Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Würzburg:Die da unter Dadas

Sie lebte inmitten der Berliner Dada-Alphamänner und suchte schrankenlose Freiheit: Die große Avantgardistin Hannah Höch in der Würzburger Ausstellung "Abermillionen Anschauungen".

Von Florian Welle, Würzburg

Wer die Ausstellungsräume betritt, sieht sich zuerst dem obligatorischen Lebenslauf gegenüber. Hannah Höch, griechisches Profil, Bubikopf-Frisur, führte ein bewegtes Leben: Solistin inmitten der Berliner Dada-Alphamänner; Liaison mit dem verheirateten Raoul Hausmann, der sie von oben herab belehrte, wie sie zu sich selbst finden könne. Höch suchte schrankenlose Freiheit, trennte sich und lebte fast eine Dekade lang mit der holländischen Übersetzerin und Autorin Til Brugman zusammen.

Bis die Nazis sie 1937 mit einem Ausstellungsverbot belegten. Zunächst reiste sie noch rastlos mit ihrem neuen Ehemann Kurt Matthies im Wohnwagen umher, ehe sie sich scheiden ließ und sich in ihr Gartenreich in Berlin-Heiligensee zurückzog. Bald nach Kriegsende wurde sie weltweit vor allem als Grand Old Lady der Berliner Dada-Bewegung gefeiert. Als stilbildend galt ihre frühe Foto-Collage "Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauch-Kulturepoche Deutschlands."

Damit war kunsthistorisch eine bequeme Schublade für Höch gefunden, die 1978 im Alter von 88 Jahren in Berlin starb. Dass diese Einengung ihren vielen künstlerischen Facetten nicht gerecht wird, zeigt nun auf beeindruckende Weise die von Ellen Maurer Zilioli kuratierte Ausstellung "Hannah Höch. Abermillionen Anschauungen". In ihren überaus vitalen Werken kann man zwar unschwer Anleihen an die vielen -ismen der Moderne finden: an Expressionismus, Dadaismus, Futurismus, an Konstruktivismus und schließlich Surrealismus. Maurer Zilioli sieht aber gerade in diesem "kalkulierten Vagabundieren innerhalb der Moderne" Höchs genuine Leistung.

Die rund 120 Gemälde, Collagen, Aquarelle und Zeichnungen umfassende Werkschau aus allen Schaffensphasen, die zuvor im Berliner Bröhan-Museum zu sehen war, ist für die Sommermonate in das Museum im Kulturspeicher Würzburg gewandert. Ihr Titel bezieht sich auf einen programmatischen Text in konsequenter Kleinschreibung, den Höch für ihre erste Einzelausstellung 1929 in Den Haag verfasste und der auf eine der Wände projiziert wurde. Sie sieht sich als Seherin und möchte, dass es "außer deiner und meiner anschauung und meinung noch millionen und abermillionen berechtigter anderer anschauungen gibt".

Eine Frage der Perspektive

Der Lebenslauf am Ausstellungsbeginn wurde mit Fotos aufgelockert, von denen eines besonders auffällt. Es zeigt eine betagte Hannah Höch, die direkt in die Kamera schaut, eine Lupe vor das Auge haltend. Dadurch ist es ins Riesenhafte vergrößert: ein wunderbar surrealer Effekt. Wendet man sich von hier aus ein wenig nach rechts, sieht man sich der ersten Bilderwand und der Collage "Eule mit Lupe" gegenüber.

Das um das Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene Blatt zeigt den Raubvogel, der auf einer luftigen Wolke sitzt und durch eine Lupe in seinen Krallen auf die Erde hinunter blickt. Er scheint die Menschheit zu durchschauen. Die Vogelperspektive ist hier ganz wörtlich genommen. Landläufig steht das Tier für Weisheit, seit jeher kann es aber auch Unglück und Tod symbolisieren. Die Collage lässt Raum für Interpretationen. Dazu passt eine weitere Stelle aus Höchs oben genanntem Text: "am liebsten würde ich der welt heute demonstrieren, wie sie eine biene und morgen wie der mond sie sieht, und dann, wie viele andere geschöpfe sie sehen mögen."

Nach diesem stupenden Präludium zeigt die Schau, dass Hannah Höch ihr ganzes künstlerisches Leben lang darum rang, die Welt aus allen erdenklichen Blickwinkeln zu betrachten. Diese Polyfokalität spiegelt sich in der Ausstellungsarchitektur wider. In die zwei weitläufigen Räume wurden verschiedenfarbige Wände eingezogen, die mitunter quer wie Riegel stehen. Damit nehmen sie die Formenvielfalt der "Abstrakte Kompositionen" und "Symbolische Landschaften" genannten Bilder aus Höchs Werk auf.

Sie erscheint wie eine Forscherin, die Schritt für Schritt tiefer in den Mikro- wie den Makrokosmos vordringen will. Sich Sichtbar-Gegenständlichem zuwendet, um dann zu versuchen, auch Unsichtbares ans Licht zu holen. Sie porträtiert nicht nur ihr ganzes Leben lang sich selbst, sondern malt auch immer wieder Blumen. Pflanzen sind für sie, anders als Tiere und Menschen, nur schön. Lassen sie jedoch ihre Köpfe hängen wie auf dem düsteren Aquarell "Seherin" von 1940, muss man dies wohl als Kommentar zur Zeit begreifen. Mit ihrem Interesse für das Weltall wiederum, das in der parallel entstandenen Collage "Komposition mit Universum und Auge" aufscheint, ist sie ihrer Zeit weit voraus. In den Fünfzigerjahren folgen weitere interstellare Visionen.

Die Hängung der Werke folgt nur anfänglich dem Lebenslauf. Danach wird die Chronologie aufgebrochen, hängt Frühes neben Spätem. Das erlaubt Techniken und Motive auszumachen, die Höch stetig angewendet oder aufgegriffen hat. Die 1889 in Gotha geborene Künstlerin studierte zunächst an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Berlin-Charlottenburg und von 1915 an an der Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums. Den Hang zu Mustern und Ornamenten sollte sie nie ganz aufgeben. Von der anschließend entwickelten Collagentechnik ganz zu schweigen.

Was die Motive angeht: Neben den Blumen tauchen regelmäßig Augen, Mond- und Maskengesichter auf. Ihre Eigenart, Figuren auf Sockel und Plateaus zu drapieren und so den Bildern eine surreale Anmutung zu verleihen, zeigt sich schon auf dem Blatt "Vorbereitende Zeichnung zu einem Gemälde" von 1921. "Ich habe die Dinge niemals nur von einer Seite betrachtet. Ich bin immer um die Dinge herumgegangen", hat sie einmal gesagt. Besucher sollten sich dies bei ihrem Rundgang zu Herzen nehmen.

Hannah Höch. Abermillionen Anschauungen. Museum im Kulturspeicher Würzburg, bis 4. September. Katalog (Wienand Verlag) 28 Euro.

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