Grünen-Chef Nikolaus Hoenning:Der streitbare Freiherr

Der Münchner Grünen-Chef Hoenning liebt es zu provozieren und sucht den Flirt mit der CSU - sehr zum Missfallen einiger Parteikollegen.

Bernd Kastner

Man kann Politik strategisch angehen oder diplomatisch. Oder so wie Nikolaus Hoenning. Offen, knallhart, ohne Rücksicht, nicht auf die eigene Partei, nicht aufs eigene politische Weiterleben. So kommt es, dass den Grünen immer wieder die Luft wegbleibt, wenn ihr Parteivorsitzender spricht. Es knirscht gewaltig bei den Münchner Grünen, seit Hoenning im Mai an die Spitze des Stadtverbandes kam. "Mir wird oft vorgehalten, ich würde nicht strategisch denken", sagt er, doch das sehe er eher positiv: "Ich bin ein Stück weit stolz darauf, eine gewisse Naivität im Umgang mit Menschen in der Politik erhalten zu haben."

Grünen-Chef Nikolaus Hoenning: Erst beim vierten Anlauf gelang es Nikolaus Hoenning 2009 Stadt-Vorsitzender der Grünen zu werden. Die Unterstützung aus den eigenen Reihen ist nicht groß.

Erst beim vierten Anlauf gelang es Nikolaus Hoenning 2009 Stadt-Vorsitzender der Grünen zu werden. Die Unterstützung aus den eigenen Reihen ist nicht groß.

(Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Hoenning sitzt in der Landtagsgaststätte, er gehört zum Team der grünen Abgeordneten Susanna Tausendfreund: "Die Dickköpfigkeit scheint in der Familie zu liegen." Der Mann ist 37 und von adliger Herkunft, Freiherr von Hoenning O'Carroll heißt er eigentlich, irische und ungarische Vorfahren hat er und sieben Vornamen.

Achtung, Affront!

Er wirkt mit seinem grünen T-Shirt unter blauem Hemd und braunem Jackett und den weißen Socken wie ein Relikt aus grüner Urzeit. Als die Frauen im Bundestag noch strickten und offene Worte ein Markenzeichen waren. Heute gilt eine klare Ansage eher als Verbalrandale. Zumal dann, wenn einer den eigenen Fraktionschef und den roten Oberbürgermeister ins Visier nimmt, die Köpfe des bundesweit ältesten rot-grünen Bündnisses.

Nun spricht es durchaus für die innerparteiliche Demokratie, wenn die Grünen über Olympia streiten: Hier die Fraktion, die früh ja zur Bewerbung gesagt hat, dort der Stadt-Vorstand mit seinem Nein, dazwischen die Basis, die das Go gab. Allerdings ist nicht alles so weltbewegend wie die Spiele. Neulich watschte Hoenning in einer Pressemitteilung die SPD ab, weil diese gemauschelt habe - im Mieterbeirat. Hoenning stimmte seine Presseerklärung nicht etwa mit seinem Rathauschef Siegfried Benker ab, sondern mit Josef Schmid. Der führt auch eine Fraktion, aber die der CSU. Genausogut hätte Hoenning schreiben können: Achtung, Affront! "Unmöglich" nennt Benker dieses Vorgehen. Er und Hoenning vertragen sich wie Katz und Hund.

Zu den Grünen ist Hoenning 1998 gekommen, weil den Spross einer europäischen Familie die seinerzeitige Kampagne des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft anwiderte. "Etwas fremd" habe er sich anfangs gefühlt. 2005 immerhin war ihm so wohl, dass er Stadt-Vorsitzender werden wollte. Er war ein unbeschriebenes Blatt - und verlor. 2007 zum zweiten Mal, 2008 zum dritten Mal. Erst 2009 klappte es, aber sein Gefolge in der Partei ist noch nicht groß.

Nikolaus Hoenning lacht viel, lacht vor allem über sich, als könne er gar nicht glauben, was er sich so alles zu sagen traut. "Problematisch" halte er es, dass auch unterhalb der Referentenebene Verwaltungsjobs nach Parteizugehörigkeit vergeben würden: Bürger hätten ihm schon "vorgehalten, dass man in München nicht mal Klofrau im Rathaus werden kann ohne das richtige Parteibuch." Die zweite S-Bahn-Röhre hat er mal "Christian-Ude-Gedächtnistunnel" genannt, in dem man keine Milliarden verbuddeln dürfe. "Jeder kuscht vor dem OB", sagt er jetzt und spricht von "vorauseilendem Gehorsam" bei Rot-Grün.

Auf dem Weg zu einer "grünen FDP"?

Er selbst strebe mehr Vielfalt in der eigenen Partei an, und zielt damit auf einen Zirkel der grünen Macht, den er erkannt haben will. Es habe sich "in manchen Bereichen eine gewisse Nomenklatura" gebildet. Außerdem mahnt er ein schärferes grünes Profil bei Zukunftsfragen an: Nachhaltige Wirtschaft oder mehr Raum für den Radverkehr. Bei diesen Themen schwächeln die Münchner Grünen in den Augen ihres Parteichefs.

