Hardcore:Kotz dein Herz auf die Tanzfläche

Hardcore: "Mit Metalcore und Hardcore macht keiner das große Geld", sagt Philipp Peters von der Band May the Tempest.

"Mit Metalcore und Hardcore macht keiner das große Geld", sagt Philipp Peters von der Band May the Tempest.

(Foto: Robert Haas)

Die Musik klingt aggressiv, viele Fans aber beruhigt sie: München hat eine große Szene für Hard- und Metalcore. Doch Zufluchtsorte gibt es für die Fans nur wenige.

Von Cathrin Schmiegel

Blitze tanzen über den Münchner Nachthimmel. Drinnen, im Konzertraum des Hansa 39, ist die Menge elektrisiert. In einem Radius von drei Metern werfen sich junge Männer und ein paar Frauen ineinander. Trennen sich im nächsten Augenblick. Der Schweiß tropft ihnen aus jeder Pore, durchnässt krause Bärte und sanften Flaum. Die schwarzen Band-T-Shirts, die sie tragen, sind klitschnass. Sum 41 steht darauf, Parkway Drive und Silverstein. Die Band aus Baltimore spielt an diesem Abend. Von der Bühne brüllt ihr Sänger Shane Told gegen den Donner an.

Silverstein bringen den Post-Hardcore nach München, verbinden cleanen Gesang aus Punk mit rasselnden Shouts. Das Konzert ist ausverkauft, die Band hat mit den beiden Vorgruppen knapp 500 Menschen angelockt. Veranstaltungsorte wie das Hansa 39 sind Zufluchtsstätten für die, die Musik fernab des Mainstreams lieben: Hardcore, schnörkellos und wenig zimperlich.

Was macht München

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Am Rand der Bühne steht Antun-Lukas Hoesch, 20 Jahre alt, Brille, Vollbart, Haar gestutzt, Tattoos an Armen und Beinen. "Man sieht fast immer dieselben Leute, kommt ins Gespräch", sagt er mit einem bübischen Lächeln. "Viele sind Bekannte, man ist auf Facebook befreundet, und grüßt sich, wenn man sich sieht." Antun mag das Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören. Er singt selbst in einer Band, die Metalcore spielt und Towers & Bridges heißt. An diesem Abend arbeitet Antun hier als Sicherheitsmann.

Zwei Tage später trifft sich ein Teil der Szene im Backstage Club. Dort dringen treibende Gitarrenklänge aus der Anlage. Scheinwerfer tauchen alles in diffuses rotes Licht. Menschen mit Bierflaschen stehen in schummrigen Ecken, die Tanzfläche ist um Mitternacht fast leer.

Ein sehniger Mann dreht sich und tritt in die Luft, als wäre sie ihm im Weg. Nur wenn seine Füße den Boden berühren, scannt er den Raum, merkt: Es ist keiner da, den er versehentlich treffen kann. "Violent Dancing" heißt der Tanzstil, der im Hardcore entstanden ist.

Toni Maasberg, 24, hat ihn verinnerlicht: "Ich bin jeden Samstag hier und kotze mein Herz auf die Tanzfläche", sagt er. Er macht eine Pause vor der Tür und raucht eine Zigarette. Er spricht sanft, aber schnell. Nur drei Mal hat er das "Freak Out" in diesem Jahr verpasst. Seit 20 Jahren wächst auf dieser Partyreihe die alternative Münchner Szene heran. In dem "Laden", wie Toni das Backstage nennt. Hier ist auch er tiefer in die Szene eingetaucht.

Hardcore ist für Toni ein "Zusammenhaltsding" - etwas, bei dem jedem egal ist, wer was anhat, wer raucht und trinkt. Solange niemand einen anderen verletzt. "In der Musikrichtung", sagt er "triffst du die Extreme - du triffst die Asozialsten und die Nettesten". Er hält kurz inne und wirft die Kippe auf den Boden. Dann sagt er: "Wenn du deine Aggressionen mit der Musik rauslässt, bist du insgesamt ausgeglichener."

