Grünes Eck:Ins Grüne hinein

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Das Grüne Eck in Schwabing ist eines der letzten gemütlichen Wirtshäuser. Hier trifft man sich zu leckeren Fleischpflanzerln und zum Kartenspielen.

Annette Wild

Der Name Dolce Vita im Grünen Eck kommt einem zwar ziemlich italienisch vor, doch hier trifft sich nicht die Cosa Nostra zu Calamari-Fritti, sondern illustre Stammgäste zu leckeren Fleischpflanzerln. Eines der letzten gemütlichen Wirtshäuser vom alten Schlag - und ein äußerst günstiges dazu.

Die Mischung macht's. Grüne Plastikgirlanden, alte Plakate von den Kammerspielen, unzählige Spielzeug-LKW und Whiskey-Verpackungen auf dem Holzsims, tief hängende Lampen, die gelbliche Lichtkegel in die von Zigarettenqualm geschwängerte Luft werfen. In ihrem trüben Schein wird an vielen Tischen gekartelt.

"Das Schöne ist, dass hier gar nix z'ammpasst", lacht der Wirt vom Grünen Eck, Reinhard Lörch, den alle nur "Lurchi" nennen. Die lachsfarbenen Wände zum Beispiel stammen noch aus der Zeit, als Lurchi hier zwei Jahre lang das italienische Lokal Dolce Vita etablieren wollte. Von der feinen Vergangenheit zeugt auch noch der geschwungene Schriftzug Dolce Vita über der Bar.

Lokal mit Doppelnamen

Das mit dem italienischen Lokal sei nicht gut gegangen. "Meine Gäste haben eine halbe Stunde lang die Weinkarte mit 80 verschiedenen italienischen Weinen studiert und dann denn billigsten für 2,50 Mark genommen." Lurchi schüttelt den Kopf. Da habe er sich gedacht: "Dann sauft's halt den billigen Krempel" und ist als Trotzreaktion wieder zum Grünen Eck zurückgekehrt.

"Aber ich bereue nix", meint Lurchi. Das war vor zehn Jahren. Draußen hängen indes noch beide Schilder. Zum einen, weil der Hausbesitzer es so wollte, zum anderen "weil es einen Haufen Geld kostet, sie auszuwechseln", sagt der 55-Jährige, der als Student schon Gast im Lokal Grünes Eck war. "Seit über 100 Jahren ist hier jetzt schon ein Wirtshaus drin", weiß Lurchi.

Die Leiden eines Wirts

Die meisten Pächter vor ihm hätten es meist nur ein, zwei Jahre ausgehalten, was sicher an den Kämpfen liegt, die ein Wirt hier zu fechten hat: Die ruhige Randlage von Schwabing, eine Bestuhlung des schmalen Bürgersteig im Sommer ist nicht genehmigt.

Und dann die Nachbarn: "Am schlimmsten sind die 30-Jährigen. Die ziehen hier nach Altschwabing, wo es 50 Lokale im Umkreis gibt, und beschweren sich dann über den Lärm", wundert sich Lurchi. Zudem würde ihm das Leben durch immer strengere Auflagen erschwert: Nun verlange das Amt auch noch Personaltoiletten und Duschen. "Mein Koch hat eine Vollglatze. Da kommt das KVR und fragt ihn, wo seine Kopfbedeckung ist. Kann man sich so was vorstellen?" Lurchi wirkt in diesem Moment zwar etwas amtsmüde. Aber Granteln gehört halt dazu. Und überhaupt: Was täte er schon ohne sein Lokal?

Gesellschaft gewöhnt

Sein Publikum reiche vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Staranwalt. "Ich sag nur 'Sie' zu denen, die i net mog." Was sofort ins Auge fällt: Hier wird recht viel gekartelt, Schafkopf und Skat. Meist sind Kartenspieler bei Wirten ja nicht gerne gesehen: Sie blockieren den ganzen Abend einen Tisch und nippen an zwei Bier.

Lurchi lacht: "Ich hab hier schon welche, die trinken." Und was? "Gerne Bier (Löwenbräu vom Fass, 0,5 l, 2,90 Euro oder Franziskaner Hefeweizen vom Fass, 0,5 l, 3,30 Euro), aber auch unser russischer Landwein geht recht gut." Russischer Landwein? "Wodka (2 cl, 2,60 Euro)! Das ist unser Anteil an der Perestroika", erklärt Lurchi scherzhaft.

