Münchner Traditionsgeschäft gibt auf:"Was fort ist, kommt nicht wieder"

Münchner Traditionsgeschäft gibt auf: "In der Innenstadt ist es gerade schwierig für Ladenbesitzer", sagt Gunnar Schweizer. Jetzt sind die Regale in der Maxburgstraße leer geräumt.

"In der Innenstadt ist es gerade schwierig für Ladenbesitzer", sagt Gunnar Schweizer. Jetzt sind die Regale in der Maxburgstraße leer geräumt.

(Foto: Catherina Hess)

Nach 41 Jahren schließt Gunnar Schweizer seinen Zinnfigurenladen in der Münchner Innenstadt. Einen Nachfolger hat er nicht gefunden - nicht nur wegen der Corona-Pandemie.

Von Sabine Buchwald, München

Draußen auf der Straße wird gebaut, drinnen im Laden leer geräumt. Gunnar Schweizer, 59, sitzt hinter einer Theke, vor ihm ein Stapel graues Einwickelpapier. "In der Innenstadt ist es gerade schwierig für Ladenbesitzer", sagt Schweizer. "Überall sind Baustellen." Von seinem Platz aus kann er durch die Scheiben schauen. Ein blauer Laster mit einer Ladung Kies steht vor dem Geschäft in der Maxburgstraße. Das große Fahrzeug lässt die kleinen Figuren im Schaufenster noch winziger wirken.

Figuren und Motive aus Zinn, aus Holz, aus Wachs - das ist Gunnar Schweizers Leben. Damit ist er groß geworden. Hölzerne Engel stehen auf einem der Glasregale am Fenster, vier kleine Nussknacker neben einer einzelnen Musikdose, die Weihnachtslieder spielt. Im Regal darüber stellen glänzend lackierte Figürchen einen Sankt-Martins-Umzug nach. Im Regal darunter bläst ein brauner Miniaturhase auf einer Flöte. Die Jahreszeiten sind verrutscht in der Auslage von Gunnar Schweizer. Das stört ihn nicht mehr.

Münchner Traditionsgeschäft gibt auf: Eltern sind häufig mit ihren Kindern zum Laden gekommen, um im Schaufenster Kutschen aus Blech oder andere Kunstwerke anzuschauen. "Es gab immer etwas zu entdecken", sagt eine Kundin.

Eltern sind häufig mit ihren Kindern zum Laden gekommen, um im Schaufenster Kutschen aus Blech oder andere Kunstwerke anzuschauen. "Es gab immer etwas zu entdecken", sagt eine Kundin.

(Foto: Catherina Hess)

Einige der Vitrinen an den Wänden sind schon leer. Es ist Mittwochnachmittag und am Samstag wird hier Schluss sein in dem Münchner Zinnfigurenladen. Nach 41 Jahren. "Die Pandemie", sagt Schweizer, "mei, die war noch das Tüpfelchen auf dem I."

"Schon schlimm", murmelt eine Kundin, die an diesem Mittwochnachmittag noch ein paar Ansichtskarten mit 20 Prozent Preisnachlass kauft. Den gibt es auf alles, schon seit 3. Januar wegen des Räumungsverkaufs. Sie habe mit den Kindern so gern die Schaufenster angeschaut, sagt die Frau. "Es gab immer etwas zu entdecken." Vielleicht gefielen den Kindern die Autos und Waggons aus Blech, die noch im Schaufenster stehen. Für Kinderhände aber sind die ebenso wenig geeignet wie die Engel aus dem Erzgebirge. Sie sind viel zu fragil.

Münchner Traditionsgeschäft gibt auf: Die meisten Zinnfiguren sind wundersam altmodisch und erzählen von vergangenen Zeiten: von Fahrten mit der Kutsche oder von Störchen, die Kinder bringen.

Die meisten Zinnfiguren sind wundersam altmodisch und erzählen von vergangenen Zeiten: von Fahrten mit der Kutsche oder von Störchen, die Kinder bringen.

