Münchens Grüne:Und plötzlich neue stärkste Partei

Münchens Grüne: Die Grünen tragen ihren Spitzenkandidaten wortwörtlich auf Händen: Ludwig Hartmann beim Stagediving in der Muffathalle.

Die Grünen tragen ihren Spitzenkandidaten wortwörtlich auf Händen: Ludwig Hartmann beim Stagediving in der Muffathalle.

(Foto: Catherina Hess)

"Dass wir in München ein enormes Potenzial haben", haben die Grünen irgendwie schon immer gewusst. Nun befinden sie sich aber sogar auf Augenhöhe mit Schwergewichten der CSU.

Von Thomas Anlauf, Martin Bernstein und Heiner Effern

Ludwig Hartmann reckt die Hände von der Bühne in der Muffathalle hinab, von der er kurz darauf mit Bundeschef Robert Habeck als Stage-Diver hinunterspringen wird. Unten steht ein Mann in grünem T-Shirt, ein Fahrrad vorne drauf, und plötzlich wird dieser Mann unter tosendem Applaus die Bühne halb hinauf geschoben und halb gezogen. "Das ist Georg Nitsche, der Meister des Haustürwahlkampfs in München", ruft Hartmann ins Mikrofon. Er hat zu diesem Zeitpunkt auch schon einen enormen Vorsprung im Stimmkreis Mitte, das Direktmandat scheint ihm ebenso sicher wie Katharina Schulze. Nitsche hat dafür gesorgt, dass auch wer klingelt, wenn Hartmann und Schulze als Spitzenkandidaten in ganz Bayern unterwegs waren. Hartmann sagt: "Wir haben den Wahlkampf unseres Lebens gemacht. Es sieht so aus, als ob wir sieben Direktmandate holen könnten."

Sieben werden es am Ende nicht, sondern nur fünf. Dafür kommt ein weiteres in Würzburg hinzu. Die Grünen in München erleben eine Wahlparty und vor allem in der Stadt ein Ergebnis, das die wohl ebenso erfolgreiche Direktkandidatin in Giesing, Gülseren Demirel, mit einem Wort beschreibt. "Berauschend", sagt sie, bevor sie die Halle betritt. Die Grünen werden stärkste Partei in München sein. Sie fragen sich an diesem Abend nicht, ob sie vielleicht ein Direktmandat gewinnen, sondern sie fragen sich, ob es drei vier oder noch mehr sein werden. Am Ende sind es fünf. "Irre", sagt Christian Hierneis, der vor der Muffathalle umher tigert, und Glückwünsche immer noch abzuwehren versucht, obwohl er zu diesem Zeitpunkt im Stimmkreis Schwabing einen locker zweistelligen Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Ludwig Spaenle besitzt.

Die Grünen haben noch nie ein Direktmandat bei einer Landtagswahl in Bayern gewonnen. Nun agieren sie auf Augenhöhe mit Minister Georg Eisenreich und Generalsekretär Markus Blume, Schwergewichte in der bayerischen CSU. Die halten die Grünen gerade so nieder, und selbst Bürgermeister Josef Schmid wird von einem Grünen getrieben. Der frühere Bürgermeister Hep Monatzeder war in Pasing angetreten, um in ganz München Stimmen für die Grünen abzusaugen. Nun sitzt er seit Stunden im Kreisverwaltungsreferat vor den Bildschirmen, und traut sich nicht so recht, das KVR zu verlassen: Nicht weil er sich bei seinen Parteifreunden in der Muffathalle unwohl fühlen würde. "Wir haben alle Wahlziele erreicht", sagt er, während er fast ungläubig zwischen Fernseher und Computerbildschirm hin- und her pendelt. Sondern weil er auch noch gewinnen kann.

