Start-up für elektrische ZahnbürstenKann Zähneputzen Spaß machen?

Lesezeit: 5 Min.

Florian Kiener (links) und Stefan Walter haben 2016 gemeinsam Happybrush gegründet, ein Start-up für elektrische Zahnbürsten und Mundpflege.
Florian Kiener (links) und Stefan Walter haben 2016 gemeinsam Happybrush gegründet, ein Start-up für elektrische Zahnbürsten und Mundpflege. (Foto: Robert Haas)

Retro-Putzer mit Ästhetik und Nachhaltigkeit überzeugen: Wie zwei Münchner auf die Idee kamen, ausgerechnet die Zahnbürste neu zu erfinden.

Von Catherine Hoffmann

Es ist fast so ein Großraumbüro, wie man es von Start-ups kennt: Nebenan klackert die Tastatur, im Konferenzraum streckt sich eine Monstera nach dem Licht, an einer schwarzen Wand kleben in Reih und Glied Mitarbeiterporträts neben den „Values“ und der „Vision“. Wären hier nicht überall Zahnbürsten: Eine titanische fürs Fotoshooting, Displays mit den neuesten Modellen und Zahnpasten. Eine Fototapete weckt den Eindruck, man stünde im Drogeriemarkt vor dem Regal mit Elmex, Sensodyne und all dem anderen Kram für saubere Zähne, den es mittlerweile gibt. Und angesichts dessen man nicht unbedingt auf die Idee kommen könnte, dass da noch Platz für was Neues ist. Aber Florian Kiener und Stefan Walter schon.

Immer mehr Gadgets gehören zur Alltagsausrüstung der Menschen. Ihre Zähne putzen viele aber noch immer analog mit Handbürste, obwohl es längst elektrische Modelle gibt, die diese Aufgabe zuverlässig erledigen. Die Retro-Putzer gehören zur Zielgruppe von Happybrush, einem Münchner Start-up, das sich der zeitgemäßen Mundpflege verschrieben hat und mit seinen ebenso elektrischen wie nachhaltigen Zahnbürsten die Marktführer Oral-B und Philips angreift.

Kiener und Walter haben 2016 Happybrush gegründet, rund 250 Jahre, nachdem die ersten modernen Zahnbürsten in Europa massenhaft produziert wurden. Die Modelle damals waren rustikal, Griffe aus Holz, Borsten aus Pferde-, Schweine- oder Dachshaar. Heute füllen bunt verpackte Zahnbürsten und -pasten, Mundspülungen, Zahnseide, Interdental- und Kinderbürsten aus Kunststoff und in Plastik verpackt etliche Regalmeter im Drogeriemarkt. Geschätzter Jahresumsatz: knapp zwei Milliarden Euro, allein in Deutschland. Wie kommt man also auf die Idee, ausgerechnet die Zahnbürste neu erfinden zu wollen?

„Ich bin quasi in der Zahnarztpraxis aufgewachsen“, sagt Walter, der in Mainz geboren ist. „Mein Vater ist Zahnarzt; das hat mich geprägt.“ Dazu sei eine Leidenschaft fürs Gestalten gekommen. Walter schreibt Musik, interessiert sich für Architektur, lernt Designprogramme. „Ich wusste früh, dass ich später einmal Produkte entwickeln möchte“, sagt er. Das BWL-Studium ist für ihn ein Vehikel, um das Ziel zu erreichen. Nach der Universität fängt er bei einem Beratungsunternehmen an, wechselt zum US-Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, wo er unter anderem Gillette mit seinem Sortiment für die Rasur betreut, Zahnpflege von Oral-B und Wellaflex Hairstyling.

„Mir ist schnell aufgefallen, dass Marken für Mundpflege sehr funktional sind und viel mit dem medizinischen Zeigefinger arbeiten. Dabei fehlt komplett der Spaß“, sagt Walter. Also entscheidet er sich, gemeinsam mit Kiener, den er bei Procter & Gamble kennengelernt hat, ein Unternehmen zu gründen. Kiener hat unter anderem Blendamed betreut. In Werbespots der Marke aus den 80er- und 90er-Jahren halten Männer in weißem Arztkittel Zahnpastatuben in die Kamera, „damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können“.