Siegfried Benker, 52 Jahre alt, ist vom Hausbesetzer zum Berufspolitiker herangewachsen und darf sich angesprochen fühlen von Hoennings Kritik. Er aber hält sich zurück; stellt nur fest, dass der neue Parteivorsitzende "sich auf mich eingeschossen hat", und er, Benker, wisse nicht so recht, warum. "Nikolaus Hoenning versucht, sich vehement gegen die Fraktion zu profilieren."

Nun war es schon immer so, dass die Partei viel wollte, und die Fraktion weniger umsetzen wollte und konnte. Aber solche Reibereien? "Wir sind keine Selbsterfahrungsgruppe", sagt Benker und wirft Hoenning vor, fehlende Inhalte kaschieren zu wollen. Und dass die Fraktion nicht offen für Neue sei, könne man wahrlich nicht sagen. Fünf der elf grünen Stadträte wurden 2008 erstmals ins Rathaus gewählt. Benker glaubt, seinem Parteichef schwebe eine "grüne FDP" vor, eingedenk der von Hoenning initiierten "Grünen Freiheit", einem inzwischen weitgehend verstummten Kreis von Grünen, die sich bürgerrechtlich und liberal gaben.

Grün-Schwarzer Flirt

Hoenning aber denkt in eine andere Richtung: "Die CSU in München entwickelt sich ja ganz interessant", sagt er, plötzlich diplomatisch wie ein Jüngling, der seine Angebetete nicht durch plumpe Anmache in die Flucht schlagen will. Schwarz-Grün? 2014 verliert die SPD ihr Zugpferd Ude und das rot-grüne Bündnis damit seine Lebensversicherung.

Dazu kommt, dass der SPD-Fraktionschef Alexander Reissl als Grünenfresser gilt, dessen Erklärungen es fast mit denen Hoennings aufnehmen können. Wenn Nikolaus Hoenning CSU denkt, dann denkt er Josef, nein: Seppi Schmid - so viel Nähe darf sein. Anspielend auf seine mit Schmid abgestimmte Pressemitteilung sagt Hoenning: "Ich rede mit allen. Und wenn der Herr Schmid der einzige ist, der mit mir über den Mieterbeirat redet, dann verstehe ich die Kritik aus der eigenen Fraktion nicht."

Josef Schmid verfolgt die grüne Kabale mit großem Interesse. Er, der zweifache Vater, kann sich mit Hoenning, auch ein junger Papa, übers Wickeln unterhalten und auch sonst bemerkt er Annäherungen: Immer mehr "Bürgerkinder" veränderten den Charakter der Grünen, durchaus zu seiner Freude. Schmid spielt, als er über die Grünen nachdenkt, recht aufgeregt mit seinem Ehering, aber das könnte Zufall sein.

Neulich trafen sich Hoenning und seine Co-Vorsitzende Hanna Sammüller mit Schmid und Münchens CSU-Chef Otmar Bernhard. Über vieles haben sie geredet, auch gefetzt hätten sie sich, berichtet Hoenning. Aber vergiftet, nein, vergiftet sei die Atmosphäre deshalb nicht. Wieder so eine Spitze gegen die eigenen Leute.

In der Fraktion werden sie ob dieser vorweihnachtlichen Bekenntnisse ihres Parteichefs wieder schlucken. Florian Roth aber bleibt nach außen ganz cool: Bei ihm, der auch sechs Jahre an der Parteispitze stand und seit 2008 im Rathaus sitzt, sei das damals "ähnlich gewesen", alles halb so wild, sagt Roth: "Gerade aus dieser Erfahrung heraus hänge ich das nicht so hoch."

"Bitte abrüsten!"

Das würde wohl gerne auch Hanna Sammüller, 26 Jahre alt und als weibliche Partei-Chefin die direkte Kollegin des Freiherrn. Sie habe ihn auch schon gefragt, was das alles soll. "Mein Stil ist das nicht", sagt sie. Mediation ist nötig, und Hep Monatzeder, als dritter Bürgermeister etwas über den Streithähnen schwebend, ruft Benker und Hoenning zu: "Bitte abrüsten!"

Bleibt die Frage, ob ein Hoenning schon von einem schwarz-grünen Honeymoon kündet. Sammüller, die mit dem schwarzen "Seppi" längst per Du ist, sagt: "Ich würde nicht bei den Grünen austreten, wenn Schwarz-Grün käme." Auch Benker sagt nicht nein, aber: Der nette und weltoffene Herr Schmid allein mache aus der CSU noch keine fortschrittliche, zukunftsfähige Partei.

Und nicht mal Hoenning weiß so recht, ob er Schwarz-Grün wirklich wollen soll. In Themen wie Integration und Verkehr, da hinke die CSU halt sehr hinterher. Aber bis zur Wahl 2014 ist noch Zeit, und Hoenning ist nur bis 2011 gewählt. Vorerst werden sie weiter flirten, die schwarzen Grünen und die grünen Schwarzen, und der adlige Parteichef wird weiter Politik machen nach dem Motto: Provozieren auf Benker komm raus.

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