Süddeutsche Zeitung

Pop:"Es geht uns immer um die Platte"

Das im Geiste des Punk geborene Münchner Underground-Label "Gutfeeling Records" feiert 30-jähriges Bestehen und kehrt zu seinen Wurzeln im Kafe Kult zurück.

Von Martin Pfnür

Der ebenso urige wie wohlsortierte Gutfeeling Recordstore an der Reisingerstraße ist ein wundersamer Ort. Geht man dort auf musikalische Entdeckungsreise, so wird man zwar keine CDs, dafür aber ein Vinyl-Sortiment vorfinden, wie es eigener kaum sein könnte. Bootlegs von Bands wie den Misfits, die einst den Horrorpunk erfanden, stehen hier nicht weit entfernt von Cumbia-Raritäten, handverlesenen Country- und Jazz-Platten oder dem Debüt von Weltbands wie The Cure.

Und dann sind da ja auch noch jene Label-Rubriken namens "Trikont" oder "Echokammer", die plattensammelnden Hipster-Touristen wohl ebenso wenig sagen dürften wie all die prominent an der Wand platzierten Schätze von Bandprojekten mit so unwahrscheinlichen Namen wie Lovebrain's Rose of Agra, Stringlane and Diskotäschchen, Mount Blakelock und die Orden der Nacht, supported by 85/86 CC, unspoken Space at Kreuz Giesing.

Dabei liegt ja gerade in dem, was da alles an der Wand prangt, die Essenz dieses Unternehmens, das 1993 mit der ersten Gutfeeling-Single der ersten Gutfeeling-Band ins Leben gerufen wurde: Inpalumbia. Ein Bandname wie ein Zauberwort. Vier Songs auf grün marmoriertem Vinyl, die erkennen lassen, dass diese Truppe in der Hardcore- und Punk-Szene sozialisiert wurde, sich mit einem Trompeter und wavigen Anklängen aber auch entschlossen zeigte, über den Tellerrand hinaus zu blicken.

"Klar haben wir damals auch versucht, bei einem Label unterzukommen", sagt Andreas Staebler, der bei Inpalumbia Gitarre spielte und heute zusammen mit Daniel Kappla und Sascha Schwegeler (Grafik) den Kern von Gutfeeling Records bildet. "Aber die hatten alle kein Interesse. Also haben wir uns eben gesagt: ,Egal, mach' ma's einfach selber.'"

Und so beginnt die Gutfeeling-Geschichte mit ein paar Körben - und mit Staeblers gutem Freund Daniel Kappla, der als Inpalumbia-Fan Nummer eins mit finanziellen Rücklagen in die Bresche springt, um sich mit der Beteiligung an einem Tonträger auch einen Lebenstraum zu erfüllen. "Uns war es damals eigentlich relativ egal, ob das auch jemand kauft", sagt er. "Man will's halt erst mal machen."

Dennoch ziehen noch ein paar Jahre ins Land, bis es mit ihrem nach einem Song der durchgeknallten New-Wave-Combo Devo ("Gut Feeling") benannten Label so richtig los geht. Als G.Rag schafft Staebler Richtung Jahrtausendwende seine ganz eigene musikalische Inkarnation, und schart mit der nahezu kompletten Inpalumbia-Besetzung, Daniel Kappla an der Gitarre, Sascha Schwegeler an der Percussion und zahlreichen Freunden ein Kollektiv in erweiterter Fußballmannschaftsstärke um sich.

Als vierzehnköpfiges "Mediterranean Carribbean Trash Folk Space Arkestra" samt eines aus Plastikkisten und allerlei Blech zusammengezimmerten Schlagzeugs und eines fünfköpfigen Bläsersatzes sind G.Rag Y Los Hermanos Patchekos seit ihrem im Jahr 2000 erschienenen Debüt "Radio Tijuana" nicht mehr aus der Münchner Szene wegzudenken. Zwischen Coverversionen und Eigenkompositionen scheppern sie sich im schönsten Punk-Geiste irgendwo zwischen Cumbia und Folk und Swing auf nunmehr neun Alben südwärts durch die weite Welt.

Ebendiese charmante Lust am Ungeschliffenen, die auch Staeblers volksmusikalisch verzwirbelte zweite Bigband G.Rag & die Landlergschwister auszeichnet, ist denn auch der gemeinsame Nenner aller 82 Gutfeeling-Platten. Das ist zum einen eine Sache der Do-It-Yourself-Haltung und -Ästhetik, die Staebler und Kappla von den späten Achtzigern an in der Oberföhringer Subkultur-Bastion Kafe Kult eingesogen haben. Zum anderen hat es aber auch schlicht mit Überlebensgründen zu tun.

"Eine Band zwei Wochen ins Studio zu schicken und dann alles zu zahlen, ist bei uns einfach nicht drin", sagt Daniel Kappla. "Gutfeeling ging über Jahre nur, weil das Label über zwei Bands gegenfinanziert wurde. Wir haben mit nichts wirklich etwas verdient, auch wenn wir manchmal Glücksfälle dabei haben. Groß Geld damit zu machen, ist aber auch nicht das Ziel. Es geht uns immer nur um die Platte - darum, dass die schön ist und uns Spaß macht."

Der Underground-Sound Münchens und der Umgebung hat hier seine Heimat

Und so behelfen sich diese Herzblut-Idealisten mit ein paar Grundsätzen, um als Label überlebensfähig zu bleiben. Keine großen Bands. Keine Verträge. Und kleine Vinyl-Auflagen um die 300 Stück, die idealerweise bereits über den hauseigenen Newsletter, und über den Merchandise der tourenden Bands bei der Zielgruppe landen. "Da das fast alles unter Freunden stattfindet, können wir uns ein bisschen aus den üblichen Mechanismen rausnehmen", sagt Kappla, und verweist damit indirekt auf den nächsten Gutfeeling-Wesenskern.

Denn tatsächlich hat sich kaum ein Label derart um die Archivierung des Underground-Sounds Münchens und seiner Umgebung verdient gemacht wie Gutfeeling. Schwer da etwas herauszugreifen, aber mit der Vinyl-Veröffentlichung der hintersinnigen Neuen Volksmusik der Oberammergauer Kofelgschroa, dem im Verbund mit Echokammer rausgebrachten Rembetiko-Surf-Punk von The Grexits oder der rumpeljazzigen Hochzeitskapelle um die Acher-Brüder sei zumindest ein kleiner Ausschnitt skizziert.

Bei der Jubiläumsfeier, die im Kafe Kult auch eine Rückkehr zu den Gutfeeling-Wurzeln markiert, werden letztere nun mit The Notwist auf Wunsch von Staebler und Kappla ein rares Hardcore-Prügelset mit Songs aus ihrem schwermetallischem Frühwerk auf die Bühne bringen. Zusammen mit den sprachgewitzten Punk-Veteranen Analstahl (mit Staebler an der Gitarre), die mit "Pillepalle Gemüsehalle" ihr erstes Album seit 23 Jahren präsentieren, sowie dem tollen Münchner Post-Punk-Trio Uschi und den Deltablues-Erneuerern ZerbO vom befreundeten jungen Label Schaufel & Besen Records dürfte das einen selten schweißtreibenden Pogo-Abend ergeben. 100 Tickets hat der Vorverkauf noch an der Abendkasse übrig gelassen. Früh da sein, lohnt sich also.

30 Jahre Gutfeeling Records, Samstag, 18. März, Einlass 19 Uhr, Kafe Kult, Oberföhringer Str. 156

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