Ein bisschen erhobener Zeigefinger steckt allerdings auch in Kiener und Walter: Die beiden bemerken, dass viele ihrer Freunde noch eine Handzahnbürste benutzen, obwohl die Mehrheit der Zahnärzte und viele Studien elektrisches Putzen empfehlen. Auf der Suche nach Gründen kommen immer wieder die gleichen Antworten: Elektrisch ist den Freunden zu teuer, zu unattraktiv, nicht nachhaltig genug. Sie beschließen, die Lücke zwischen dem Zähneputzen, wie es sein sollte, und dem, wie es ist, zu schließen.

„Ein ästhetisches Produkt mit schöner Nutzererfahrung, das nicht aussieht wie ein Fieberthermometer“, sei das Ziel gewesen, sagt Walter. „Zähneputzen muss sich gut anfühlen und Spaß machen.“ Daher auch der Name: Happybrush. Da die Gründer beim Verbraucher in den letzten Jahren eine gewisse „Nachhaltigkeitsmüdigkeit“ ausmachen und nicht in eine Öko-Nische geschoben werden wollen, rücken sie die Leistungsfähigkeit ihrer Putztechnik und Akkus nun in den Fokus, ökologische Argumente stehen an zweiter Stelle. Diese Hierarchie drückt auch der Slogan aus: „Gut für die Zähne. Und die Umwelt.“ Der Bestseller, die Schallbürste Eco Vibe 3, kostet zwischen 50 und 60 Euro. Bei Wettbewerbern sind die Preise oft dreistellig. Allerdings gibt es bei Discountern auch elektrische Zahnbürsten für weniger als zehn Euro.

Nachhaltigkeit ist dem Unternehmen wichtig. Für die Herstellung der Zahnbürsten werden unter anderem Holzabfälle, Bio-Kunststoff oder Rezyklat verwendet.
Nachhaltigkeit ist dem Unternehmen wichtig. Für die Herstellung der Zahnbürsten werden unter anderem Holzabfälle, Bio-Kunststoff oder Rezyklat verwendet. (Foto: Robert Haas)

Das Gehäuse des Handstücks und der Ladestation der Happybrush-Modelle ist zu 100 Prozent aus recyceltem Material. Die Aufsteckbürsten werden aus einem nachwachsenden Rohstoff gefertigt. Dazu werden Holzfaserreste aus einer skandinavischen Möbelproduktion zu Granulat verarbeitet und in einem Spritzgussverfahren in Form gebracht. Das Ergebnis ist ein Material, das wie Kunststoff aussieht, aber eine angenehme Struktur hat. Die Handstücke werden aus Plastikrezyklat produziert. Nur die zarten Borsten der Aufsteckbürste und die Elektronik sind aus fabrikneuem Material. Jede elektrische Bürste bekommt statt eines herkömmlichen Nickel-Metallhydrid-Akkus, der rund zehn Tage hält, einen Lithium-Ionen-Akku mit sechs Wochen Laufzeit.

Wenn Öko-Test oder Stiftung Warentest Zahnbürsten, Mundspülungen oder Pasten vergleichen, spielt Happybrush oft im Spitzenfeld mit. Das hilft beim Marketing. Dazu kommen Auszeichnungen wie der Deutsche Gründerpreis oder der Deutsche Nachhaltigkeitspreis, das Unternehmen ist von B Corp zertifiziert, was nur wenige deutsche Firmen tun. Die Non-Profit-Organisation untersucht das soziale und ökologische Engagement von Unternehmen. Mittlerweile haben sich weltweit mehr als 9400 Firmen prüfen lassen.  „Wir sind unter den Top 5 von rund 120 Unternehmen in Deutschland“, sagt Kiener.

Start-ups, die sich der Zahnpflege verschrieben haben, hatten es in den vergangenen Jahren schwer: Das Hamburger Unternehmen Wasserneutral musste Ende 2022 Insolvenz anmelden. Seine Bambus-Zahnbürsten der Marke Hydrophil vertreibt nun die Eco Group. Andere Start-ups wie der Bambus-Zahnbürsten-Hersteller Outdoor Freakz sind zwar noch profitabel, können ihre Umsätze aber seit Jahren nicht mehr signifikant steigern. Konzerne wie P&G, Colgate und Haleon erschweren es kleineren Marken, sich in diesem umkämpften Markt zu etablieren, indem sie beispielsweise eigene Zahnbürsten aus Bio-Kunststoff und recycelbare Zahnpastatuben verkaufen.