(Foto: Catherina Hess)

Auf der anderen Seite des Eingangs stehen die Zinnfiguren in der Auslage. Sie sind das ursprüngliche Geschäft der Familie Schweizer. Die Firmengeschichte geht auf Urahn Adam und bis ins Jahr 1796 zurück. Er hat in jenem Jahr die Zinngießerei in Dießen am Ammersee gegründet. Anfangs waren es Kreuze, Heiligenbilder und Rosenkränze für die Wallfahrer, die nach Dießen kamen. Die alte Rosenkranz-Maschine, mit der Halbkugeln geformt werden konnten, stehe jetzt auf der Glentleiten im Freilichtmuseum, sagt Gunnar Schweizer. Er ist stolz darauf.

In Dießen ist noch immer die Werkstatt, wo auch verkauft wird. Einer seiner Söhne leitet sie. Den Laden in der Maxburgstraße wollte er nicht weiterführen. Täglich drei Stunden hin und zurück im Auto und der S-Bahn sitzen wie sein Vater, das ist ihm zu viel. "Und wer hat schon Lust auf eine Sechstagewoche?", sagt Schweizer.

Münchner Traditionsgeschäft gibt auf: Der Laden in München schließt, die Werkstatt in Dießen existiert weiter. Dort entstehen die filigranen Zinnobjekte.

Der Laden in München schließt, die Werkstatt in Dießen existiert weiter. Dort entstehen die filigranen Zinnobjekte.

(Foto: Catherina Hess)

Den Laden hat Gunnar Schweizers Mutter Ilse aufgebaut - mit einem Puppenstuben- und Zinnfigurenkabinett im Keller. Mutter und Sohn standen jahrelang zusammen hier. Bevor er das Geschäft nun für immer schließen muss, resümiert der 59-Jährige: "Es ist blöd gelaufen." Er hätte das alles gerne an einen Nachfolger übergeben.

Der Mann mit dem weißen Rauschebart schaut sich um in seinem Reich, das kurz vor Schluss recht zerfleddert aussieht. Ein Nachfolger hätte sich beim Vermieter erst bewerben müssen. Es hat sich niemand gefunden, der eine Ablöse zahlt und dieses Risiko eingehen wollte. Die Ladenzeile in der Maxburgstraße gehört dem Freistaat und der stellt seine Bedingungen.

Ein fester Termin im Jahr war immer der Christkindlmarkt am Marienplatz. Der Ausfall in dieser Saison hat ein Loch in den Jahresumsatz gerissen. "Wir hatten immer eine Mischkalkulation", sagt Gunnar Schweizer. An ihrem Stand direkt vor dem Rathaus verkaufen sie die filigranen Zinnobjekte als Schmuck für die Christbäume und Krippenfiguren. Von denen gibt es Ende Februar noch eine ganze Vitrine voll: Kamele, liegend und stehend, die heiligen drei Könige mit Geschenken in der Hand, demütig kniende Pilger.

Münchner Traditionsgeschäft gibt auf: Normalerweise hat Gunnar Schweizer seine Zinnobjekte als Schmuck für die Christbäume auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz verkauft, doch der ist wegen der Corona-Pandemie ausgefallen.

Normalerweise hat Gunnar Schweizer seine Zinnobjekte als Schmuck für die Christbäume auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz verkauft, doch der ist wegen der Corona-Pandemie ausgefallen.

(Foto: Catherina Hess)

Zinnfiguren sind Sammlerobjekte. Bei der Firma Schweizer werden sie bis heute in alten Formen gegossen. Sie fertigen Stücke, die ruhige Hände dann auf beiden Seiten farbenfroh bemalen. Feinste Pinselstriche geben den kleinen Gesichtern der Figuren Ausdruck, machen Kleidung oder Fell eines Tieres plastisch. Kein Stück ist wie das andere. Die meisten sind wundersam altmodisch und erzählen von vergangenen Zeiten: von Fahrten mit der Postkutsche, von Störchen, die Kinder bringen, von Märchen wie Hänsel und Gretel.

Wer sind seine Kunden? "Leute, die Spaß an schönen handgemachten Sachen haben", sagt Schweizer. Mit seinem Geschäft verschwindet in München wieder ein Stück Tradition. Wenn man nicht aufpasst, dann geht altes Brauchtum und handwerkliches Können verloren, sagt Schweizer. "Was fort ist, kommt nicht wieder."

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