Arbeitswochen mit 60 Stunden und mehr. Jahresüberschüsse von gerade mal 7600 Euro pro Taxi. Und kaum Geld, um fürs Alter vorzusorgen - so leben viele Taxifahrer in München. Das geht aus einem Gutachten des Hamburger Marktforschungsinstituts Linne + Krause hervor, das das Kreisverwaltungsreferat (KVR) in Auftrag gegeben hat.
Es zeigt zudem: Weil die Einkommenssituation so schlecht ist, seien 41 Prozent der Betriebe gezwungen, mit teils halblegalen Tricks und Kniffen zu arbeiten, also am Finanzamt und an Sozialversicherungen vorbei. Branchenvertreter weisen dies zurück: "Diese Vorwürfe müssen wir uns nicht gefallen lassen", sagt Frank Kuhle von der Taxi München eG.
Was die Studie untersucht hat
Die Gutachter fragten unter anderem die steuerlichen Abschlüsse von knapp 800 Münchner Taxibetreibern ab, prüften diese auf Plausibilität und verglichen die Angaben mit Daten aus 90 deutschen Städten. Seit März liegt die Studie nun vor; die städtische Taxikommission, in der unter anderem Stadträte aller Fraktionen, Taxi- und Wirtschaftsverbände vertreten sind, haben sie zwar beraten. Schlüsse wurden daraus aber noch nicht gezogen.
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Dabei zeigt die Studie, dass einiges im Argen liegt im Münchner Markt. Kurz vor den Olympischen Spielen 1972 wurde die Zahl der Taxikonzessionen erhöht. Mittlerweile hat sie sich bei etwa 3400 Fahrzeugen eingependelt. "Seit mehr als 40 Jahren ist die Münchner Taxiflotte auf einen einmaligen Spitzenbedarf ausgelegt", urteilen die Gutachter. Dieser Bedarf bestehe aber höchstens zur Wiesn, zu Silvester und an einigen anderen Spitzentagen. Die Folge: "Für den ,Normalbetrieb' ist die Münchner Taxiflotte erkennbar überdimensioniert", schreiben die Gutachter. 700 Taxis zu viel seien unterwegs.
Das Überangebot drückt auf die Gewinne. So erwirtschaftet ein Taxi laut der Studie einen durchschnittlichen Überschuss pro Jahr von 7600 Euro. Alleinfahrer, also Taxler, die sich als Einzelkämpfer mit einem Auto durchschlagen, fahren im Schnitt 21 300 Euro im Jahr ein. Diese Gruppe macht 55 Prozent der Taxiunternehmer aus. Weil zu wenig Geld reinkomme, so die Gutachter weiter, könnten sich 37 Prozent der Unternehmer keine oder eine "allenfalls unbefriedigende" Altersvorsorge aufbauen. "Glaubt man den steuerlichen Angaben der Betriebe, so betreiben die ihr Gewerbe als Verlustgeschäft."
Was die Studie der Branche vorwirft
Um sich dennoch über Wasser zu halten, vermuten die Gutachter, mogeln sich einige Taxler durch oder prellen sogar bewusst den Staat sowie die Sozialkassen. Bei 41 Prozent der Betriebe seien die "betrieblichen und steuerlichen Angaben mit den Gesetzen betriebswirtschaftlicher Logik nicht in Einklang zu bringen". Sprich: Sie arbeiten in "Schwarz- oder zumindest in Graubereichen", wie Gutachter Thomas Krause sagt.
Die Stadt aber dürfe dies nicht dulden, sagt Heinrich Birner, München-Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. "Das sind bedenkliche Zahlen." Auch die Branche selbst könne kein Interesse daran haben, dass dies weitergeht. Schließlich drängten der US-amerikanischen Vermittler Uber und Limousinen-Anbieter zusätzlich in den Markt. Sollten die Erfolg haben, "wird es noch schwieriger für das Gewerbe". Und die Gutachter sehen noch einen weiteren Punkt: Bei 60 Stunden pro Woche, die Alleinfahrer in ihren Autos verbringen, sei von einer "Verkehrsgefährdung" auszugehen.
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Daher wollte das KVR Schlüsse aus dem Gutachten ziehen - und das "Hamburger Modell" nach München transferieren. An der Elbe hatten Linne + Krause vor Jahren eine ähnliche Situation wie jetzt an der Isar aufgezeigt. Die Hamburger entschieden daraufhin, hart durchzugreifen - und zwar dann, wenn die Taxler zur turnusmäßigen Verlängerung ihrer Konzession vorstellig wurden.
Erlöse wurden mit Angaben zu Personalkosten und Laufleistungen verglichen, Schichtzettel angefragt, TÜV-Berichte inklusive Kilometerständen angefordert. Ein "Fiskaltaxameter" zeichnet seither in vielen Hamburger Taxis die Fahrten auf und liefert die Daten an die Behörde. Gibt es Zweifel an der Plausibilität, wird die Konzession im schlimmsten Fall nicht verlängert. Binnen zehn Jahren sank die Zahl der Taxikonzessionen in Hamburg um ein Fünftel auf etwa 3200.
Wie die Stadt mit der Branche umgehen will
Ähnliches plante das KVR in München. Fünf zusätzliche Stellen sollten laut CSU-Stadtrat Alexander Dietrich geschaffen werden, um die Branche genauer zu beobachten. Doch dann kam die Haushaltskrise dazwischen. Nimmt man mal an, dass eine Stelle über den Daumen gepeilt sich pro Jahr mit 75 000 Euro im Haushalt niederschlägt, kämen 375 000 Euro jährlich zusammen. "Da standen Aufwand und Ertrag nicht im Einklang", sagt Dietrich, der der Taxikommission vorsitzt. Nun soll das KVR bis zum Frühjahr ein abgespecktes Konzept vorlegen. "Klar ist aber", sagt Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher, ebenfalls Mitglied der Taxikommission, "dass es zu viele Taxis in München gibt."
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Da stimmt auch Kuhle von der Taxi-Genossenschaft zu. Nur sieht er höchstens 300 Taxis zu viel herumfahren. Würde man 700 Autos rausdrängen, wären "Versorgungsengpässe" die Folge. Nicht jeder, der ein Taxi wolle, bekomme dann auch eines. Unter den Alleinfahrern gebe es zudem viele Ältere, die ein Eigenheim besäßen, eine Rente bezögen - und die sich quasi im Nebenjob 1000 Euro monatlich mit ihrem Taxi hinzuverdienten.
Diese Umstände bilde Linne + Krause nicht ab; schon gar nicht stehe diese Gruppe in der halblegalen Ecke. Zudem unterstellt Kuhle den Gutachtern Eigeninteresse: In einigen Städten greifen die Ämter auf Daten und Dienste der Hamburger zurück, um gegen vermutlich schwarze Schafe vorzugehen. "Die bauen da ein Geschäftsmodell auf", sagt Kuhle. Für Christian Hess indes, der mit seiner Taxizentrale Isarfunk mit Kuhles Genossenschaft konkurriert, ist das Hamburger Modell der "richtige Weg". Der Münchner Markt müsse solider aufgestellt werden, zumal Konkurrenten wie Uber massiv hineindrängten. Sich irgendwie durchzuwurschteln, das gehe nicht mehr. "Es wird jetzt existenziell."