Haidhausen:Eine Frage des Blickwinkels

Tempo 30 zwischen dem Rosenheimer Platz und der Orleansstraße findet nicht nur Zustimmung

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Ralf Jezek fährt jeden Tag mit dem Fahrrad die Rosenheimer Straße entlang. Einen eigenen Fahrradweg gibt es für ihn und die anderen Radler auf dem etwa 600 Meter langen Abschnitt der Einfallstraße zwischen dem Rosenheimer Platz und der Orleansstraße nicht. Die Folge: Immer wieder sind Fahrradfahrer in Unfälle verwickelt. Zwar fährt Ralf Jezek ganz am Rand der Fahrbahn, doch eng wird es trotzdem: "Manchmal schneiden die einen so knapp, da könnte schnell ein Unfall passieren." Noch beschleunigen die Autofahrer dabei auf 50 Kilometer pro Stunde, sofern sie sich an die Verkehrsregeln halten. In Zukunft soll auf diesem Abschnitt der Rosenheimer Straße nur noch Tempo 30 erlaubt sein, so will es die Stadt. Einen eigenen Radweg bekommt Jezek deswegen nicht, die Sicherheit soll durch die verringerte Geschwindigkeit erhöht werden. Doch er ist skeptisch: "Mehr Platz ist dann bei Tempo 30 auch nicht." Er befürchtet sogar, dass der ein oder andere Autofahrer, verleitet durch scheinbare Sicherheit, noch rücksichtsloser fahren könnte.

Der Entscheidung im Rathaus ging eine jahrelange Debatte dazu voraus, wie man Radfahrer auf der Rosenheimer Straße besser schützen kann. Zwei Mal erarbeitete das Baureferat einen Umbauplan, beide Male ohne Erfolg. Den ersten kassierte das Kreisverwaltungsreferat wegen Sicherheitsbedenken. Den zweiten kritisierten Stadtteilpolitiker, Anwohner und Umweltverbände so scharf, dass er nicht mehr durchsetzbar war. Mit der Einführung von Tempo 30 reagierte die Stadt auf die Vorschläge der Einwohnerversammlung und des Haidhauser Bezirksausschusses (BA). Dementsprechend erfreut reagiert die BA-Vorsitzende Adelheid Dietz-Will (SPD): "Dass die Rosenheimer Straße Tempo 30 wird, ist auch auf die jahrelange Arbeit und Forderung des BA zurückzuführen."

Radwegende in der Rosenheimer Straße in München, 2017

Gefährliche Situation: In der Rosenheimer Straße in Haidhausen mündet der Fahrradweg abrupt in die viel befahrene Autospur.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auch Götz Möglinger, der das kleine Café "Emmi's Kitchen" auf Höhe der Balanstraße betreibt, freut sich über das neue Geschwindigkeitslimit: "Wären die Umbauten gekommen, hätte ich zusperren können." Er denkt, dass Tempo 30 für die Autofahrer eh nicht "so zwingend" sein werde. Das sieht Johannes Wagner ähnlich; der Haidhauser besitzt selbst kein Auto, für ihn als Fahrradfahrer ist die Rosenheimer Straße deswegen "ein Alptraum". Das werde nun besser, hofft er. Außerdem sei die verringerte Geschwindigkeit auch für die Kinder, die unbedacht auf die Straße laufen, sicherer. Nur eine Frage stellt er sich: "Was die Autofahrer wohl davon halten?"

Karl-Heinz Meyer kommt gerade von einer Besprechung in einer Taxizentrale. "Die Taxler sind über diese Regelung überhaupt nicht begeistert", berichtet er. Natürlich müsse man die Radler besonders schützen; in seinen Augen am besten mit einem Fahrradstreifen: "Wenn sich die Stadt einen Umbau der Straße leisten kann, wäre das sinnvoller." Ansonsten gebe es immer einen Verlierer. Wer bei Tempo 30 der Verlierer ist, ist für Reiner Ponschab, der auf dem Weg zum Rosenheimer Platz ist, eindeutig: "Man denkt wohl, den Autofahrern alles zumuten zu können." Trotzdem will er nun erst einmal abwarten, ob die Neuregelung tatsächlich mehr Sicherheit bringt.

Haidhausen: Schlechtes Gefühl: Für Radler wird es auf der Fahrbahn oftmals viel zu eng.

Schlechtes Gefühl: Für Radler wird es auf der Fahrbahn oftmals viel zu eng.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der stellvertretende BA-Vorsitzende Andreas Micksch (CSU) sieht das ähnlich: "Wir dürfen nicht aus allen Straßen, die aus der Stadt herausführen, die Leistungsfähigkeit herausnehmen." Seine Befürchtung: Rückstaus und mehr Verkehr auf anderen Straßen im Viertel. Die Mehrheit der BA-Mitglieder würde Micksch da wahrscheinlich widersprechen. Schließlich haben sie auf jüngst mehrheitlich beschlossen, dass sich auf der Rosenheimer Straße langfristig deutlich mehr ändern soll als lediglich die erlaubte Geschwindigkeit. Einem SPD-Antrag zufolge soll die Rosenheimer Straße "entsprechend dem Förderaufruf für Klimaschutz und nachhaltige Projekte" zu einem Modellprojekt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit werden. Oder wie Dietz-Will (SPD) sagt: "Es gibt Geld aus Berlin - das sollten wir mitnehmen." Das Ministerium fördert "Aktive Stadt- und Ortszentren" mit insgesamt 110 Millionen Euro in diesem Jahr. Unterstützt werden unter anderem Bauprojekte, die den öffentlichen Raum, also Straßen und Plätze, aufwerten. Die Rosenheimer Straße, so fordert es der Antrag, soll daher "als Schwerpunkt des Modellprojekts zur Entwicklung des Stadtteilzentrums als zentraler Begegnungs- und Verkehrsraum umgestaltet" werden.

Das Modellprojekt könne die Anforderungen für sämtliche Verkehrsbedürfnisse ohne großen baulichen Aufwand nachhaltig berücksichtigen. Tempo 30 sei dafür lediglich der erste Schritt, sagt Dietz-Will. Zudem sollen die vom Feinstaub und Streusalz geschädigten Ahornbäume entlang der Straße ausgetauscht werden. Der Antrag umfasst auch Teile der Rosenheimer Straße außerhalb Haidhausens. In Richtung Ramersdorf wünscht sich der BA die Straße zurück, wie sie es einmal war - "bevor in den Siebzigerjahren die Bäume gefällt wurden", sagt Dietz-Will. Als Baumallee samt Trambahn: "Beim MVV planen sie ohnehin langfristig mit dieser Strecke."

Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sei auch für ihn die optimale Lösung, sagt Ralf Jezek, während neben ihm ein Auto ausschert, um die grüne Ampel zu erwischen. Bis es so weit ist, habe er als Radler ohnehin nur eine Möglichkeit: "Ich nehme es eben so, wie es ist."

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