Grüne Münchner OB-Kandidatin Nallinger:Schöne neue Zeit

Bei den Münchner Grünen steht Sabine Nallinger für Aufbruch, ihren Konkurrenten Hep Monatzeder halten sie für einen verschnarchten Vertreter der Rathauskoalition. Nun muss sich Nallinger bekannt machen und den Spagat zwischen Visionen und Realpolitik schaffen.

Dominik Hutter

Die Euphorie war fast mit Händen zu greifen. Hier ein Witzchen, dort ein Spruch - alles, um die Zeit zu überbrücken, bis die neue Hoffnungsträgerin im Grünen-Büro in der Sendlinger Straße auftaucht. Dann Schritte im Treppenhaus, Jubel, Klatschen, und eine glückliche Sabine Nallinger im bunten Sommerkleid betritt die Szenerie.

Grüne Münchner OB-Kandidatin Nallinger: Steht für Visionen und frischen Wind in der Stadtpolitik: Sabine Nallinger, die OB-Kandidatin der Grünen.

Steht für Visionen und frischen Wind in der Stadtpolitik: Sabine Nallinger, die OB-Kandidatin der Grünen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Verteilt Umarmungen, lässt sich gratulieren. Sie hat es geschafft: Oberbürgermeister-Kandidatin der Grünen, nach nur vier Jahren im Stadtrat. "Ich bin überwältigt", lauten ihre ersten Worte, und das kann sie auch sein. Noch vor eineinhalb Jahren hätte wohl jeder gewettet, dass der im Münchner Rathaus bestens etablierte Hep Monatzeder das Rennen macht. Nun kann sich der 61-jährige aufs Altenteil zurückziehen, abgestraft mit einem Ergebnis, an dem jeder gestandene Politiker zu knabbern hätte.

Offenkundig wollten die Grünen nicht einfach so weitermachen wie bisher. Hep Monatzeder - der Name steht für die Juniorrolle in der Ära Christian Ude, für eine pragmatische und koalitionsorientierte Politik, die von der Basis nicht immer goutiert wurde. Natürlich haben speziell die Grünen immer eine gewisse Leidenschaft, das politische Establishment zu stürzen.

Diesmal aber ging es um mehr: um den Aufbruch in eine neue Zeit, in der die Grünen auf Augenhöhe mit der SPD agieren und ihre Vorstellungen deshalb besser durchsetzen können. Nicht wenige an der Parteibasis halten die rot-grüne Rathaus-Koalition inzwischen für ziemlich verschnarcht. Hat sich die Stadt seit 1990 tatsächlich so verändert, wie man das durch die grüne Brille gerne sähe? Wahrscheinlich würden viele diese Frage mit Nein beantworten. Nallinger dagegen will nun anpacken: Die Altstadt soll von Autos befreit, der Wohnungsbau heftig angekurbelt werden.

Mehr Transparenz in der Politik soll es geben und eine bessere Beteiligung der Basis. Nallinger vergisst selten, das Miteinander zu betonen, die Lust zur Zusammenarbeit. "Ich bin eine absolute Team-Workerin", lautet einer jener Sätze, die sie in jüngster Zeit so oft gesagt hat. Genau das wollen die Grünen nun haben.

Dass sich Nallinger von den Leistungen der inzwischen schon 22 Jahre alten rot-grünen Koalition distanziert hat, ist ihr offenkundig nicht allzu übel genommen worden. Dennoch ruderte sie bei der Pressekonferenz nach ihrem Wahlsieg demonstrativ zurück, lobte das bisher Erreichte und Monatzeders Rolle. Auffallend war aber die Intonierung. Monatzeder, das wurde aus ihren Sätzen überdeutlich, ist ein verdienter Grüner - aber eben einer aus der Vergangenheit. Nun sollen neue Zeiten anbrechen, und dass Nallinger für Monatzeders Verbleib in der Kommunalpolitik wirbt, ist wohl einer jener Sätze, die man in einem solchen Moment einfach sagen muss.

