Süddeutsche Zeitung

Großlagen:Die Münchner Polizei ist überlastet

  • Münchens Polizisten haben mehr als eine halbe Million Überstunden angesammelt. Seit 2010 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.
  • Das liegt auch an der weltweit angespannten Sicherheitslage: Flüchtlingskrise, Terroralarm, Hochsicherheits-Wiesn, Bewachung von Konsulaten.
  • Der zweite Grund: Die Stadt wächst schnell, die Zahl der Polizeistellen stagniert aber.
  • Mehr Stellen sind jedoch unwahrscheinlich - weil München so sicher ist.

Von Thomas Schmidt

Wiesn und Pegida, Sicherheitskonferenz und Terrorgefahr, G-7-Gipfel und Fußball: Auf den Arbeitszeitkonten von Münchens Polizisten stehen inzwischen weit mehr als eine halbe Million Überstunden. Ihnen bleibt immer weniger Zeit, um kurz nach Luft zu schnappen; ein Großeinsatz folgt dem nächsten. Seit 2010 hat sich die Zahl der Überstunden mehr als verdoppelt.

Gewerkschafter warnen, die Grenze der Belastbarkeit sei längst erreicht. "So kann es nicht weitergehen", kritisiert Oskar Schuder, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in München. "Es muss etwas unternommen werden."

Ende 2016 hatten allein die 5700 Mitarbeiter des Präsidiums München etwa 512 000 "Mehrarbeitsstunden" angehäuft, also knapp 90 pro Kopf. Hinzu kommen gut 160 000 Stunden ihrer 1800 Kollegen vom Landeskriminalamt. Wie es bei den 4900 Beamten der Bundespolizeidirektion München aussieht, dazu gibt es keine offizielle Statistik. Geht man bei ihnen von einer vergleichbaren Pro-Kopf-Belastung aus, landet man bei weit über einer Million Überstunden von Münchner Polizisten.

Wie in jeder Firma ist auch bei der Polizei die Belastung unterschiedlich verteilt. Laut Thomas Bentele von der GdP sind etwa die Kräfte des Staatsschutzes sowie die Kriminalpolizei besonders betroffen. "Wenn es darum geht, einen Mörder zu fassen, gibt jeder sein Äußerstes", sagt Bentele. Doch die hohe Belastung gehe quer durch alle Reihen. München ist statistisch gesehen zwar die sicherste Stadt Deutschlands, "aber irgendwann kommt der Punkt, an dem dieses hohe Niveau nicht mehr zu halten ist", mahnt sein Kollege Schuder.

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum die Belastung in wenigen Jahren derart gestiegen ist - einen lokalen und einen internationalen. Letzterer ist die weltweit angespannte Sicherheitslage, die sich auf München spürbar auswirkt. Nach dem aufwendig bewachten G-7-Gipfel im Sommer 2015 auf Schloss Elmau wollte man den Polizisten eigentlich etwas Ruhe gönnen, um überzählige Stunden abzubauen. Doch seitdem ging es Schlag auf Schlag: Die Flüchtlingskrise mit ihrem Höhepunkt in München im Spätsommer 2015, der Terroralarm in der Silvesternacht 2015/16, der Amoklauf in München, die Hochsicherheits-Wiesn 2016, der Schutz von Weihnachtsmärkten nach dem Anschlag von Berlin, die jährliche Sicherheitskonferenz, nicht enden wollende Pegida-Aufmärsche - die Liste wird immer länger.

Für die Beschäftigten des Landeskriminalamts sind auch noch der Sprengstoffanschlag von Ansbach und die Messerattacke bei Würzburg im Juli zu nennen. Großlagen, wie die Polizei das nennt, gab es auch früher schon. Aber die Taktung wird enger, es gibt kaum noch Ruhephasen.

Hinzu kommt, dass in München etwa 100 konsularische Vertretungen angesiedelt sind. Manche davon, wie jene der USA und Israels, müssen Tag und Nacht bewacht werden. Von diesem permanenten Aufwand bekommt die Bevölkerung kaum etwas mit. Doch je unsicherer die Weltlage ist, desto besser müssen die internationalen Vertretungen geschützt werden. Große Gerichtsverfahren wie der NSU-Prozess binden zusätzlich Kräfte. "Wie sollen wir denn von den Überstunden runterkommen, wenn immer mehr Aufgaben dazukommen?", fragt GdP-Vorstand Schuder.

Die hohe Belastung ist aber nicht allein der Weltpolitik zuzuschreiben. Der zweite, lokale Grund ist, dass die Stadt schnell wächst, die Zahl der Polizeistellen aber weitgehend stagniert. "In den vergangenen Jahren wurden in München kaum zusätzliche Stellen geschaffen", kritisiert Schuder. Und wenn doch aufgestockt werde, dann nicht auf der Straße. Die Cyber-Crime-Einheit und das Spezialeinsatzkommando seien zwar verstärkt worden, aber nicht die klassischen Polizeibereiche, mit denen der Bürger im Alltag in Kontakt kommt. Auch der Schutz von Fußballspielen sei über die Jahre aufwendiger geworden, berichtet Bentele. Im Gegensatz zu früher gebe es heutzutage bis hinunter in die vierte Liga gewaltbereite Fans.

Bislang sei der Streifendienst nicht reduziert worden, "wir machen es immer passend, obwohl das kaum noch möglich ist", sagt Schuder. "Aber irgendwann geht's nicht mehr." Seine Forderung: Allein das Präsidium München brauche 300 zusätzliche Stellen, um die Überstunden abzubauen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass der Freistaat diese Stellen genehmigt, sei "sehr gering".

Geht es um die Stellenzuweisung innerhalb Bayerns, dann orientiert sich das Innenministerium nicht zuletzt an der Kriminalstatistik. Und nach der sieht es in München im Vergleich zu anderen Städten ausgesprochen gut aus. Wenn München so sicher ist, braucht die Stadt auch keine zusätzlichen Polizisten, so die Logik. Der Fluch des Erfolgs guter Polizeiarbeit.

Doch wie lange soll das gut gehen, wenn bei mehr als einer halben Million Überstunden noch keine Grenze erreicht ist? Die Bevölkerungsentwicklung werde bei der Vergabe nicht berücksichtigt, ärgert man sich insgeheim in München. Der Haken ist: Politisch wäre es heikel, die Zahl der Stellen an die Demografie zu knüpfen. Denn dann müssten in manchen Landstrichen Bayerns wohl kleine Dienststellen geschlossen werden, die Einwohner gingen auf die Barrikaden. Ein Albtraum für jeden wahlkämpfenden Landtagsabgeordneten.

Der Gewerkschafter Schuder ist überzeugt: Die finanziellen Mittel für zusätzliche Stellen in München wären vorhanden. "Es kann mir keiner sagen, dass sich Bayern das nicht leisten kann. Dennoch wird an der Sicherheit gespart." Trotz der enormen Belastung sei die Stimmung in der Truppe gut, sagt Schuder - nicht ohne ein "noch" einzufügen.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2017/ebri
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