Haar:Mutter hat vermutlich zweites Baby getötet

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Im April fand die Polizei in Haar eine Babyleiche. Nun zeigt sich: Die Mutter ließ wohl schon 1995 ein Neugeborenes verhungern.

Monika Maier-Albang

Mitte April hatten Polizeibeamte in der Wohnung einer 38-jährigen Frau in Haar die stark verweste Leiche eines neugeborenen Buben gefunden. Das Kind lag in einem Schrank in einem abgesperrten Zimmer; zuvor hatte die Mutter es offenbar in einer Plastiktüte auf dem Balkon abgelegt (Die SZ berichtete).

Auf dem Balkon dieses Hauses in Haar war das im April gefundene tote Baby versteckt. (Foto: Foto: Claus Schunk)

Inzwischen erhärtet sich der Verdacht, den die Ermittler schon länger hegen: dass die Frau nicht nur dieses eine Kind verhungern ließ. Vermutlich brachte die Frau bereits im Oktober 1995 ein Mädchen zur Welt - und kümmerte sich dann ebenfalls so lange nicht um das Baby, bis es starb. Warum sie es getan hat, darüber rätseln die Ermittler noch - war sie als bereits allein erziehende Mutter überfordert mit dem Kind? Gibt es tieferliegende, psychische Ursachen? Waren es die Schocks ungewollter Schwangerschaften, dass Alexandra S. zwei ihrer Kinder nach der Geburt unversorgt ließ?

Die Frau wohnte damals, 1995, in Neuried, ebenfalls in einer Mietwohnung. Offenbar brachte sie dort auf der Toilette das Kind zur Welt, ein Mädchen. Bei der Geburt in Haar war sie ganz alleine gewesen; ob dies auch in Neuried der Fall war, prüfen die Ermittler noch. Einen Sohn hatte sie zu dem Zeitpunkt bereits; er ist heute 17 Jahre alt und wird wie seine sieben Jahre alte Schwester nun vom Jugendamt betreut.

In den ersten Befragungen hat die 38-Jährige eine weitere Schwangerschaft aus dem Jahr 1995 anfangs bestätigt, "inzwischen macht sie aber keine Aussagen mehr", sagt Markus Kraus, der neue Leiter der Münchner Mordkommission. Wo sich die Babyleiche befindet - und ob man sie überhaupt je finden wird - ist unklar.

Die damals 24-Jährige vertraute sich Kraus zufolge ihrer jüngeren Schwester an, die das tote Kind wegbrachte. Wohin, das will Alexandra S. nie in Erfahrung gebracht haben, sagte sie zumindest in ihrer Vernehmung durch die Mordermittler. Die Schwester aber können die Kripobeamten nicht mehr befragen - sie starb 1996.

Die Mutter, die aus Bayern stammt und gelernte Einzelhandelskauffrau ist, sitzt nun seit ihrer Verhaftung Anfang April in Neudeck in Untersuchungshaft. Gegen sie wird wegen Totschlags durch unterlassene Hilfeleistung ermittelt - nun in zwei Fällen. Denn auch wenn das Kind 1995 geboren wurde, so ist die mutmaßliche Tat nicht verjährt; die Verjährungsfrist beträgt bei Totschlag mindestens zwanzig Jahre.

Die Staatsanwaltschaft hat ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, um sich ein Bild darüber machen zu können, was in der Frau vorging, als sie ihre Kinder sterben ließ. Wer die Väter sind, darüber schweigt die Frau sich aus. Die Familienverhältnisse seien aber "äußerst kompliziert", sagt Markus Kraus. Im Bekanntenkreis und auch bei der Polizei erzählte Alexandra S., dass sie an Brustkrebs erkrankt sein - was sich mittlerweile als unwahr herausstellte.

In Haar wohnte Alexandra S. am Jagdfeldring, in der dritten Etage eines siebenstöckigen Gebäudes. Hier brachte sie am 5. Januar dieses Jahres den Sohn zur Welt, dann ließ sie ihn verdursten und verhungern, packte den leblosen Körper in eine Plastiktüte und deponierte das Bündel auf dem Balkon. Als ihr Freunde beim Ausmisten der Wohnung halfen, entdeckte einer die Tüte mit dem Baby. "Alles in Ordnung, die Polizei weiß Bescheid", log die Mutter. In Haar machte die Geschichte von dem toten Baby am Balkon die Runde - bis schließlich ein Bürger die Polizei alarmierte. Das Baby ist inzwischen auf dem Waldfriedhof in Haar bestattet worden, auf dem sogenannten "Birkenhain", inmitten von Kindergräbern.

Der Haftbefehl gegen die 38-Jährige erging wegen Totschlags durch unterlassene Hilfeleistung. Sollte Alexandra S. als voll schuldfähig angesehen werden, drohen ihr fünf bis 15 Jahre Haft. Die Polizei ermittelt weiter und prüft dabei auch, ob Alexandra S. noch weitere Schwangerschaften verheimlicht hat.

© SZ vom 13.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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