Ein Symbol für ihren neuen Politikstil hat Nallinger noch während der auf zwei Wochen angelegten Urabstimmung eingeführt: die grüne Couch. Auf der saß die Politikerin an drei Abenden mitten auf der Straße, besetzte dabei Parkplätze und suchte das Gespräch mit den Münchnern. Mindestens so interessant wie die Gespräche waren aber ihre geladenen Gäste aus der eigenen Partei: Landeschef Dieter Janecek, Landtags-Fraktionschefin Margarete Bause und der durch seinen Anti-Olympia-Protest bekannt gewordene Landtagsabgeordnete Ludwig Hartmann.

Ziel: Bekannter werden

So kann man natürlich auch seine Unterstützung für eine OB-Bewerberin demonstrieren. Ohnehin braucht niemand anzunehmen, dass die Frau, die sich schon in den 1980er Jahren bei den Stuttgarter Grünen engagiert hatte, ihre OB-Kandidatur ohne intensives Netzwerken erreicht hätte. Nallinger hat einen Unterstützerkreis um sich gesammelt und viele Diskussionen geführt. Das Projekt autofreie Altstadt geht sie zusammen mit Stadtchefin Katharina Schulze an. Die wiederum verfügt über allerbeste Kontakte zur Parteijugend. Wie es sich anfühlt, eine Partei von der eigenen Person begeistert zu haben, durfte Nallinger bei den OB-Foren erleben. Dort heimste die Stadträtin mehr Applaus als alle anderen ein.

Dort geschah es aber auch, dass ihr die mangelnde politische Erfahrung zum Verhängnis wurde. Dort hinterfragte der gewiefte Politfuchs Monatzeder in aller Öffentlichkeit Nallingers Vision, so lange zu bauen, bis 30 Prozent aller Münchner Mietwohnungen in kommunaler Hand sind. Geht das wirklich? Und mit welchem Geld? Monatzeder wusste genau, welche Debatte er damit auslösen würde. Und Nallinger lief ins offene Messer.

Sie geriet in die Defensive und begann, ihre Vision so lange zu konkretisieren, bis sie keine solche mehr war. Sondern eher eine Art Wahlversprechen. Flankiert wurde die Debatte von Angriffen aus der SPD, die neue Hoffnungsträgerin der Grünen beschädige mit ihren Aussagen die Rathaus-Koalition. Es gibt nicht wenige in der grünen Partei, die diese Aktion als wohlkalkuliertes Aufbäumen des Establishments werteten. Als letzten Versuch, doch noch mit Hep Monatzeder ins Rennen um die Ude-Nachfolge zu ziehen. Es ist gut möglich, dass genau dieser Versuch die Reihen der Nallinger-Fans erst recht geschlossen hat. Und so den Grundstein zum Wahlergebnis vom Dienstag legte.

Es ist nicht das erste Mal, dass Nallinger für eine plakative Aktion gescholten wird. Schon im Herbst vergangenen Jahres, als sie für den Erhalt der populären Schmuddelkneipe "Schwabinger 7" kämpfte, wurde ihr vorgeworfen, den Münchnern unrealistische Versprechungen zu machen. Nallinger hatte sich damals ganz bewusst darum bemüht, ihr Themenspektrum zu erweitern, das derzeit noch sehr verkehrslastig ist. Diese Aufgabe steht der Kandidatin größtenteils noch bevor. Sie muss Pflöcke einrammen in der Sozial-, Wirtschafts- und Bildungspolitik - da gilt es, noch einiges zu konkretisieren.

Die größte Herausforderung der kommenden Monate aber wird es sein, bekannter zu werden; nur wenige Münchner wissen, wer Sabine Nallinger ist. Dies freilich hat sie mit ihrem SPD-Konkurrenten Dieter Reiter gemeinsam. Die Grüne hat aber ein Alleinstellungsmerkmal: Sie ist die erste und derzeit einzige Frau in der Kandidatenrolle - und der Ruf, endlich auch mal weibliche Chefs in Amt und Würden zu bringen, ist in München unüberhörbar. Auch Nallinger ist überzeugt, dass eine Frau einen anderen Politikstil ins Rathaus bringen würde. Frischen Wind sozusagen.

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