Man merkt: Lurchi ist es seit Jahrzehnten gewohnt, mit Kalauern die Abendgesellschaft zu unterhalten. "Vor 35 Jahren hab ich als Kneipenwirt angefangen. Damals hab ich noch Jura studiert, aber nur bis zum ersten Staatsexamen. Warum studieren? In der Gastro konnte man damals so viel Geld verdient. Wir haben von 19 bis ein Uhr nachts gearbeitet, danach sind wir bis in die Früh um sechs ausgegangen. Mädels gab's ohne Ende. Mittags ging man im Sommer zum Tennisspielen, im Winter ans Brauneck zum Skifahren, abends zum Arbeiten. Das waren herrliche, wilde Zeiten", schwärmt der Wirt - und man ist richtiggehend neidisch, diese Zeiten selbst nie miterlebt zu haben.

Fleischpflanzl bratender Barde

Lurchis Schilderung des alten Schwabings hört sich gar nicht verbittert an, eher spürt man seine Dankbarkeit für diesen besonderen Lebensabschnitt. "Der Tod meiner Frau - das war eine harte Zeit. Wenn ich da nicht die Marina als Unterstützung gehabt hätt'", Lurchi guckt dankbar zu seiner Thekenkraft. Marina Znaide ist die Barfrau und gute Seele vom Grünen Eck.

"Das Schöne ist: Marina arbeitet in einem Lokal mit italienischem Namen, kommt aus Georgien und ist mit einem Marokkaner verheiratet", lacht Lurchi. Und noch jemand greife ihm unter die Arme, und zwar in der Küche: Wolfgang Huber ist eigentlich Musiker, der bayerischen Chanson-Rock macht.

"Ich nenn ihn nur den 'Fleischpflanzl bratenden Barden'", so der Wirt augenzwinkernd. Wolfgang ist Autodidakt und bringt hier bodenständige, bayerische Gerichte auf die Teller. "Unser Schweinsbraten ist legendär. Den gibt's immer sonntags. Da kommen sogar Leut extra vom Land her. Und dazu gibt's ein Blaukraut mit glühendem Geheimnis", erklärt Lurchi stolz.

Und Mittwoch ist Schnitzeltag. "Ich hab auch schon mal einen Coq au vin g'macht, da haben's dann gschrie'n: 'Ja gibst denn heute keine Fleischpflanzln?'", erklärt Wolfgang. So sei das hier. Wenn Fußball komme, gebe es meist Leberkäs mit selbst gemachtem Kartoffelsalat.

Apropos Fußball: Gerade kommen zwei junge Burschen herein und reservieren sich schon mal gute Plätze für das Bayern-Spiel am nächsten Tag. "Das ist das Nette: Jetzt kommen schon die Söhne von Stammgästen und Freunden zu mir herein. Das Traurige: Daran merkt man, wie alt man ist", sagt Lurchi. Man kann hier zwar Fußball gucken, aber Sky gibt's nicht. "Das würd' mich im Jahr 3000 Euro kosten. So viel Bier kann ich gar nicht an einem Fußballabend verkaufen", erklärt der Wirt leicht resigniert.

Mäzen "Manila"

Damit Geld in die Kasse komme, vermiete er sein Lokal gerne für Partys. "Im Winter muss ich ja das Geld reinholen, was ich im Sommer nicht verdiene", so der Wirt. Er brauche Feste zum Überleben - und den Besitzer des Lokals: Gerd "Manila" Waldhauser, bestens bekannt als Wirt der legendären Schwabinger 7.

Manila ist ein Altschwabinger Kneipen-Urgestein. Neben der Schwabinger 7 und dem Grünen Eck gehören ihm noch das Abseits und die Gummizelle. "Manila hat mir oft sehr, sehr geholfen. Manchmal war ich zum Beispiel mit der Pacht hinterher." Lurchi sinniert und sagt dann: "Der Manila is a Mensch, einfach a Mensch."

Immer dienstags trifft sich der Manila-Stammtisch im Grünen Eck. "Da kommen dann viele von uns Älteren, eben alle, die zur 'Familie' gehören." Lurchi muss noch ein bisschen von seinem Freund und Förderer schwärmen: "Wie der Manila das mit der 7 macht! Der ist einfach a Hund. Die 7, da steht nix, da hängt nix und trotzdem ist sie jeden Abend voll. Hier haben wir an Fasching immer alles komplett dekoriert. Da hat sich der Manila mal ein kleines Stückerl Luftschlange geschnappt und g'sagt. 'Ich brauch a bissl Deko für die 7.'"

Lurchi gluckst bei der Erinnerung. Der Manila sei einfach der letzte originale Altschwabinger Wirt. "Schwabing kann froh sein, dass es den Manila hat."

Aber Schwabing kann auch froh sein, dass es seinen kleinen Bruder, den Lurchi und das Grüne Eck hat!

Marktstraße 16, 80802 München,Telefon: 089-38888904, Email: wein@ladolcevita.de, Öffnungszeiten: Täglich 18 Uhr bis open end, sonntags ab 19 Uhr

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