Haar/München:Wie in Trance

In der Galerie des Bezirks Oberbayern sind die Preisträgerarbeiten des Kunstförderpreises "Seelen-Art" in einer Ausstellung zu sehen. Er wird an Menschen mit Psychiatrieerfahrung verliehen

Von Franziska Gerlach, Haar/München

Haar/München: Kunstinteressierte in der "Seelen-Art"-Galerie.

Kunstinteressierte in der "Seelen-Art"-Galerie.

(Foto: Stephan Rumpf)

Erster Platz? "Och", sagt Heribert Haselstein, 56, und zupft das Revers seines Sakkos zurecht, in dem Glas vor ihm auf dem Stehtisch wirbeln die Perlen seines frisch eingeschenkten Mineralwassers. "14 andere haben auch einen Preis." Damit hat der Künstler natürlich recht: Beim oberbayerischen Kunstförderpreis "Seelen-Art", den das kbo-Sozialpsychiatrische Zentrum in Haar und der Bezirk Oberbayern jetzt zum vierten Mal vergeben haben, werden nicht einfach nur die Stufen eines Siegertreppchens besetzt. Aus 499 eingereichten Arbeiten hat die Jury vielmehr 45 Preisträger in drei Kategorien bestimmt. Und die 46 Arbeiten der 15 Künstler der ersten "Preisvorstellung", die zeigt nun eine Ausstellung bis zum 9. Oktober in der Galerie des Bezirks Oberbayern an der Prinzregentenstraße in München. In dieses etwas komplizierte System der Preisvergabe muss man sich zunächst einmal eindenken, es ergibt aber durchaus Sinn: Denn die Auszeichnung unter der Schirmherrschaft des Kabarettisten Gerhard Polt richtet sich an Menschen, die sich über die Kunst mit der seelischen Gesundheit auseinandersetzen, und viele von ihnen haben tatsächlich Psychiatrieerfahrung.

Malerei, Grafik und Fotografien vereint die Schau an der Prinzregentenstraße, gegenüber dem Haus der Kunst. Aus manchen dieser oftmals farbgewaltigen Bilder spricht Lebensfreude, aus anderen Angst, und aus dritten jenes Quäntchen Verrücktheit, das echte Genialität ausmacht. Seit April 2015 besteht an der Ladehofstraße in Haar die Tagesstätte Seelen-Art, ein offenes Atelier, in dem psychisch kranke Menschen unter kunsttherapeutischer Begleitung die Möglichkeit haben, ihre eigene Schaffenskraft zu entwickeln. Die Bewerbungen für den Kunstförderpreis kommen aber natürlich nicht nur von dort, sondern aus ganz Oberbayern. Für die Künstler sei die Teilnahme an Seelen-Art eine große Sache, erzählt Ulrike Ostermayer, die das Projekt leitet. Viele bereiten sich Wochen, wenn nicht sogar Monate auf den Wettbewerb vor. Denn eine Ausstellung bringe den Künstlern Anerkennung, und diese Anerkennung wolle man gerne vielen von ihnen zuteil werden lassen.

Haar/München: Hier ein Bild des Sonderpreisträgers Günter Neupel.

Hier ein Bild des Sonderpreisträgers Günter Neupel.

(Foto: Stephan Rumpf)

Heribert Haselstein ist bei aller Bescheidenheit natürlich dennoch so richtig Erster. Und während Johannes Janz, 44, und Roxanne Ziemann, 26, es heuer das erste Mal unter die drei Besten geschafft haben, hat Haselstein schon in den Jahren zuvor für seine Arbeiten massenhaft Punkte erhalten. Ist ja auch irre, was der Mann mit dem dichten grauen Haar zustande bringt. Haselstein hat Technischer Zeichner gelernt, ehe bei ihm Schizophrenie diagnostiziert wurde. "Traumhausvision 1", "Traumhausvision 2" und "Traumhausvision 3" hat er seine Bilder überschrieben. Keine opulenten Villen mit Rhododendron im Vorgarten, wie man sie aus Bogenhausen oder Grünwald kennt. Haselsteins Häuser sind von einer ätherischen Leichtigkeit, sie scheinen geradezu im freien Raum zu schweben. Mehrgeschossige Konstrukte von futuristischer Optik in einer Galaxie aus Planeten, Pfeilen und geometrischen Formen vor einem sanften Blau - entstanden aus Folien mit ganz unterschiedlich angeordneten Linien, die er immer wieder neu kombiniert, übereinanderlegt, strukturiert. Die Akkuratesse, die das Anordnen der Linien abgeverlangt, gibt ihm auch Ruhe. "Da bin ich wie in Trance", sagt er.

Mit einer Unmenge an Details besticht auch die Arbeit von Günter Neupel, 60. Der Künstler hat sich in diesem Jahr bereits zum vierten Mal für den Kunstförderpreis beworben und dabei bereits zum vierten Mal die Höchstpunktzahl erreicht. Was also tun, fragte sich die Jury, und vergab 2018 erstmals einen Sonderpreis - und dieser führt den vielfältigen Münchner Künstler nach Berlin. Neupel schreibt nämlich auch, seit er 14 Jahre alt ist. Vor allem aber schafft der Münchner mit Buntstift ganz zauberhafte Wesen, die er in seinem Bild "Des Jahres Tage fallen in die Nacht" teilweise in einem Kreis angeordnet hat. Bäume mit Gesichtern zum Beispiel oder Vogelmenschen, die stark an den Horus erinnern, den Himmelsgott aus der Mythologie des Alten Ägyptens.

Haar/München: Der Maler Heribert Haselstein hat den ersten Preis beim Oberbayerischen Kunstförderpreis "Seelen-Art" gewonnen. Er richtet sich an kreative Menschen, oft mit Psychiatrie-Erfahrung.

Der Maler Heribert Haselstein hat den ersten Preis beim Oberbayerischen Kunstförderpreis "Seelen-Art" gewonnen. Er richtet sich an kreative Menschen, oft mit Psychiatrie-Erfahrung.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nun, und als vorne am Rednerpult Friederike Steinberger, die stellvertretende Bezirkstagspräsidentin von Oberbayern, verkündet, dass mit Neupel als Sonderpreisträger nun erstmals "ein Seelen-Art-Künstler" in einer Galerie in Berlin ausstelle, da brandet Applaus auf unter den Gästen der Vernissage. Eine Frau ruft: "Klasse!" Ja, klasse gemacht. Und in gewisser Weise trifft dieses Kompliment auf jeden Künstler der Ausstellung zu. Denn so unterschiedlich die Männer und Frauen in ihrem Stil auch sein mögen, so sind ihre Werke doch alle Ausdruck von unbändiger Fantasie und eines Innenlebens, dessen verschlungene Wege und Pfade der Betrachter freilich nur erahnen kann.

Christina Diana Wenderoth, 50, ist da eine überaus dankbare Gesprächspartnerin. Wenn sie davon spricht, wie die Fotografien von ihren Naturinstallationen entstehen, sieht man die Münchnerin mit den Sommersprossen förmlich vor sich: Wie sie durch den Südpark spaziert, und eigentlich auf die SMS eines Mannes gewartet habe. Doch dann war da auf einmal dieser Baum, und diese ganzen Fichtenäste. Also beginnt sie, die Äste um den Stamm zu wickeln. "Und dann ist die Installation gewachsen, während der Zeit des Wartens."

Die Ausstellung Seelen-Art ist bis zum 9. Oktober zu sehen in der Galerie des Bezirks Oberbayern an der Prinzregentenstraße 14, München, Montag bis Donnerstag 8 bis 17 Uhr, Freitag 8 bis 13 Uhr.

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