Rechtsstreit in Harlaching:Zittern hinter der löchrigen Wand

Rechtsstreit in Harlaching: Abriss mit Folgen: Nun leben die Nachbarn seit Monaten mit einem Loch in der Wand.

Abriss mit Folgen: Nun leben die Nachbarn seit Monaten mit einem Loch in der Wand.

(Foto: Privat)

Eine Doppelhaushälfte wird abgerissen, die Mauer zum Nachbarhaus beschädigt. Der Bauherr stellt den Nachbarn Sicherungsmaßnahmen in Rechnung. Und er verbietet die Reparatur eines Lochs zu ihrem Wohnzimmer - trotz drohender Unbewohnbarkeit.

Von Julian Raff

Um fehlerhaft gezogene Grundstücksgrenzen und ihre Folgen dreht sich mancher Rechtsstreit. Im Fall der beim Abriss des angebauten Hauses schwer beschädigten Doppelhaushälfte an der Bezoldstraße 4 in Harlaching geht es aber um weit mehr als um Fallobst, Schneeräumung oder ein paar Quadratmeter Grundeigentum. Es geht um die Bewohnbarkeit eines Hauses und die Sicherheit seiner Bewohner sowie um die Frage, wie viel Rücksicht ein Eigentümer auf die Wand eines Nachbarhauses nehmen muss, die eher zufällig auf seinem Grund steht.

Vor knapp einem Jahr, Ende Juli 2021, waren die mit dem Abriss der südlichen Hälfte beauftragten Arbeiter dem verbleibenden Haus zu nahe gerückt, sodass die nun frei liegende, nur einschalig gebaute Kommunwand in bedrohliche Schieflage geriet. Der drohende Einsturz der Mauer ist inzwischen durch "Vernadelung" mit dutzenden Metallankern abgewendet, allerdings streiten die Nachbarn über die dabei entstandenen Kosten. Außerdem haben die Bautrupps am 18. Februar abends aus ungeklärtem Grund ein rund zehn Zentimeter breites Loch durch die Wand ins Wohnzimmer geschlagen, das seither nicht gegen die Witterung abgedichtet wurde. Wann der Bauherr, ein Immobilienunternehmer, der in Harlaching unter anderem durch ein großes Wohn- und Geschäftshaus an der Naupliastraße bekannt ist, die Schäden fachgerecht beseitigen lässt, ist unklar.

Im Oktober 2020 hatte er das südliche Grundstück samt leer stehender Doppelhaushälfte gekauft, um für sich und seine Familie zu bauen, wie er, damals noch zum Gespräch mit Namensnennung bereit, 2021 der SZ erklärte. Die Lokalbaukommission (LBK) genehmigte schließlich im Februar 2021 den Vorbescheidsantrag für einen Neubau. Wie eine Doppelhaushälfte wäre dieser zwar direkt ans nördliche Haus angebaut, überträfe dessen Dimensionen aber weit - sowohl in der Höhe, mit zwei Vollgeschossen plus ausgebautem Dach, als auch in der Breite. Eine massive, fensterlose Wand würde das Nachbargrundstück optisch abriegeln und verschatten. Die Nachbarn Margit und Wilhelm Schefels klagten gegen den positiven LBK-Bescheid. Zuvor hatten sie eine Kaufofferte des neuen Nachbarn abgelehnt, später auch dessen Angebot, während der Bauzeit ein Ersatzquartier bereit zu stellen. Ein Umzug, sagt Margit Schefels, komme für sie und ihren Mann mit 77 beziehungsweise 84 Jahren aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen nicht in Frage.

Rechtsstreit in Harlaching: Die Schäden sind unübersehbar.

Die Schäden sind unübersehbar.

