Es ist ganz schön was los in diesem unscheinbaren Nebenast der Südlichen Münchner Straße in Grünwald: Etwa zwei Dutzend Anwohner haben sich vor dem Grundstück Hugo-Junkers-Straße 1 versammelt, dazu gesellen sich Lokalpolitiker und Sachverständige in Sachen Architektur und Denkmalschutz. Sie alle sind am späten Mittwochnachmittag zusammengekommen zu einem Informationsaustausch darüber, wie es mit diesem vom berühmten Architekten Sep Ruf gebauten Haus weitergehen soll, das laut einer Bauvoranfrage womöglich einem kombinierten Wohn- und Bürokomplex weichen soll. Das große Engagement der Bürger sei sehr erfreulich, befindet etwa Irene Meissner, die das Werk des Baumeisters in ihrer Dissertation gewürdigt hat und im Vorstand der Sep-Ruf-Gesellschaft sitzt: "Sep Ruf würde sich bestimmt sehr freuen."
Entscheidend für alles, was nun passiere, sei die Frage, ob man das Haus wieder unter Denkmalschutz stellen könne, sagt Sabine Weigand, Sprecherin für Denkmalschutz in der Landtagsfraktion der Grünen, die zugleich Mitglied im Landesdenkmalrat ist. Und dabei gelte es zunächst, die aktuelle Rechtslage zu betrachten: Die Denkmaleigenschaft hatte das Landesamt für Denkmalpflege schon 1993 für die Grünwalder Häuser festgestellt. Dagegen und gegen das damit verbundene Verbot eines Abrisses klagte die Eigentümerin. 1998 wurde nach einem jahrelangen Gerichtsverfahren ein Ensembleschutz für die Siedlung negiert und dem Haus Nummer 1 der Denkmalschutz aberkannt. Dieses Urteil wäre auf alle zehn Häuser anwendbar gewesen. Wie Neven Denhauser, parlamentarischer Berater für Denkmalschutz ausführt, hat es bei den anderen neun jedoch keine Klage gegeben, weshalb sie weiterhin geschützt seien.
In seiner Urteilsbegründung bezog sich das Gericht seinerzeit laut Burkhard Körner vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege auf ein Gutachten des damaligen Heimatpflegers der Landeshauptstadt München, der zu dem Ergebnis kam, dass keines der zehn Häuser an der Hugo-Junkers-Straße "eine besondere Bedeutung für das Bauen dieser Zeit" habe. Zudem komme den Gebäuden "im Werk von Sep Ruf keine herausragende Bedeutung zu".
Genau diesen Aussagen widersprechen die Sachverständigen 25 Jahre später vehement. "Ich bin Kunsthistoriker und maße mir keine juristische Expertise an, genauso sollten Richter nicht den Wert eines solchen Objektes beurteilen", sagt Körner. Die Besonderheit der Häuser liege seiner Meinung nach darin, dass sie - obwohl von 1934 an erbaut - den Regulierungen der NS-Diktatur keineswegs entsprechen, weil sie etwa keine Vordächer haben und für die damalige Zeit deutlich moderner gewesen seien als die "oberbayerische Architektur", die damals Pflicht bei allen Neubauten war.
Sep-Ruf-Expertin Irene Meissner ergänzt: "Er verstand es, bei den Wohnbauten Elemente moderner Architektur auch unter dem nun vorgeschriebenen sogenannten deutschen Satteldach zu bewahren, indem er geneigte Dächer mit dem Baukörper zu kubischen Blöcken verschmolz und mit regionalen Elementen oder Fensterbändern kombinierte." Ruf habe mit der Hugo-Junkers-Siedlung demnach eine Lösung gefunden, die "als herausragendes Zeugnis einer Architektur einzustufen ist, die in den 1930er-Jahren unter dem Zwang der NS-Baulenkung Elemente der Moderne transformierte".
