefüllt ist, weil so viele zusammen helfen - könnte man hinzufügen.

Harthof: In der Versöhnungskirche fühlen sich (v.l.n.r.) Christine Achberger, Pfarrerin Dorothee Hermann, Sieglinde Harnisch und Ilse Wiedemann sehr wohl.

In der Versöhnungskirche fühlen sich (v.l.n.r.) Christine Achberger, Pfarrerin Dorothee Hermann, Sieglinde Harnisch und Ilse Wiedemann sehr wohl.

(Foto: Catherina Hess)

Kinderlachen ist zu hören. Im Innenhof des Gemeindezentrums spielen die Kleinen des Kindergartens. Menschen grüßen Menschen vor der Kirche und in der Kirchenküche hört man ein leises Murmeln. Menschen sitzen gemeinsam zu Tisch. Menschen, die nicht viel Geld haben und froh sind über eine warme Mahlzeit. Versöhnung beginnt mit dem Miteinander - und genau das lebt die Gemeinde mit großer Kraft

Jubiläumsprogramm von Freitag, 30. Juni, an. Festgottesdienst Sonntag, 2. Juli, 10 Uhr. Infos: www.versoehnungskirche-muenchen.de.

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