Der amerikanische Pop-Art-Künstler Andy Warhol war bekanntermaßen eine vergleichsweise schillernde Persönlichkeit. In Interviews soll er zuweilen mit seinem Alter kokettiert oder sich sogar verjüngt haben, heißt es. Über den Glamour-Faktor von Haidhausen kann man hingehen streiten, und auf die Geschichte ist man dort eher stolz. Trotzdem haben Warhol und der fünfte Stadtbezirk etwas gemeinsam: Eine Silberfabrik. "Wenn man an Siebdruck denkt, fällt einem sofort Andy Warhol ein", sagt Sarah Braconnier. Und dessen "Silver Factory" sei eben auch ein Ort gewesen, an dem Menschen kollektiv kreativ sein konnten.
Insofern hat die 30-jährige Haidhauserin mit der Silberfabrik in der Elsässer Straße vor einem Jahr gewissermaßen einen Münchner Ableger der bekannten New Yorker Ateliers geschaffen. Wer sich bereits auskennt mit Siebdruck, kann ihre Maschinen in der offenen Werkstatt gegen eine Mietgebühr von acht Euro pro Stunde nutzen. Auch Schul- oder Hortklassen können zum Drucken vorbeikommen. Die Technik des Siebdrucks habe sie bereits im Studium fasziniert, sagt die Kunstpädagogin. "Da kann man noch mit anderen Elementen arbeiten - mit Grafiken, Schriften, alten Illustrationen."
Papier, Stoff, Holz und Kunststoff: Es gibt kaum ein Material, das sich nicht bedrucken lässt. Zwar wird das Verfahren in der Industrie zunehmend von digitalen Angeboten abgelöst. Dafür erobert Siebdrucken nun die Freizeitbranche. Ein Trend? "Das Phänomen ist nicht ganz neu", sagt Braconnier, allerdings erfahre es im Zuge der "Do-it-yourself-Bewegung" einigen Auftrieb. "Die Leute haben wieder Lust, etwas mit den Händen zu machen."
In schöner Regelmäßigkeit veranstaltet Sarah Braconnier daher auch Workshops - an diesem Tag haben sich sechs Frauen in der Silberfabrik eingefunden. Michaela Kovacova probiert die Siebdrucktechnik das erste Mal aus. "Das ist wie Basteln für Erwachsene", sagt sie, während sie die Farbe mit einem Abstreichholz über das Sieb schiebt.
"Fluten", nennt sich dieser Arbeitsschritt. Dabei komme es darauf an, die Farbe gleichmäßig auf dem Sieb zu verteilen, hat Braconnier zuvor erklärt. "Im zweiten Durchgang muss die Farbe durch die Löcher auf den Stoff gedruckt werden."
Die Frauen hören aufmerksam zu, eine von ihnen macht sich Notizen. Immerhin ist Siebdrucken eine komplexe Angelegenheit: Zunächst muss eine Schablone hergestellt werden. Dazu werden Vorlagen wie Fotos, Zeichnungen oder Schriften auf ein Sieb geklebt, das anschließend mit einer fotochemischen Emulsion bestrichen und mit UV-Licht bestrahlt wird. Dadurch verschließen sich die Maschen - nur dort, wo ein Muster aufgeklebt wurde, zeichnen sich nach der Belichtung Blumen, Elche oder auch das Konterfei des Lieblingssängers im Sieb ab. Kompliziert? Kursteilnehmerin Sonja Adelberger winkt entschieden ab. Das höre sich in der Theorie viel schwieriger an, als es de facto sei: "Man muss es einfach mal machen", sagt sie - und wendet sich wieder ihrer Arbeit zu.
Als es für Michaela Kovacova ans eigentliche Drucken geht, wirkt sie dennoch aufgeregt. Die zierliche Frau stemmt sich auf das Abstreichholz, als wolle sie die dickflüssige Paste mit ihrem gesamten Körpergewicht durch die winzigen Löcher des Siebes pressen. Schwarz auf Weiß bildet die Textilfarbe das Logo der Band "30 Seconds to Mars" auf einem T-Shirt nach. Sie beugt sich nach vorne, prüft das Ergebnis: "Ich bin sehr zufrieden, sogar sehr dünne Linien sieht man", sagt sie. Der Aufdruck sehe genau so aus, wie sie es sich vorgestellt habe. Eine andere Teilnehmerin ist derweil noch damit beschäftigt, nach der Belichtung die Emulsion vom Sieb abzuwaschen: Innerhalb von Sekunden werden die zarten Stängel von Kirschblüten darauf sichtbar, noch nicht einmal 20 Minuten später ziert das Motiv in Neonpink Stoffservietten und Geschirrtücher.
"Mir gefällt die Atmosphäre, Sarah hat Zeit für jeden", sagt Adelberger. Die Werkstattinhaberin bekommt das Lob nicht mit. Zu sehr ist sie damit beschäftigt, Siebe abzukleben, bei der Wahl der Textilfarbe zu beraten - oder schnell zur Stelle zu sein, wenn farbige Finger versehentlich Tapsen auf dem Stoff hinterlassen haben.
Die Idee mit der Silberfabrik sei ihr schon eine Weile durch den Kopf gegangen, sagt sie in einer ruhigen Minute. Doch da es bevorzugt der fünfte Stadtteil sein sollte, dauerte es ein ganzes Jahr, ehe sie geeignete Räumlichkeiten fand. Im Umfeld der Schwabinger Museen etwa hätten sich bereits einige Kreativangebote angesiedelt, begründet sie diese Entscheidung. "In Haidhausen gibt es davon noch nicht so viel."