Die Häuser der Siedlung haben zwar das von den Nazis geforderte Satteldach, aber sie zeichnen sich durch einen kubischen Baukörper aus und das Vordach fehlt.
(Foto: Claus Schunk)Die Fachleuten sind daher sehr zuversichtlich, das man dieses Urteil revidieren kann. Mitarbeiter der zuständigen "Abteilung Z" des Landesamts für Denkmalschutz würden sich schon bald ein Bild machen und dann eine entsprechende Entscheidung treffen, so Körner. Wie lange es dauert, bis der Denkmalschutz anschließend wieder hergestellt sein könnte, darüber kann er keine Aussagen machen: "Es kommt darauf an, was die Juristen, das Landratsamt und alle anderen mit dieser Angelegenheit befassten Stellen von uns fordern, um einen Wiedereintrag in die Denkmalliste zu erwirken." Auf alle Fälle wolle man auch einen Ensembleschutz über die Siedlung legen. "Das Straßenbild erscheint uns auf jeden Fall erhaltungswürdig", sagt Körner und Meissner ergänzt: "Das ist wie eine Perlenkette, aus der man auch nicht einfach eine Perle herausreißen kann."
Unterdessen wird längst auf mehreren Seiten an einer Lösung des Dilemmas gearbeitet: Wie zu hören ist, steht Grünwalds Rathauschef Jan Neusiedl, der sich beim Ortstermin von der Dritten Bürgermeisterin Uschi Kneidl (beide CSU) vertreten ließ, mit der Eigentümerin in Kontakt. Auch wenn offenbar mit jenem Käufer, der den Bauantrag für eine Wohn-und Bürobebauung gestellt hat, bereits Einigkeit besteht, soll sie bereit sein, das Grundstück anderweitig zu einem marktüblichen Preis zu verkaufen, etwa an die Gemeinde. Das Problem könnte aber genau der Preis sein: Die Grundstücksgröße beträgt etwa 1350 Quadratmeter, der durchschnittliche Quadratmeterpreis in Grünwald über 3000 Euro - womit das Gesamtvolumen des Deals rund vier Millionen Euro betragen dürfte. Eine Vergleichsgröße ist der Verkauf der denkmalgeschützten Hugo-Junkers-Straße 19, Grundstücksgröße 911 Quadratmeter, die 2021 für 3,5 Millionen Euro den Eigentümer wechselte. Bei einer derart heftigen Investition muss eine Kommune gut begründen, wofür das Geld ausgegeben wird, im Zweifelsfall muss man gegenüber dem Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband Rechenschaft ablegen.
"Das ist wirklich alles furchtbar dramatisch"
In jedem Fall wolle die Gemeinde Zeit gewinnen und einen vorzeitigen Abriss verhindern, erklärten die am Mittwoch anwesenden Mitglieder des Gemeinderates unisono. Ein erster Schritt ist bereits getan, indem Neusiedl mit dem Landratsamt als Untere Baubehörde Kontakt aufgenommen hat, um eine "Abrissuntersagung" zu erwirken. Landrat Christoph Göbel (CSU) zeigt sich alarmiert: "Das ist wirklich alles furchtbar dramatisch", sagt er auf Nachfrage und bestätigt, dass das "Anhörungsverfahren läuft". Um längerfristig zu verhindern, dass Bagger anrollten, brauche man eine "Rechtskraft", zudem sei die Gemeinde gefordert, eine Bauleitplanung für das Grundstück zu entwickeln "und keine unzulässige Verhinderungsplanung" zu betreiben.
Engagement und Interesse in Sachen Sep-Ruf-Haus sind also weiterhin vital. Das könnte sich womöglich sogar auf mögliche potenzielle Käufer auswirken. Wie Irene Meissner weiß, sind denkmalgeschützte Häuser durchaus gefragt. Sie hält es deshalb keineswegs für ausgeschlossen, dass die derzeitige Debatte am Ende ein für alle Seiten gutes Ende haben könnte.