Die meisten Grünen sind schon beim Feiern, Monatzeder muss bis zum Ende bangen. Denn mit Schmid liefert er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Auszählung. Monatzeder ist in Pasing und Laim stark, sein Kontrahent in Aubing, Allach, Untermenzing. Zu Beginn schaut alles nach dem erwarteten Sieg Schmids aus. Plötzlich, um 20 Uhr, wechselt die Farbe auf den Bildschirmen. Grün statt schwarz. So bleibt es bis 21.30 Uhr. Da liegt Monatzeder um 59 Stimmen vorn. "Das wird noch ein langer Abend", vermutet Monatzeder. Kurz darauf: schwarz, Schmid führt. Monatzeder holt sich eine Flasche Wasser und lässt sich in einen Sessel fallen. Die Auszählung geht weiter. Irgendwann wird ihm das Bildschirmstarren wohl zu blöd. Blendend gelaunt trifft er um kurz nach zehn auf der Wahlpary ein. "Es ist halt sauknapp", sagt der ehemalige Bürgermeister. Aber im Westen, wo Monatzeder antrat, sei es schlicht "ein kohlrabenschwarzer Wahlkreis. Es gibt auch so genügend zu feiern."

Ludwig Hartmann hat indessen die Party in der Muffathalle verlassen müssen. Schon wieder das Fernsehen. Er ruft aus dem Studio zurück. Immer noch bemüht, dieses Ergebnis in München zu fassen. "Es passiert gerade so vieles, was man sich nicht vorstellen konnte." Er kann noch sagen, dass er im Stimmkreis Mitte auch Druck verspürt habe, wie "gigantisch" er sich freut, bis ihm irgendwer im Studio den Hörer wegnimmt. Ab in die Sendung.

Münchens Grüne: Georg Nitsche machte für die Grünen klassischen Türwahlkampf, nun gratuliert er begeistert seiner Spitzenkandidatin Katharina Schulze.

Georg Nitsche machte für die Grünen klassischen Türwahlkampf, nun gratuliert er begeistert seiner Spitzenkandidatin Katharina Schulze.

(Foto: Catherina Hess)

"Das ist ein Gefühl, das kann ich gar nicht beschreiben"

In der Muffathalle fragen sich indessen auch prominente Grüne, ob sie im richtigen Film sind. "Wahnsinn", sagt Sabine Nallinger, die OB-Kandidatin der letzten Kommunalwahl. "Wir haben schon immer gewusst, dass wir in München ein enormes Potenzial haben. Aber wir konnten es nicht heben." Bis jetzt. Ur-Grüne wie Bernd Schreyer sind euphorisch. "Das ist ein Gefühl, das kann ich gar nicht beschreiben", sagt der Mitbegründer der Umweltpartei in Bayern. "Wenn ich denke, dass ich seit den Achtzigerjahren für all das gekämpft habe und ich jetzt den Erfolg sehe, weiß ich, dass sich jede Stunde gelohnt hat." In den Anfängen der Partei habe sich doch kaum jemand für grüne Themen interessiert. "Und jetzt sieht man, dass so viele Menschen wollen, dass wir in diese Richtung weitermachen", so Schreyer. "Da ist wirklich kulturell etwas passiert."

Von der einst so großen SPD, mit der die Grünen im Rathaus lange regierten, ist nur am Rande die Rede. Ob man im Rathaus wieder näher zusammenrückt, oder ob jetzt ein erbitterter Kampf im linken Lager losbricht? "Die SPD muss erst mal selber herausfinden, was bei ihr falsch gelaufen ist. Wir haben unsere Ziele glaubwürdig vertreten", sagt Dominik Krause, Fraktionsvize der Grünen. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Jamila Schäfer sieht den Kurs ihrer Partei in München bestätigt. "Die starke Zivilgesellschaft in München wurde nicht müde, immer wieder zu demonstrieren und klare Kante gegen Hass und Hetze zu setzen. Wir haben genau das glaubhaft vertreten."

Auch Katharina Schulze betont das auf der Bühne. Sie brüllt ins Mikrofon, dass man nicht weiß, wer zuerst platzt: sie vor Glück oder die Elektronik. Im Namen aller Kandidaten bedankt sie sich bei den Wahlhelfern, nicht nur bei Georg Nitsche. Und da sie vor dem Stage-Diving zurückschreckt, bieten ihr die grünen Anhänger eine andere Feierform. La Ola, von vorne nach hinten. Dass sie auch noch das Direktmandat holt, "das ist das Zuckerl on top", sagt sie später. Und dass sie dringend noch einen Spezi braucht für diese lange Nacht.

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