Symposium:Unvermindert aktuell

Hannah Arendt

Rauchen und Denken waren immer eines, jedenfalls für Hannah Arendt, hier in der Cafeteria einer amerikanischen Universität.

(Foto: Middletown, Connecticut, Wesleyan University Library, Special Collections & Archives)

Eine Tagung im Literaturhaus geht der Frage nach, warum die politische Denkerin Hannah Arendt noch immer unverzichtbar ist.

Von Sabine Reithmaier, München

"Der Sinn von Politik ist Freiheit" - diesen "T-Shirt-tauglichen Satz" Hannah Arendts wählte Philosophieprofessor Thomas Meyer als Einstieg in das Symposium im Literaturhaus. Und erntete von Monika Boll gleich leichte Skepsis. Auch wenn der Ausspruch zunächst so fraglos wirke, habe Arendt damit etwas sehr Kompliziertes gemeint, sagte die Publizistin. Denn die politische Denkerin unterscheide genau zwischen Freiheit und Befreiung. Erstere beginne erst da, wo der Mensch ohne Unterdrückung Politik treiben könne.

Im Mittelpunkt der zweiteiligen Tagung "Wagnis der Öffentlichkeit" stand weniger die poli­ti­sche Theo­re­ti­ke­rin des 20. Jahr­hun­derts, sondern, passend zur gleichnamigen, sehr sehenswerten Ausstellung im Erdgeschoss des Literaturhauses, die öffent­li­che Intellektuelle, die sich zu vielen Themen äußerte: Totalitarismus, Zionismus, Feminismus, Rassentrennung oder die Studentenbewegungen in den 1960er Jahren - "alles Themen, die das 20. Jahrhundert bestimmten", sagte Boll, zugleich Kuratorin der Ausstellung. "Sie hat sich nie gescheut, sich als Person zu exponieren." Und hat dafür auch genügend Kritik und Angriffe eingesteckt.

Boll nannte eine weitere Voraussetzung, ohne die es Arendt unmöglich schien, über Themen und Meinungen frei zu verhandeln: "eine von allen akzeptierte faktische Wirklichkeit". Ohne die Anerkennung von Tatsachenwahrheiten würde die Meinungsfreiheit schnell ad absurdum geführt. Arendt erkannte dies bereits, als sie, um über die Nachwirkungen des Nazi-Regimes zu schreiben, 1949 nach Deutschland zurückkehrte. Bei ihrer Reise erlebte sie Menschen, die den Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht wie eine Tatsache, sondern wie eine Meinung behandelten und ihr erklärten, Polen habe den Krieg eröffnet. Die fehlende Anerkennung von Fakten sei ein immer größeres Problem der Gegenwart, gerade auch wegen der Sozialen Medien, sagte Boll. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir das wieder einfangen."

Volha Hapeyeva, im Münchner Exil lebende Dichterin aus Belarus, teilt Arendts Skepsis bezüglich Revolutionen. Meist würden dort soziale Fragen mit politischen Ideen verbunden. "Ein Fehler, meist handelt es sich ja um ein ökonomisches Problem", sagte sie und befürchtete frei nach Arendt, dass die sogenannten Revolutionäre von heute die Konservativen von morgen seien. Mit ihren Gedichten sorgte sie für die berührendsten Momente der Tagung.

Im zweiten Teil der Tagung ging es um Arendts Gedanken zum kolonialen Erbe

Im zweiten Teil konzentrierte sich die Debatte auf das koloniale Erbe beziehungsweise die Frage, ob die deutsche Gewaltgeschichte "richtig austariert" ist (Meyer). Seit dem Historikerstreit von 1986 bestünde hierzulande eine Art Übereinkunft über die Singularität des Holocausts, was den Völkermord an den Herero und Nama durch die deutsche Kolonialmacht in Südwest-Afrika (1904 - 1908) in der Opferhierarchie nach hinten rücke. Arendt dagegen habe in den kolonialen Genoziden den Ursprung für die Vernichtungslager der Nazis gesehen. Die Philosophin hatte schon 1951 in ihrem Versuch, das 19. und 20. Jahrhundert als Gewaltgeschichte zu rekonstruieren ("Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft"), auf diese Verknüpfung hingewiesen und eine Kontinuität zwischen Imperialismus und Rassismus, Kolonialkriegen und Judenvernichtung ausgemacht. "So ein Panorama aufzuspannen, ist eine spektakuläre Leistung", fand Philosophin und Publizistin Eva von Redecker und rühmte die Rekonstruktion der Vielschichtigkeit dieser Vernichtungsfantasien.

Stefania Maffeis, Politikwissenschaftlerin an der Evangelischen Hochschule in Dresden, stimmte zu. Aber Arendt erzähle keine lineare Geschichte, sie denke nicht in Prozessen, sondern "in Fotografien, die zusammen ein Puzzle ergeben". Geschichte sei für sie erzählbares menschliches Handeln, ergänzte Redecker. Trotzdem habe sie gelegentlich falsche Schlüsse gezogen, "nicht saubere" Quellen (Maffeis) verwendet, nur die "weiße" Perspektive beschrieben und sich viel zu stark eingemischt.

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