Süddeutsche Zeitung

Hadern:Wo München am meisten altert

  • Hadern ist der Bezirk in München, der stetig älter wird. Das geht aus dem Überalterungsquotienten der Stadt hervor.
  • Menschen, die als junge Familien hergezogen sind, sind inzwischen alt, während ihre Kinder längst erwachsen und fortgezogen sind.
  • Viel zu wenig junge Familien kommen ins Viertel.

Von Andreas Schubert

Wer mit Ingrid Appel in ihrer Nachbarschaft am Haderner Stern unterwegs ist, merkt schnell, dass die Frau hier recht bekannt ist. Sei es im Café Capposecco, oder beim Spaziergang durchs Viertel: Immer wieder grüßen Passanten die 77-Jährige, die seit mehr als 40 Jahren hier wohnt. Appel ist die Vorsitzende der Mieterinitiative Haderner Stern und Seniorenbeirätin. Und als solche hat sie viel Kontakt zu den Menschen im Viertel, organisiert Nachbarschaftstreffen, hilft beim Ausfüllen von Behördenformularen oder organisiert Mittagessen für Senioren im Restaurant Mehlfeld's.

Die Frau, der man ihr Alter kaum anmerkt, hat gut zu tun: Der Haderner Stern ist eine große Nachbarschaft, in der viele ältere Menschen leben - und viele davon wohnen in großen, einst für Familien gebauten Wohnungen, die eigentlich zu teuer sind. Aber einfach so in eine kleinere Wohnung umziehen, kommt für viele nicht in Frage. Denn mit der Entwicklung der Mietpreise im gesamten Stadtgebiet, seien kleinere Wohnungen mit neuen Mietverträgen genauso teuer wie größere Unterkünfte, in denen die Senioren teils schon seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten leben. Was also tun?

Mietpreise sind die größten Sorgen der Rentner

"Es würde schon vielen helfen, wenn sie Wohngeld bekommen würden", sagt Appel. "Aber viele sind nicht anspruchsberechtigt." Sprich: Die Renten sind zu hoch, um einen Mietzuschuss von der Stadt zu bekommen, gleichzeitig aber sind sie zu niedrig, um die hohen Lebenshaltungskosten in der Stadt zu bestreiten. Zwei Rentnerinnen aus der Nachbarschaft seien deshalb kürzlich weggezogen nach Thüringen, erzählt Appel. Eine nach Jena, eine nach Gera, "weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten". Und auch sie selber würde gerne in eine kleinere, günstigere Wohnung ziehen, aber die gebe es in der Gegend nicht. "Ich bin vor 77 Jahren in München geboren", erzählt Appel. "Es könnte sein, dass ich München verlassen muss."

Das will sie natürlich nicht. Und auch wenn die Mietpreise die größte Sorge der Rentner sind, geht es der Seniorenbeirätin auch darum, wenigstens Angebote für Senioren zu schaffen, damit das Leben lebenswerter wird. Denn Not im Alter bedeutet nicht nur Geldmangel, sondern auch Einsamkeit. Sprechstunden für Senioren, Spielenachmittage, Vorträge zu verschiedenen altersspezifischen Themen sind Möglichkeiten, ein Sozialleben aufrecht zu erhalten.

Und der Bedarf steigt. Hadern ist der Stadtbezirk, der am meisten altert. Rein statistisch lässt sich dies an bestimmten Kennzahlen ablesen. Zum einen gibt es den sogenannten Altenquotienten, nach dem Hadern schon jetzt der "älteste" Stadtbezirk ist. Der Quotient berechnet sich aus dem Verhältnis der Einwohner über 65 zu den Einwohnern zwischen 15 und 64. Dann gibt es noch den Überalterungsquotienten. Hier zählt das Verhältnis der über 65-Jährigen zu den Menschen im Alter von 0 bis 15. Gemessen an diesem Quotienten ist der Stadtbezirk 20 eine Besonderheit: Während der Überalterungsquotient in allen andern Münchner Stadtteilen seit Jahren sinkt, steigt er hier seit Jahren an.

Am Haderner Stern lässt sich diese Entwicklung nachvollziehen. Knapp 1000 Wohnungen gibt es in diesem 1976 eröffneten Gebäudekomplex, der in seiner Beton-Ästhetik ein klassisches Kind seiner Zeit ist. Einer Zeit, als die Menschen nicht mehr in unsanierten Altbauten mit Öl- oder Kohleofen leben wollten und lieber an den Stadtrand in moderne Wohnungen mit Balkon und Zentralheizung zogen. Es waren helle Wohnungen, die passende Infrastruktur mit Geschäften, Arztpraxen und Gastronomie gehörte zum Entwurf dazu. Und viele Menschen, die damals als junge Familien hergezogen sind, sind inzwischen alt, während die Kinder längst erwachsen und fortgezogen sind.

50 000 Menschen leben inzwischen im Bezirk 20, der freilich nicht nur aus großen Wohnblöcken wie am Haderner Stern oder der Blumenau besteht, sondern - wie in Großhadern - noch heute teils wie ein Dorf in der Stadt wirkt, vom Klinikum mal abgesehen.

Und obwohl auch in Hadern noch nachverdichtet wird, gehört es zu den am langsamsten wachsenden Stadtbezirken. Die Prognose im aktuellsten Demografiebericht sieht bis zum Jahr 2035 ein Wachstum von zehn Prozent vor, der gesamtstädtische Durchschnitt liegt bei 19,3 Prozent. Betrachtet man die einzelnen Altersgruppen, fällt eine deutliche Zunahme bei den 30- bis 44-Jährigen sowie den 60- bis 69-Jährigen auf. Das Seniorenheim Augustinum fällt mit seinen rund 500 Bewohnern übrigens bei der Statistik nicht ins Gewicht.

Kaum Bautätigkeiten, wenig junge Menschen im Viertel

Der Anteil der 30- bis 44-Jährigen an der gesamten Haderner Bevölkerung ist mit rund 20 Prozent im Vergleich zu anderen Stadtrandbezirken eher gering, wird sich laut städtischer Prognose in den kommenden Jahren aber auf rund 23 Prozent erhöhen. Nur relativ schwach hingegen wird das Einwohnerwachstum bei Kindern und Jugendlichen ausfallen. Dies ist laut Demografiebericht teilweise auf Einwohnerverluste potenzieller Eltern im Alter zwischen 20 und 29 Jahren bis zum Jahr 2035 zurückzuführen. Zudem sei nur wenig Bautätigkeit absehbar und die Frauen im 20. Stadtbezirk bekämen vergleichsweise wenig Kinder.

Also muss man was für die tun, die schon hier sind - für die Alten, findet Ingrid Appel. Sie würde sich etwa am Stiftsbogen ein zusätzliches Alten- und Seniorenzentrum als Treffpunkt wünschen. Immerhin gibt es seit kurzem eine Boule-Bahn und einen kleinen Fitnessparcours. Eine Boule-Bahn ist es deshalb geworden, weil die gewünschte Sommerstock-Bahn zu laut gewesen wäre. Und Lärmbelästigung durch Senioren am Nachmittag - so etwas darf in München offenbar nicht sein.

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SZ vom 23.01.2018/bica
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