Süddeutsche Zeitung

Haidhausen:Wo Sophie Scholl Abschied nahm

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Der Zaun an der Orleansstraße soll Teil eines Gedenkortes für die "Weiße Rose" werden, doch erst rollen die Bagger an

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Es ist der 23. Juli 1942, gegenüber der Orleansstraße 63 im Bereich zwischen der heutigen Elsässer- und Kirchenstraße, schießt der Medizinstudent Jürgen Wittenstein Fotos von seinen Freunden, die historisch werden sollten. Sie zeigen die Widerstandskämpfer Sophie Scholl, ihren Bruder Hans Scholl und Christoph Probst. Die Mienen sind nachdenklich, vor allem Sophie Scholl hat die Stirn in Falten gelegt. Die Männer müssen sich an diesem Tag verabschieden, sie sind zur Sanitätskompanie an die Ostfront beordert. Ein weiteres Foto, das Wittenstein an jenem Tag aufnimmt, zeigt Sophie Scholl fast schon lässig an einen Zaun gelehnt, die Stimmung wirkt trotz des belastenden Anlasses heiter. Diese Schnappschüsse sind "ikonografisch für die Weiße Rose geworden", sagt Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung. Mit einer nun geplanten Neubebauung zwischen der Orleansstraße 7 und dem Haidenauplatz soll an historischem Schauplatz ein Gedenkort für die Weiße Rose entstehen.

Noch heute verläuft jener Zaun entlang der Orleansstraße, an den sich Sophie Scholl damals anlehnte. Vier Jahre lang erinnerte bereits eine Tafel mit den berühmt gewordenen Fotos von Jürgen Wittenstein an die Widerstandsgruppe. Im Sommer 2017 musste sie allerdings wegen Witterungsschäden abgebaut werden. Damals befürchteten einige im Viertel, dass damit auch das Ende des Gedenkorts gekommen sei. Nun aber zeichnet sich ab, dass diese Befürchtungen unbegründet waren.

Dass es wohl einen neuen Gedenkort geben wird, ist dem guten Willen einiger Beteiligter zu verdanken. Da ist zum einen die GVG Grundstücksverwaltungs- und -verwertungsgesellschaft, die jenen Bereich entlang der S-Bahngleise für die eigentliche Eigentümerin, die Orleanshöfe GmbH, vertritt. Wenn dort der Weißen Rose gedacht wird, so passiert das also auf privatem Grund. Die GVG plant, das Areal, das heute noch - recht vernachlässigt - Gebrauchtwagenhändler und eine große Autovermietung nutzen, neu zu bebauen. So sollen dort in Zukunft je zur Hälfte Wohnungen und Gewerbe entstehen, teilt die GVG mit. Etwa 600 Mietwohnungen sind vorgesehen; dazu Büros, Einzelhandel und "optional auch ein Hotel".

Zu Beginn des kommenden Jahres wird ein entsprechender städtebaulicher Wettbewerb ausgerufen, kündigt die GVG an. Momentan bereite sie diesen mit der Stadt vor. Wann mit den Bauarbeiten begonnen wird oder wann die neuen Häuser bezugsfertig sind, könne man allerdings noch nicht verlässlich sagen. Die GVG versichert, einen "verantwortungsvollen und sensiblen Umgang mit der Historie der von uns bearbeiteten Grundstücke" zu pflegen. Dementsprechend sei ein Gedenkort bei der Neugestaltung des Areals "in Abstimmung mit allen Beteiligten durchaus denkbar". Ein erstes Treffen der Beteiligten am Ort hat der Bezirksausschuss (BA) bereits organisiert. Dort hätten sich alle positiv zu einem künftigen Gedenkort geäußert, berichtet Hermann Wilhelm (SPD), Vorsitzender des Unterausschusses Kultur. Die Tafel, die vier Jahre lang an dem Zaun hing, hatte er gemeinsam mit seinem BA-Kollegen Herbert Liebhardt (CSU) im Juli 2013 angebracht.

Wenn die Bagger schließlich an der Orleansstraße auffahren, lagert das Münchner Stadtmuseum zwei Abschnitte des Zaunes ein. Zwei Teile deswegen, weil sich auch das Stadtmuseum vorstellen kann, einen Abschnitt des Zauns dauerhaft auszustellen, wie der stellvertretende Leiter des Stadtmuseums Thomas Weidner sagt. Allerdings sei eine solche Präsentation noch Zukunftsmusik. Denn zunächst stehe die Sanierung des Stadtmuseums an. Mit deren Beginn ist aber erst 2022 zu rechnen, hieß es erst kürzlich im Stadtrat. Einstweilen werde man, trotz knapper Depotfläche, die "geschichtsträchtigen Stücke" aufbewahren. Das Stadtmuseum hat ohnehin Erfahrung mit solchen Ausstellungsstücken. Schon heute stellt das Stadtmuseum Teilstücke eines Gitterzauns aus, der zur Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße gehörte. Im Juni 1938 wurde sie als eine der ersten Synagogen in Deutschland von den Nationalsozialisten zerstört.

Für Hildegard Kronawitter von der Weiße-Rose-Stiftung sind diese positiven Anzeichen von allen Seiten "sehr, sehr erfreulich". Dass die Erinnerung an dem historischen Schauplatz lebendig bleibe, könne Bewusstsein schaffen. Nicht nur für die Widerstandsgruppe selbst, sondern auch dafür, dass entlang der Orleansstraße einmal Bahnhofsgelände gewesen sei, an dem sich die eingezogenen Soldaten von ihren Familien und Freunden verabschieden mussten.

"Ausgesprochen positiv", fasst Hermann Wilhelm im Bezirksausschuss seine Gemütslage zusammen. Der Bezirksausschuss setzte sich mit mehreren Anträgen dafür ein, dass der Weißen Rose an der Orleansstraße auch künftig wieder gedacht wird.

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SZ vom 03.11.2018
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