Rüstige Renter helfen Bedürftigen:50 Jahre gearbeitet, doch die Rente reicht nicht zum Leben

Herr Nestel, Caritas-Zentrum München-Nord

Im Caritas-Zentrum München-Nord hat die "Mobile Werkstatt Hasenbergl" ihren Stützpunkt. Auch Jürgen Nestel gehört zu den ehrenamtlichen Helfern.

(Foto: Florian Peljak)

Auch im reichen München gibt es immer mehr Arme. Wie etwa eine 71-jährige Renterin, die zweimal die Woche putzen gehen muss, um über die Runden zu kommen. Für solche Menschen gibt es die Mobile Werkstatt Hasenbergl. Dort helfen rüstige Renter Bedürftigen.

Von Beate Wild

Jürgen Nestel kniet am Boden hinter einem Sofa und schraubt an einer Lampe. Sein Kollege Heinz Friedrich assistiert ihm. Der Dimmer der Wohnzimmerleuchte von Marianne Huber (Name von der Redaktion geändert) ist kaputt. Nestel hat zu Hause einen neuen Schalter gebastelt. "Jetzt hoffen wir mal, dass er funktioniert", sagt er und betätigt den Knopf. Das Licht geht an und alle lachen erleichtert. Wieder einmal hat die "Mobile Werkstatt Hasenbergl" geholfen.

Nestel und Friedrich sind zwei von insgesamt zwölf Ruheständlern, die im Münchner Norden ehrenamtlich Reparaturen für bedürftige Menschen übernehmen. An die Tüftler-Truppe, die beim Caritas Zentrum Nord ihren Stützpunkt hat, können sich Hartz IV-Empfänger, arme Rentner, kinderreiche Familien und finanziell Benachteiligte wenden, wenn sie Hilfe bei Reparaturen brauchen (Telefon 089/31 60 63-10). Der Wasserhahn tropft? Die Waschmaschine schleudert nicht mehr? Der Staubsauger versagt seinen Dienst? Aber ein Handwerker ist zu teuer? Dann ist das ein Fall für die "Mobile Werkstatt Hasenbergl".

"Es gibt immer mehr Arme, auch in München", sagt Nestel, "für viele sind wir die letzte Rettung." Der 78-Jährige, der im April für sein ehrenamtliches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, hat vor zehn Jahren die Mobile Werkstatt ins Leben gerufen. Auch der heute 79 Jahre alte Friedrich war von Anfang an dabei. Die beiden kennen sich vom Sportverein. Mittlerweile bewältigen die Tüftler 480 Aufträge im Jahr. Jeden Dienstag trifft sich die Gruppe zum Frühstück im Caritas-Zentrum Nord. Dann werden die eingegangenen Aufträge vergeben.

Die 71-Jährige wohnt seit 50 Jahren in ihrer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Früher mit Mann und Kindern, heute allein. Ihr Leben lang hat sie gearbeitet, als Putzfrau, als Näherin, am Empfang. Doch die Rente reicht nicht zum Leben. "Ich bekomme 924 Euro Rente, davon zahle ich 570 Euro für die Miete", rechnet sie vor. "Wenn ich dann noch alle Fixkosten abziehe, bleiben mir 100 bis 150 Euro im Monat." Zu wenig, um sorgenfrei über die Runden zu kommen. "Deshalb muss ich noch zweimal die Woche putzen gehen", sagt die Frau leise.

Um einen Handwerker holen zu können, bleibt da kein Geld übrig. Bereits zum dritten Mal sind Nestel und Friedrich bei Frau Huber, um etwas zu reparieren. "Ich kann mir selber ja nicht helfen, ich bin so froh, dass es die Mobile Werkstatt gibt", sagt die zierliche Frau. Für die Reparatur muss Huber am Ende 8,90 Euro zahlen. Das sind die reinen Materialkosten, Anfahrt und Arbeitszeit werden nicht berechnet.

Schon das Treppenhaus wirkt desolat

Währenddessen sind Willi Brand und Wolfgang Scherf, zwei andere Ehrenamtliche der Handwerkertruppe, in der Wohnung von Cemal Yilmaz (Namen geändert) angekommen. Der 45-Jährige hat sich an die Caritas gewandt, weil seine Waschmaschine nicht mehr schleudert. Schon das Treppenhaus des Mietkomplexes im Hasenbergl macht einen desolaten Eindruck. Farbe blättert von der Wand, Putz bröckelt herunter, die Klingel geht nicht.

In der Wohnung lebt Yilmaz mit seiner Frau und den Kindern. "Ich war Koch, bis ich wegen eines Bandscheibenvorfalls am Rücken operiert werden musste", erzählt er. Seither könne er nicht mehr arbeiten und sei auf Hartz IV angewiesen. Mit Reparaturen kennt er sich nicht aus, Geld für einen Handwerker oder gar eine neue Waschmaschine hat er nicht.

Brand und Scherf schrauben die Abdeckung der Waschmaschine auf, probieren ein wenig herum, dann die Diagnose: "Wahrscheinlich ist ein Socken oder ein anderes Kleidungsstück hinter die Trommel gerutscht, jetzt blockiert alles." Auf die Schnelle kann die Waschmaschine nicht repariert werden. "Aber wir kommen heute Nachmittag wieder", verspricht Brand.

Dabei sind die ehrenamtlichen Bastler gar nicht zwingend gelernte Handwerker. Nur Scherf hat als Schlosser seine Brötchen verdient. Brand war Ingenieur, Nestel als promovierter Physiker beschäftigt, Friedrich war Fernmeldeingenieur. Im Rest der Truppe befinden sich Ärzte, Maschinenbauer und sogar Bankkaufleute. Zu helfen wissen sich die engagierten Rentner trotzdem meistens.

Was fehlt, sind Spenden, deshalb bittet der "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" um Unterstützung. Die Mobile Werkstatt muss zwei betagte Autos unterhalten, mit denen die Kunden besucht werden. Außerdem fallen Fahrtkosten an und Ausgaben für Werkzeug. Und hin und wieder, wenn besonders bedürftige Menschen Hilfe brauchen, wird denen für die Reparatur auch gar nichts berechnet.

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