Süddeutsche Zeitung

Handwerker in München:"Die wollen mich raushaben"

Ein Hausbewohner fühlt sich von einer Heizungs- und Sanitärfirma im Lehel so gestört, dass er juristisch gegen sie vorgeht. Auch andernorts in der Innenstadt steigt der Druck auf Handwerksbetriebe.

Von Thomas Anlauf

Urig ist es auf der Eckbank mit dem schweren Holztisch. Im Winkel steht neben einer kleinen Kaminkehrer-Figur ein Innungswimpel. Hinter Olaf Zimmermann hängt im Büro ein Gemälde vom Lehel aus vergangenen Tagen. Das Wirtshaus Sankt Anna ist darauf zu sehen, das war ein Lokal um die Ecke, das als "Sankt Anna Eck" in Helmut Dietls "Münchner Geschichten" 1974 eine gewisse Berühmtheit erlangte. Schon damals ging es in der Serie um die Gentrifizierung des Lehels, alteingesessene Läden mussten schließen und die Oma Häusler, gespielt von Therese Giehse, sollte aus ihrer alten Wohnung raus ins gerade entstandene Neuperlach ziehen. Olaf Zimmermann ergeht es ähnlich wie den Figuren aus der Kultserie. Wenn es nach einem Mitbewohner des alten Hauses am Thierschplatz geht, soll der Chef von Heizung Obermeier mit seiner Firma möglichst ausziehen.

Dabei gibt es die Heizungs- und Sanitärfirma an der Thierschstraße 55 bereits seit 1963, davor arbeiteten hier ein Spengler und später eine Schneiderin. Vor 26 Jahren hat Olaf Zimmermann die Heizungsfirma von seinem Vorgänger gekauft. Er hat dort sein Büro und im Keller ein Lager. Jeden Morgen zwischen sechs und sieben Uhr kommen seine knapp zwei Dutzend Mitarbeiter, darunter auch sechs Auszubildende, holen sich die neuen Aufträge ab und die nötigen Ersatzteile aus dem kleinen Lager im Keller und fahren los. Ins Lager führen von der Hofeinfahrt ein paar Stufen hinab, die Monteure müssen also nicht einmal durch den Hauseingang. Aber natürlich fahren sie öfter mit den Transportern in den kleinen Hof, um Waschbecken und Heizungen ein- oder auszuladen.

Angeblich stören sich auch andere Nachbarn daran

Das stört einen Hausbewohner, der dort vor etwa zwei Jahren eine Wohnung gekauft hat, offensichtlich so sehr, dass er gegen Zimmermann juristisch vorgeht. Es geht laut dem Obermeister der Münchner Innung für Spengler, Sanitär- und Heizungstechnik um eine Unterlassungsklage in Höhe von einer viertel Million Euro, wenn seine Mitarbeiter zu oft und zu lang mit dem Transporter in der Einfahrt stehen. "Die wollen mich raushaben", befürchtet Zimmermann. Nach all den Jahren. Angeblich stören sich auch andere Nachbarn daran, dass er vor dem Eingang zum Lager eine Gitterbox hat, in der kurzfristig die abmontierten Waschbecken oder Kloschüsseln gelagert werden. Mittlerweile decken seine Leute die alten Teile ab. Es geht angeblich auch darum, dass die Transporter auf Dauer den Belag zur Hofeinfahrt beschädigen würde. "Dabei steht mein Vermieter hinter mir", sagt Zimmermann.

Doch wie lange noch? Die Sache "regt ihn selber auf". Momentan liegt die Angelegenheit beim Landgericht, einen Vergleich, wonach seine Mitarbeiter höchstens viermal täglich für maximal zehn Minuten ein- und ausladen dürften, lehnt Zimmermann bislang ab. Klar, er könnte sein Lager aufgeben und wie andere Kollegen seiner Branche immer aktuell im Großhandel einkaufen. Doch dabei vergeht kostbare Zeit, wenn seine Monteure vor dem Einsatz erst einkaufen müssten.

Und Zimmermann hat mit seinem Lager im Lehel einen weiteren enormen Standortvorteil: Viele seiner Kunden sind in direkter Nachbarschaft in der Innenstadt, die Spaten-Brauerei mit ihren Lokalen zum Beispiel. Und in der Früh können seine Mitarbeiter einfach mit der U-Bahn anreisen, über die Thierschstraße gehen, schon kann die Arbeit losgehen. Zimmermann mag gar nicht daran denken, mit seiner kleinen Firma an den Stadtrand zu ziehen. "Wenn meine Leute jeden Morgen nach Freiham raus müssten", sagt er, dann wäre nicht nur viel wertvolle Zeit verloren. Er befürchtet auch, dass Auszubildende, die ohnehin schwer zu finden sind, eine solche Anfahrt auf Dauer scheuen würden.

Kurt Kapp kann Olaf Zimmermann gut verstehen. "Gerade für Handwerksbetriebe im Innenstadtbereich ist es enorm schwierig", sagt der stellvertretende Wirtschaftsreferent und Leiter der Wirtschaftsförderung in München. Dort herrsche "ein unheimlicher Druck" auf die alteingesessenen Betriebe. Sie werden zunehmend aus den besseren Lagen an den Stadtrand oder sogar ganz aus München verdrängt.

Dabei baut die Stadt seit 1983 speziell für kleine und mittlere Betriebe des Handwerks, der Industrie und des Großhandels Gewerbehöfe. Insgesamt 450 Unternehmen arbeiten an den mittlerweile zehn Standorten. Bis zum Herbst soll ein weiterer Gewerbehof im Münchner Norden eröffnet werden, für einen Standort im künftigen Stadtteil Freiham am Westrand der Stadt gibt es bereits Beschlüsse. Trotzdem sind die Gewerbehöfe nur der Tropfen auf dem heißen Stein: Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie gab es in München mehr als 20 000 Handwerksbetriebe, davon allein 575 Installateure und Heizungsbauer.

"Natürlich liegen die Standorte am Stadtrand", räumt Wirtschaftsförderer Kapp ein. Und die Gewerbeflächen in München werden immer knapper. Das Gewerbeflächenentwicklungsprogramm (Gewi) wurde im Jahr 2000 aufgelegt, um der örtlichen Wirtschaft mehr Planungssicherheit zu geben. Seither gingen die Gewerbeflächen jedoch "aufgrund vermehrter Zielkonflikte, zunehmenden Umwandlungsdrucks und standortbezogener Unzulänglichkeiten" stark zurück, teilt das Wirtschaftsreferat mit. Bis 2030 sollen deshalb zusätzlich 35 Hektar neue Fläche insbesondere für das produzierende Gewerbe geschaffen werden.

Doch ein Büro mit Lager am Stadtrand, von wo aus sich die Monteure von Olaf Zimmermann durch den morgendlichen Berufsverkehr zu ihren Einsatzorten in der Münchner Innenstadt fahren müssten, kommt für den Innungsobermeister eigentlich nicht infrage. Für ihn ist seine Firma längst ein Generationenbetrieb. Der Sohn besucht derzeit die Meisterschule und soll den elterlichen Betrieb einmal übernehmen. Nicht draußen am Stadtrand, sondern wie seit Jahrzehnten im ehemaligen Handwerkerviertel Lehel.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2021/sonn, kafe
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