In einem alten Schiffscontainer steht Philipp Peters in seinen Nike Airs auf einer Box. Wirft der 26-Jährige den Schopf in den Nacken, kommt sein Kopf der Decke gefährlich nah. Mit dem Mikrofon presst er seinen Vollbart platt. Immer dann, wenn er sehr lange schreit. Philipp ist Shouter bei der Metalcore-Band May The Tempest. Man könnte meinen, sie würden gerade vor Publikum spielen.

Aber es ist Dienstagabend: Die Band probt ihre acht Stücke. Der Boden des Containers bebt bei jedem einzelnen Ton. An den Wänden hängt Schaumstoff in dreckigem Gelb und Grau. Nur manche Stellen wurden ausgespart: für Steckdosen, die Tür und ein kleines Fenster, aus dem kein Ton nach draußen dringt und kein Sauerstoff herein.

Die fünf jungen Männer spielen das Set zu Ende, unerbittlich und mit geröteten Gesichtern. 45 Minuten brauchen sie für alle Titel. Darunter schon welche von der nächsten EP, an der sie gerade feilen.

Philipp organisiert auch das Festival Munich Meltdown, das vor kurzem in Berg am Laim stattgefunden hat. Zehn Metalcore-Bands waren dabei, viele von ihnen kennt Philipp persönlich. In München und 100 Kilometer um die Stadt herum laden sich die Musiker immer wieder gegenseitig zu Konzerten ein.

"Die Stadt ist eben ein bisschen zu sehr Mainstream"

Seit ein paar Jahren veranstaltet Philipp eigene Events, erst Partys in der Nachtgalerie, dann Live-Musik, immer auf eigenes Risiko. "Mit Metalcore und Hardcore macht keiner das große Geld", erzählt er. Seine an den Seiten kurzrasierten Haare sind klatschnass. Die anderen vier sitzen auf Campingstühlen um ihn herum, nicken, trinken einen Schluck.

Rosi Buchner, Konzertpromoterin von Target Concerts, weiß, wie schwer es für unbekanntere Bands ist, Veranstaltungsorte zu finden. Seit 1989 organisiert sie Auftritte, holte Musiker wie Green Day in einen Landgasthof. 150 Leute kamen. Als der Hardcore in den Neunzigerjahren auch in München seinen Höhepunkt erlebt, ist die Szene klein. "Hardcore war schon immer undergroundig", sagt sie, "aber er ist ein Überlebenskünstler".

Noch heute existiert die Musik in ihren verschiedenen Richtungen, im Sommer auf Festivals zum Beispiel, sonst in Jugendzentren und Bandräumen, im Backstage oder im Feierwerk. "Wenn man breit aufgestellt ist und die ganzen verschiedenen Richtungen miteinbezieht", sagt Buchner, "gibt es in München viele Konzerte".

Es spielen hauptsächlich große Bands. Viele von ihnen kommen nicht aus Deutschland, Silverstein etwa. Nur mit Münchnern kann Buchner keine Konzerthallen füllen. "Die Stadt ist eben ein bisschen zu sehr Mainstream."

Im Hansa 39 gibt Silverstein um kurz vor 24 Uhr eine Zugabe: "My Heroin", einer ihrer bekanntesten Titel. Ein Junge wirft sich von der Bühne, wird von nassen Händen aufgefangen. An diesem Abend ist es friedlich geblieben. Nur einer, um die 40, wird an den Armen von zwei Männern hinausgetragen: Das Pappbecher-Bier ist ihm nicht bekommen. Antun bleibt noch bis nach Mitternacht da. "Die Musik klingt aggressiv. Manche behaupten, die Leute wären es auch", sagt er und zuckt mit den breiten Schultern. "Mich beruhigt die Musik."

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