(Foto: Stephan Rumpf)

Den Abrissschaden vom Juli 2021 tut der Nachbar als Panne ab, wie sie eben passieren könne. Zumindest war zu diesem Zeitpunkt wohl keinem der Beteiligten klar, wie fragil die Haushälften in den späten 1930er Jahren aneinander gebaut worden waren. Ebenfalls erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass die dünne Kommunwand jenseits der Grundstücksgrenze liegt, sei es aufgrund ungenauer Messung, oder weil die nördliche, etwas später gebaute Doppelhaushälfte mit nur drei Wänden errichtet wurde, obwohl schon die seinerzeitige Baugenehmigung eine doppelschalige Wand vorgeschrieben hatte. Die Schefels hätten so nach Auffassung ihres Anwalts Florian Wehner womöglich ein planwidrig gebautes Haus gekauft und nach dem Prinzip von Treu und Glauben nicht damit rechnen müssen, dass ein Teil davon auf Nachbargrund liegt. Wehner bezweifelt überdies, dass wirklich die komplette Wand dem Nachbarn gehört. Nachträgliche Verstärkungen im Dachbereich ragen seiner Ansicht nach wieder zurück über die Grundstücksgrenze, was die Mauer letztlich zum Gemeinschaftseigentum machen würde. Theoretisch wäre damit auch eine Strafanzeige möglich. Im Sinne einer pragmatischen Lösung will Anwalt Wehner allerdings bis auf Weiteres davon absehen.

Eine Abbruchstatik für derart kleine Gebäude hält der Bauherr, selbst Statiker, jedenfalls auch rückblickend für unnötig. Die Sicherung der Wand ist aus seiner Sicht kein Haftungsfall, schließlich gehöre die Wand ja ihm - sondern ein Entgegenkommen, das er dem Ehepaar Schefels inzwischen mit einem Betrag von 96 000 Euro inklusive Nebenkosten per Klage in Rechnung gestellt hat. Mit dem Hinweis auf die Grundstücksgrenze hat er den Schefels via Anwalt am 30. März auch untersagt, "irgendwelche Maßnahmen am Eigentum unseres Mandanten durchzuführen", sprich, das im Februar entstandene Loch zu schließen - ungeachtet drohender Unbewohnbarkeit im Herbst und Winter. Margit Schefels schließt inzwischen nicht mehr aus, dass es der Nachbar darauf anlegt, ihr Haus bis zur Unbewohnbarkeit zu beschädigen und so den Auszug von Amts wegen zu erzwingen. Bei einem zufälligen Treffen auf der Straße Ende Januar habe er jedenfalls damit gedroht, die Wand schlicht einzureißen und erklärt, im Konflikt sei, nach anfänglicher Rücksichtnahme, nun die "Büchse der Pandora" geöffnet.

Das Verwaltungsgericht sieht das Rücksichtnahmegebot verletzt

In Sachen Baurecht hat inzwischen das Verwaltungsgericht München zugunsten der Schefels entschieden: Ein Beschluss vom 5. April setzt die Baugenehmigung vorerst außer Kraft und stellt ein entsprechendes Urteil in Aussicht, da das Vorhaben mehrere "nachbarschützende Vorschriften" verletze. Vor allem verstoße es gegen das bei Doppelhausbebauung streng gefasste Rücksichtnahmegebot. Die Baufreiheit werde durch den Verzicht auf Grenzabstände "zugleich erweitert und beschränkt", so der Beschlusstext. Wer direkt ans Nachbarhaus anbaue, gewinne Wohnraum, müsse aber den "bisher durch das Doppelhaus gezogenen Rahmen" einhalten, da ansonsten "der Doppelhauscharakter entfällt". Anstelle eines "harmonischen Gesamtkörpers" sei hier aber ein Gebäude konzipiert, das den Nachbarbau zum Anhängsel degradiere, wie das Gericht anhand zahlreicher Details darlegt. Der Bauherr erklärt demgegenüber schriftlich, das Gericht habe in einer "vorläufigen Bewertung" lediglich "Bedenken" gegen eine an sich gültige Baugenehmigung geäußert. Man werde darauf mit einem angepassten Bauantrag eingehen. An den Dimensionen soll sich aber offenbar wenig ändern: "Wir haben uns für ein zeitgemäßes Haus, das dem Jahr 2022 entspricht, entschieden, dies verlangen allein schon die aktuellen Anschaffungs- und Herstellungskosten einer Immobilie", heißt es zur Begründung.

Die Schefels haben unterdessen wegen des Lochs in der Wand bereits einen kalten Winter hinter sich, können ein Gästezimmer im Obergeschoss nicht nutzen und fürchten, dass die innen rissige, außen ungeschützte Wand bei jedem Regenguss weiter beschädigt wird. "Seit über einem Jahr", sagt Margit Schefels, "werden wir unablässig von diesem Investor drangsaliert, der sich nicht eingestehen will, dass er sich verkalkuliert hat".

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