Süddeutsche Zeitung

Haidhausen:Nach dem Abspann

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Normalerweise ist Reden im Kinosaal verpönt. Beim Treff im Rio am Rosenheimer Platz ist es ausdrücklich erwünscht. Seit 30 Jahren diskutieren dort Filmbegeisterte regelmäßig mit Experten

Von Sophia Allenstein

Filme anschauen, heißt für mich, einen Spiegel zu haben, in dem man sich selber reflektieren kann", sagt Franz Haider, Gründungsmitglied des Kino-Treffs im Rio-Filmpalast. Und Eckart Bruchner, ebenfalls aus dem Gründungsteam, ergänzt: Film sei ein Mysterium, es werde dunkel, der Zuschauer versinke. "Mit Filmen kann man international Menschen zusammenbringen, das schafft kein Vortrag. Film ist ein Medium der Kommunikation, da geht's auf Herz, Bauch und Verstand." Bruchner und Haider sind schon Jahrzehnte dabei beim Treff im Kino am Rosenheimer Platz, der dieses Jahr 30-jähriges Bestehen feiert.

Einmal monatlich zeigt der Rio-Filmpalast ausgewählte Filme für die Gäste des Treffs; vorher mit fünfminütiger Einführung von Fachleuten und hinterher mit Diskussion im Kinosaal. Junge Filme, Raritäten, international, das Spektrum ist breit. Alle Filme folgen einem Motto, jedes halbe Jahr gibt es ein neues. 1989 nahm alles seinen Anfang mit dem Film "Schwarze Augen" von Nikita Michalkow und Initiatorin Paula Linhart, der "Grande Dame der katholischen Filmarbeit", wie Haider sie nennt. Als freie Mitarbeiterin hatte sie viele Kontakte in der Theatergemeinde München, Linhart wollte Film und Theater zusammendenken. Über 80 Jahre ist sie alt, als sie den Anstoß für das Projekt gibt. Das Süddeutsche Filmforum, vertreten durch den evangelischen Theologen Bruchner, und die AV-Medienzentrale mit Franz Haider tragen das Projekt bis heute mit. Der Kinotreff der Theatergemeinde München sei von Anfang an sehr erfolgreich gewesen, erzählt Haider. Früher seien zum Teil 200 Leute in die Vorstellungen gekommen.

Solche Zahlen sind heute allerdings selten geworden. "Den Zuschauerrückgang im Kino im letzten Jahrzehnt, den spüren wir auch," sagt Haider. Mit Blick auf Streaming-Dienste meint Bruchner: "Kino muss sich verändern." Aber es kommen auch junge Leute zum Rio-Filmtreff, etwa Studenten der Filmhochschule, die sich ältere Filme anschauen wollen. Zu viel Filmkunst platzieren die Organisatoren des Filmtreffs nicht, mit Rücksicht auf alle Zuschauer. Doch folgt die Filmauswahl gewissen Kriterien. "Man braucht einen Film, der Gesprächsstoff liefert", erklärt Haider. "Es sind keine Feel-good-Movies" sondern durchaus auch mal "sperrige, widerspenstige Werke".

Das aktuelle Treff-Programm ist mit dem Film "Tootsie" (1982) gestartet, denn in diesem Halbjahr soll es um das Thema "Häutungen" gehen. "Es gibt viele Filme, die haben mit Veränderung zu tun, das Innere nach außen kehren, Situationen, in denen sich die Lebenssituation dramatisch ändert", erläutert Medienpädagoge Haider. In der Travestiekomödie "Tootsie" verkleidet sich ein arbeitsloser Schauspieler (Dustin Hoffman) als Frau, um einen Job zu bekommen. Der April-Film "Verfehlung" handelt von sexuellem Missbrauch in der Kirche, und "Juno" im Mai von einer Sechzehnjährigen, die schwanger wird und ihr Baby austragen will.

Das Konzept scheint anzukommen. "Mir gefällt besonders die Einführung von einem Experten, der sich mit dem Thema beschäftigt hat, der mir Hintergründe vermittelt, auf die ich sonst nicht gestoßen wäre, sagt Stammbesucher Andreas Leibl. Experte, das kann etwa der Kapitän einer Organisation zur Seenotrettung sein, wie beim früheren Motto "Empört Euch!". Oder die Psychologin Barbara Fischer, die im März den Film "Die göttliche Ordnung" über das Frauenwahlrecht einführt. Das Kino besitze die Möglichkeit, auch kontroverse Themen zu transportieren, die sich im direkten Gespräch kaum ansprechen ließen, meint Eckart Bruchner. Außerdem werde im Theater danach nicht diskutiert, im Kino schon. "Das ist unsere Stärke."

Näheres zum Kino-Treff unter www.theage-muenchen.de

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SZ vom 22.02.2020
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