Hadern:Als das Hakenkreuz den Ort prägte

Mit der Ausstellung "Wie Krieg war in Hadern" zeichnet der Geschichtsverein ein umfassendes und kleinteiliges Bild von der NS-Zeit in dem Dorf vor den Toren Münchens, das bis 1938 selbständig war

Von Berthold Neff, Hadern

Bevor der Vater oder der Bruder fiel, sah der Krieg für viele Kinder in Hadern aus wie ein Spiel. Und selbst dann, als die ersten Bomben fielen, fanden es die Buben faszinierend, in der Schule die gefundenen Splitter zu tauschen, wobei solche mit eingravierter Nummer natürlich viel begehrter waren als solche ohne. Und es galt als Mutprobe, auf die Bombentrichter auf der Wirschingwiese mit verbundenen Augen zuzugehen und so lange auf den warnenden Zuruf der Freunde zu warten, bis man fast hineingefallen wäre. "Händchen falten, Köpfchen senken und an Adolf Hitler denken", beteten die Kinder im Religionsunterricht an der Canisiusschule, aber beim Schulhof-Appell zog man es meist vor, weiter hinten zu stehen. "Wir standen ungern in der ersten Reihe", erinnert sich der frühere Münchner Bürgermeister Winfried Zehetmeier: "Dahinter konnten wir nämlich den erhobenen Arm auf der Schulter des Vordermannes ausruhen."

Zehetmeier, der am 26. Juni 2019 im Alter von 86 Jahren gestorben ist und den die Stadt mit einem Ehrenbegräbnis auf dem Waldfriedhof würdigte, gehörte zu den Zeitzeugen, mit denen die Macher vom Geschichtsverein Hadern noch reden konnten für ihre große Ausstellung "Wie Krieg war in Hadern", die noch bis Freitag, 15. November, im Stadtteilkulturzentrum Guardini 90 am Haderner Stern zu sehen ist. "Wir wollten greifbar machen, was hier bei uns im Dorf damals los war", sagt Reinhard Weber, 62 Jahre alt und seit einem Jahr Vorsitzender des Geschichtsvereins.

Hadern: Ein Training, aus dem später bitterer Ernst wurde: Schüler der Canisiusschule bei einer Luftschutzübung.

Ein Training, aus dem später bitterer Ernst wurde: Schüler der Canisiusschule bei einer Luftschutzübung.

(Foto: Privat)

Zusammen mit einem Team von 14 Mitgliedern - darunter sein Vorgänger Alfons Kunz, Kurt Einhellig, Otto Gugger und Frauke Bristot - arbeitete er ein halbes Jahr lang intensiv, um die Ausstellung mit städtischer Unterstützung 80 Jahre nach Kriegsbeginn auf die Beine zu stellen, die auf 24 großen Schautafeln an die Kriegszeit erinnert.

"Wir wollten ein umfassendes Bild jener Zeit liefern und keine lustigen Geschichten vom Krieg", sagt Reinhard Weber. Und er fügt hinzu, dass es allein schon aufgrund dieser 80 Jahre schwierig geworden sei, Zeitzeugen zu finden. Wer heute noch lebt, erlebte diese Zeit allenfalls als Kind und sah das, was die Erwachsenen verschuldeten oder durchlitten, meist nur durch die kindliche Brille. "Das war auch eine schöne Zeit während des Krieges, weil wir total frei waren", erinnert sich Chris Gittner, die später, 1969, den musischen Kindergarten "Gittnergarten" in Hadern eröffnete und die Leitung erst jetzt im September abgab.

Der Aufstieg der Nationalsozialisten deutete sich in Hadern, bis 1938 als Großhadern noch ein eigenständiges Dorf, früh an. Bei der Reichstagswahl kam die NSDAP dort auf 34,4 Prozent der Stimmen, mehr als ihr Gesamtergebnis von 33,1 Prozent. Als dann Adolf Hitler Reichskanzler war, begannen die Säuberungen auch in Hadern. Kommunisten und Sozialdemokraten wurden verhaftet und nach Dachau gebracht. Das Hakenkreuz setzte sich im Ortsbild fest, auch als Emblem des Maibaums. Der mittlerweile von Nazis dominierte Gemeinderat und die Pfarrei St. Canisius einigten sich 1934 darauf, dass auch das Hakenkreuz dort seinen Platz finden konnte - knapp oberhalb der Monstranz, während der Reichsadler an der Spitze flatterte.

Hadern: Das Hakenkreuz über der Monstranz: Auch der Maibaum von 1934 zeigte, wer nun in Hadern das Sagen hatte.

Das Hakenkreuz über der Monstranz: Auch der Maibaum von 1934 zeigte, wer nun in Hadern das Sagen hatte.

(Foto: Privat)

Viele Haderner Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Zeugen Jehovas waren da schon längst in "Schutzhaft", im KZ Dachau. 1935 trieben Haderner SA- und SS-Leute den Viehhändler Lois Lindauer, den so gut wie jeder kannte, in erniedrigender Weise aus dem Dorf, und der Ortsbauernführer verordnete, dass "Juden unerwünscht sind". Wer nicht flüchten konnte, wurde verschleppt, ermordet. Anna Paroubek, Schneiderin, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie ein Jahr später starb. Hugo Railing, der seine Textildruckerei 1936 verkaufen musste, wurde 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Gretel Weiß, die in der Maximilianstraße die Parfümerie "Orchideengarten" führte, wurde am 20. November 1941 ins Vernichtungslager Kaunas deportiert und dort drei Tage später erschossen.

Hitlers Vernichtungskrieg hatte da längst auch die Haderner getroffenen. Zwölf Soldaten fielen 1941, im Jahr darauf ließen 20 ihr Leben. 1944, als das Attentat auf Hitler fehlschlug, fielen 26 junge Haderner. Die Familie Wohlmuth verlor drei von sieben Söhnen, Konrad und Alois Wohlmuth fielen 1941, Maximilian kurz darauf. Ihr Vater Alois hatte schon 1919 sein Leben verloren, er wurde wegen des Verdachts, die "Roten Garden" der Räterepublik unterstützt zu haben, von "Weißen Garden" an der Würmtalstraße erschossen. 1943 gab es dann die ersten Bombenopfer, bis Kriegsende starben bei Fliegerangriffen 20 Haderner.

Als der Krieg zu Ende geht, vernichten viele Familien all das, was auf ihre Nähe zum Regime hindeutet: Hitler-Porträts, Fahnen, Hakenkreuze. Was auf dem Dachboden vergessen wurde, fand seinen Weg in eine Vitrine der Ausstellung.

"Wie Krieg war in Hadern" im Guardini 90, Guardinistraße 90, ist bis zum 15. November täglich von 10 bis 12 Uhr geöffnet, Dienstag und Donnerstag auch von 17 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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