Süddeutsche Zeitung

Handlettering:Buchstaben-Kunst

Münchner Cafés lassen ihre Menütafeln mit der Hand schreiben, Blogger posten selbst gezeichnete Notizen - Handlettering ist im Trend

Von Tanja Schwarzenbach

Louis Vuitton in der Residenzstraße hat eine Schreibwarenabteilung, pardon, "Écriture"-Abteilung, in der die Grafikerin Petra Wöhrmann zur Eröffnung saß und den geladenen Gästen etwas Besonderes, ja Exklusives bieten sollte. Und das waren: Grußkarten, die sie im Auftrag des Modekonzerns für die Gäste kunstvoll mit der Hand schrieb und an eine Wunschadresse schicken ließ.

In einer Zeit, in der viele fast nur noch über soziale Netzwerke, E-Mail oder SMS kommunizieren, ist so eine Sendung im Briefkasten - unter all den anderen, die ein Drucker ausgespuckt hat - ein ziemlich schöner Exot. "Eine handgeschriebene Karte oder auch ein Brief", sagt Wöhrmann, "wurden in den vergangenen Jahren immer mehr zum Kunsthandwerk." Sie meint damit aber nicht die mehr oder weniger schöne Schreibschrift, die man in der Schule lernt, sondern das kunstvolle Schreiben, ja eigentlich Zeichnen, das sie unter anderem an der Freien Kunstwerkstatt München unterrichtet: das sogenannte "Handlettering" - das Gestalten von Buchstaben mit der Hand, das auch inspiriert sein kann von den Schriften der Kalligrafie.

Die Technik des Handlettering ist derzeit sehr gefragt, besonders unter Designstudenten, Grafikern und all den Menschen, die sich mit schöner Schrift beschäftigen. Michael Keller, Professor für Kommunikationsdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München, hält Handlettering für einen Trend, der eine Gegenbewegung zu den digitalen, mechanisierten Gestaltungsmöglichkeiten sei und damit eine Rückbesinnung auf das Handgemachte. Auch Oliver Linke, Vorsitzender der Typografischen Gesellschaft in München und Dozent für Schrift und Typografie an der Designschule, führt das stark gewachsene Interesse seiner Studenten daran auf einen Überdruss am Digitalen zurück: "Den ganzen Tag sitzt man am Computer, man will endlich wieder was bewegen, dreckige Hände bekommen, was quietschen hören!" Seine Studenten würden sich aber gleichzeitig immer schwerer damit tun, weil ihre handwerklichen Fähigkeiten nicht mehr so trainiert seien, da sie ja auch nicht mehr so gebraucht würden. "Wenn es aber jemand kann", sagt Linke, "bekommt das eine gewisse Glorie."

Und auch wer es hat, fällt auf: Neuerdings lassen sich Läden, Bars und Cafés in München Schildchen, Schiefertafeln und Menükarten mit der Hand beschriften, die Aroma Kaffeebar im Glockenbachviertel zum Beispiel von dem polnischen Studenten Maciek Kuczys. Der studiert eigentlich Architektur und beschäftigt sich mit Handlettering vor allem in seiner Freizeit. Zwölf Tafeln hat er in der Aroma Bar gestaltet, als er dort als Barista jobbte - in Blockschrift, angelehnt an die Schrift in architektonischen Zeichnungen. Seitdem versuchen die Angestellten hin und wieder das eine oder andere Wort auf den Tafeln zu erneuern, aber nie sieht es aus wie die Schrift von Kuczys. Der freut sich darüber, dass ihn keiner nachmachen kann, denn seine Schrift sei sein Markenzeichen, sagt er. Das hat er auch im Café Iuno in München und in einem Café in Warschau hinterlassen.

Im Grunde genommen ist Handlettering ein Retro-Trend, weil es seinen Ursprung in einem alten Handwerk hat, dem der Schildermalerei. Früher nämlich wurden Schaufenster- und Straßenbeschriftungen, Beschilderungen von Geschäften, Verbots- und Warntafeln und auch Schilder für Ein- und Ausfahrten mit der Hand gemalt und oft auch vergoldet. In München, das entdeckte Oliver Linke mit einem Kollegen eher zufällig bei der Vorbereitung auf einen "Type Walk" für die Typografische Gesellschaft, war es insbesondere der Schildermaler Karl Blaschke (1889 bis 1970), der mit seinen Beschriftungen nach dem Zweiten Weltkrieg das Stadtbild prägte. Ein Großteil der Altstadt lag damals in Trümmern, auch Blaschkes Laden für Firmenschildermalerei und Lichtreklameherstellung. Das war aber nicht das Ende, sondern der Anfang eines florierenden Betriebs: Blaschke und seine Mitarbeiter beschrifteten nach dem Krieg zum Beispiel die gesamte Maximilianstraße neu. Was heute noch von seinen Arbeiten erhalten ist, hat Linke in dem Buch "Von Asam bis Zrenner. Auf den Spuren des Münchner Schriftenmalers Karl Blaschke" mit vielen Fotos zusammengetragen: Das Hausnummernschild "Maximiliansplatz 18" etwa, in vergoldeter Schrift hinter Glas; das historische Hinweisschild des Nationaltheaters; oder auch der leicht verblichen wirkende Leuchtkasten der Firma "Kosmetik Schöner Fußpflege" in der Thiereckstraße 4. Das Ungewöhnliche an Blaschkes Schildern, sagt Linke, seien die Signaturen, die er darauf hinterlassen habe: Schildermaler verstanden sich oft auch als Künstler. Nach einer dreijährigen Lehrzeit stand es ihnen frei, sich an einer Kunstakademie fortzubilden. Der Sinn für das Künstlerische und die Wertschätzung des alten Handwerks fehlte offenbar den Ladenbesitzern in den Siebzigerjahren, viele von ihnen ließen Blaschkes Schilder gegen moderne aus Folien austauschen.

Heute aber ist nicht der perfekte Druck modern, sondern wieder das leicht Fehlerhafte des Handgeschriebenen. Und das muss nicht unbedingt professionell erlernt sein. Man kann es sich auch selbst beibringen, wie Verena Prechsl, Redaktionsvolontärin bei einem Onlinemagazin, die sich viel dazu auf Instagram und anderswo im Internet ansah und dann selbst Schriftzüge entwarf. Auf Etsy.com, einem Shoppingportal für Selbstgemachtes, verkauft sie inzwischen kunstvoll beschriebene Karten, auf denen Sprüche stehen wie "Throw kindness around like confetti". Vor allem aber bestückt sie ihren Blog Brushmeetspaper.com, auf dem sich fast alles ums Schönschreiben dreht - von "Fake Calligraphy", wie sie es nennt, bis zum Handlettering - mit schönen, handgeschriebenen Notizen und Videos. Am Ende wird das Handschriftliche dann doch wieder digitalisiert. Schön anzusehen ist es ja auch auf dem Bildschirm.

Der nächste Type-Walk mit Oliver Linke "Auf den Spuren des Schriftenmalers Karl Blaschke" findet am 10. Juli von 16 bis 18 Uhr statt. Infos unter www.tgm-online.de.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2015
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