Süddeutsche Zeitung

Haidhausen:Ein Mops im Kinderwagen

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Ob auf der Suche nach Würstchen, ob drall oder pummelig, ob mit Hängebauch oder Ringelschwanz: Hunde haben es dem Maler und Bildhauer Roland Weiß angetan. Er zeichnet auf seinen Spaziergängen Cartoons von allen Vierbeinern, die ihm auffallen - weil sie witzige Dinge tun

Von Franziska Gerlach, Haidhausen

Am späten Samstagvormittag queren ein Jack Russell Terrier und sein Herrchen energischen Schrittes den Wiener Platz. Sie scheinen es eilig zu haben, der Hund noch eiliger als der Mann, als müssten sie dringend irgendwohin, als gäbe es irgendwo Würstchen gratis. Roland Weiß muss schmunzeln, als er das Gespann von einer Bank aus erspäht, er kennt die beiden. Oder genauer: Er hat sie schon gezeichnet und den Cartoon in einem seiner Bücher verewigt, das jüngste ist Ende 2020 unter dem Titel "Die heitere Welt der Hunde" erschienen. Der Jack Russell Terrier und sein Herrchen hätten früher oft in der Gaststätte "Zum Kloster", gelegen an der Preysingstraße, an der Theke gesessen, sagt der Künstler. Er erinnere sich noch gut daran, wie der Hund einmal die Geduld verloren habe, mit jedem Bier genervter geworden sei. "Der hat vielleicht geschimpft."

Roland Weiß zeichnet also Hunde. Sie begegnen ihm auf seinen Spaziergängen, von denen er jeden Tag drei unternimmt, jeweils 30 bis 45 Minuten lang, auf immer anderen Wegen. Und der 68-Jährige, der Grafikdesign und Kunstgeschichte in Augsburg und München studiert hat, geht nicht erst spazieren, seit das Coronavirus einen Großteil der Freizeitaktivitäten an die frische Luft verlegt hat. Bereits im Alter von sechs Jahren ging er mit seinem schwarzen Cocker Spaniel Gassi. Heute führen seine Touren meistens durch Haidhausen. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in diesem im doppelten Sinne grünen Viertel, wo es gefühlt fast so viele Hunde gibt wie Kinder. Besonders "ergiebig" sei der Wiener Platz, sagt Weiß. Als er sich dort dann eine Stunde später von der Bank erhebt, um seine obligatorische Runde durchs Viertel anzutreten, schaukelt der rote Stoffbeutel, in dem er seine Bücher mit sich trägt. Und es wird klar, wie recht er hat: Schon einige Straßenzüge weiter, an jener Ecke, wo die Schloßstraße den Spaziergänger in die Kirchenstraße entlässt, ist deutlich weniger geboten in Sachen Hund. Das gepflegte Exemplar mit dem glänzenden, kurzen Fell, das vor einem Bioladen an der Inneren Wiener Straße brav auf sein Herrchen wartete, hat Weiß da vermutlich schon vergessen. "Es kommt nicht nur darauf an, wie ein Hund aussieht, sondern auch darauf, was er macht", hatte der Haidhauser im Vorbeigehen gesagt. Aber wenn einer nur dastehe, mei, was soll man da zeichnen?

Ein Hund muss ihm schon auffallen, damit er zum Stift greift, idealerweise kommt ihm sogar spontan ein Name für das Tier in den Sinn. Ebenso, wie es bei jenem Hund war, mit dem vor rund zehn Jahren in einem Café am St.-Jakobs-Platz alles angefangen hat; "den Held" wird Weiß ihn taufen, weil dieser pummelige Mischling mit den hervorquellenden Augen sein Herrchen bis zum Anschlag der Leine gegen andere Gäste und Hunde verteidigte. Seit diesem "persönlichen Auslöser" sind rund 250 Zeichnungen im Cartoon-Stil entstanden, deren Konturen Weiß digital verstärkt und mit kurzen, humorigen Texten versieht. Vier Bände "Hunde in Haidhausen und anderswo" hat er seit 2016 in einem Verlag für Selbstpublikationen drucken lassen. Reich werde er damit nicht. Und weil ihm seine Unabhängigkeit wichtig sei, möchte er sich auch keinen Hund zulegen. Aber es bereitet ihm einfach Freude, diese Tiere zu beobachten. "Hunde sind so witzig", sagt der Haidhauser und dehnt die Vokale, als wolle er jedweden Zweifel an dieser Behauptung ausräumen. Ihr Gang, ihre Gestalt. Einfach witzig, diese Hunde, kleine mehr noch als große. Besonders französische Bulldoggen haben es ihm angetan, so schön drall und athletisch zugleich. Und ganz augenscheinlich hat Weiß einen Blick für hängende Bäuche und Backen, für Ringelschwänze und krumme Beine und für den Fakt, dass Hunde und ihre Besitzer sich im Laufe der Jahre optisch gelegentlich aneinander annähern.

Das wird auch am Beispiel des Bernhardiners und seines Herrchens deutlich, die Weiß dabei beobachtete, wie sie vom Fenster aus mit synchronen Kopfbewegungen dem Verkehr auf der Türkenstraße verfolgten. In Haidhausen wiederum inspirierten ihn unter anderem ein Mops im Kinderwagen zu einem Cartoon sowie zwei rausgeputzte Afghanendamen, die "wie Models" durch die Maximiliansanlagen flanierten; auch "Schweini" amüsierte ihn, der nach Bastian Schweinsteiger benannte Hund vom Haidhauser Biergart'l am Wiener Platz, der im Übrigen wirklich so heißt, weil er so "Ball-fixiert" sei, wie Weiß erzählt.

Wer seine Arbeit allerdings auf die Gags eines zeichnenden Hundeliebhabers reduziert, wird dem Maler und Bildhauer nicht gerecht. Seit drei Jahren ist Roland Weiß in Rente, doch früher schuf er in seiner Werkstatt an der Preysingstraße durch klare Formen bestechende Skulpturen aus blankem wie verrostetem Blech oder Eisen. Er malte und fotografierte, setzte sich in seinen Gemälden kritisch mit dem Kult um Körper auseinander und fertigte aus Baustellenfotos surrealistisch anmutende Collagen. Für sein jüngstes Buch hat Weiß seine Hunde nun am Computer vor Fotografien aus der Stadt gesetzt: Vor dem Müller'schen Volksbad wundert sich ein Setter darüber, dass Pfoten in Pfützen nass werden, am Rindermarkt schmiegen zwei Dackel ihre langen Körper aneinander, beim Chinesischen Turm muss ein kleiner Dicker eine ordentliche Standpauke über sich ergehen lassen. Selbst mit einem kräftigen Organ ausgestattet war dagegen "Laika", der nach der russischen Weltallhündin benannte Nachbarshund aus Laim, wo Weiß zeitweise wohnte. Das Tier habe so viel gebellt, sagt er, dass er sich vorgestellt habe, es gründe sich eine Nachbarschaftsinitiative, um den Kläffer auf den Mond zu schießen. Sicher nicht die hundefreundlichste Lösung. Aber ziemlich lustig.

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SZ vom 05.03.2021
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