Happybrush beschäftigt mittlerweile mehr als 40 Mitarbeiter und sitzt direkt an der Theresienwiese. Über 20 Millionen Produkte sind seit der Gründung verkauft worden.  Produziert wird aber nicht etwa in München in einem eigenen Werk. Vielmehr stecken hinter den Produkten viele Partner, die meisten aus Deutschland. „Fast 80 Prozent unserer Produkte sind made in Germany“, sagt Kiener. „Das kostet zwar mehr, bringt uns aber auch Geschwindigkeit, wenn wir neue Produkte auf den Markt bringen wollen.“ 2017 kam die erste eigene Zahnpasta, eine Mundspülung 2019, Kinderzahnbürsten 2021. Kern des Geschäfts sind und bleiben aber elektrische Zahnbürsten, größtenteils mit Schalltechnik, seltener mit rotierendem Rundkopf.

Die Produktpalette des Start-ups ist über die Jahre stetig gewachsen. Jüngst entstand gemeinsam mit dem Influencer Twenty4Tim die pastellfarbene Schallbürste, ein Bestseller.
Die Produktpalette des Start-ups ist über die Jahre stetig gewachsen. Jüngst entstand gemeinsam mit dem Influencer Twenty4Tim die pastellfarbene Schallbürste, ein Bestseller. (Foto: Robert Haas)

Agilität ist eindeutig ein Vorteil von Start-ups. „Sie haben einen Zeitvorsprung, der sich in ökonomischem Erfolg manifestieren kann“, sagt Thomas Prüver, Leiter von EY Start-up. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen publiziert jedes Jahr ein Start-up-Barometer für Deutschland, das als ein Standardwerk gilt. „Die Frage ist aber, was ist der nächste Schritt?“, setzt Prüver hinzu. Gehe es darum, zu wachsen und den deutschsprachigen Raum zu verlassen, sei oft viel Geld notwendig. Doch Deutschland mangele es an Risikokapitalgebern mit großen Budgets, sagt der Berater, der Ansprechpartner für Finanzinvestoren ist, und macht eine schnelle Rechnung auf: In Deutschland flossen 2024 ungefähr sieben Milliarden Euro in die Start-up-Finanzierung. „Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist das wenig. Wären die Risikokapitalgeber so großzügig wie in den USA, müssten in Deutschland rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung stehen“, sagt Prüver. Die Konsequenz: Es gibt in Deutschland nur wenige Start-ups, die zu großen Unternehmen werden. Erfolgreiche Jungunternehmer suchen den Ausweg deshalb oft im Verkauf an einen Konzern.

Happybrush wächst bislang aus eigener Kraft zweistellig und baut sein internationales Geschäft aus. Nach dem Eintritt in den niederländischen Markt Ende 2024 steht die Expansion nach Belgien an. Die Niederlande sind der erste Markt außerhalb des deutschsprachigen Raums, den die Münchner beliefern. Für beide Länder bereite man gerade Werbespots vor.

Walter und Kiener wollten eine Marke schaffen, die die Breite der Konsumentinnen und Konsumenten erreicht. Deshalb haben sie nie allein auf E-Commerce gesetzt, sondern viel Energie darauf verwendet, ihre Mundpflegeprodukte in die Regale der Drogerie- und Supermärkte zu bringen. Den Anfang machte dm, die 2017 drei Produkte ins Sortiment aufnahmen; heute sind dort 22 Artikel gelistet. Schrittweise kamen Rossmann und Müller dazu, der Lebensmitteleinzelhandel und Elektrofachmärkte. Heute mache man mit über 40 Handelspartnern rund zwei Drittel des Umsatzes. Die Sichtbarkeit im Regal und Weiterempfehlungen von Kunden seien ein wichtigstes Marketinginstrument. Aber auch Social-Media-Kanäle wie Instagram, Facebook und YouTube spielten eine große Rolle.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wasser-Sommelier
:„In Deutschland trinken amerikanische Touristen oft gar kein Leitungswasser“

Lebensmittelchemiker Peter Schropp über die Tendenz zu weniger Kohlensäure, geeignete Varianten für Veganer, warum es das beste Wasser der Welt nicht gibt und von welchem man lieber keine ganze Flasche trinken sollte.

SZ PlusInterview von Philipp Crone

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: