Einen Fuß rein, dann den anderen. Können Sie Ihre Füße bewegen? Nein. Gut! Dann kann es losgehen. Ein großer eiserner Ring wird von einer Frau im Krankenhausgewand gelöst und sacht angestoßen. Daraufhin schwebt die Autorin dieses Textes im Selbstversuch nach vorn. Angestoßen durch die eigene Körperkraft dann nach hinten. Das Gerät, das das ermöglicht, heißt Spacecurl, und tatsächlich kam es früher beim Astronautentraining der US-Raumfahrtbehörde Nasa zum Einsatz.
Nun können meistens Patienten dem kribbeligen Gefühl der Schwerelosigkeit nachspüren, das es erzeugt. Der Spacecurl, der gerade immer schneller rotiert, mittlerweile in allen drei Ebenen des Raumes gleichzeitig – nur beim Gedanken daran dreht sich wieder der Kopf –, steht im Schwindel- und Gleichgewichtszentrum des LMU-Klinikums in Großhadern. Am kommenden Samstag können ihn alle Interessierten ausprobieren. Denn dann ist Tag der offenen Tür in Großhadern, und alle Disziplinen und Fächer laden ein zum Kennenlernen und Erkunden.

Der Tag zelebriert das 50-jährige Bestehen des Medizingeländes. Es gibt ein umfangreiches Programm mit diversen Mitmachaktionen, der Simulation einer Kinderherz-OP, einem begehbaren Lungenmodell, Führungen durch alle großen Zentren, Kinderprogramm, zahlreichen Expertenvorträgen in drei Hörsälen. Es verspricht die Gelegenheit, ins Innere eines Krankenhauses zu blicken, ohne Patient zu sein.
Da steht man also im Spacecurl und sinniert kurz über das Feste unter den Füßen und das Gefühl, es zu verlieren. Dann ordnet auch schon Andreas Zwergal, Neurologe und Leiter des Schwindelzentrums, ein: Meistens benutzen die Mediziner das Gerät zur Diagnostik. Jemand kommt schon mit einem Schwindelgefühl – und kann hierdurch das „Gefühl der Vertikalität“ zurückgespiegelt bekommen. Im besten Fall bekommt man etwas mehr Verständnis dafür, woher der Schwindel kommen könnte. Denn „Schwindel ist ein Symptom aller möglichen Erkrankungen“, sagt Zwergal. Hier im Zentrum, dem größten seiner Art in Europa, versucht man mit allerhand Tests der spezifischen Erkrankung auf die Schliche zu kommen.
Welche Instrumente im Schwindel- und Gleichgewichtszentrum eingesetzt werden
Teilweise sei der Schwindel für Betroffene so schwer auszuhalten, dass etwa die Hälfe von ihnen den Job reduzieren oder ganz aufgeben müsste, erzählt Zwergal. Zu ihnen in die Ambulanz kämen Patienten teilweise nach jahrelanger Odyssee durch die Ärztelandschaft und ohne klare Antwort. „Wir finden fast immer die Ursache“, sagt Zwergal nicht ohne Stolz. Etwa 90 Prozent der Patienten hier bekämen am Ende eine klare Diagnose. Die meisten Erkrankungen könne man wirklich gut behandeln, wenn man erst einmal dahintergekommen sei, sagt Kollegin Doreen Huppert. Etwa 4500 Patientenkontakte hätten sie pro Jahr.
Aus dem Spacecurl heraus, festen Boden berühren, ein paar Zimmer weiter. Hier steht ein weiteres Diagnosegerät. Ein Halbkreis, in dem sich ein Stäbchen dreht, umgeben von einem sich gleichzeitig in die andere Richtung drehenden Schwarm an kleinen Punkten. Wer kann das Stäbchen mit einem Regler trotz provozierten Schwindels gerade ausrichten? Und für wen sieht es gerade aus – ist in Wahrheit aber deutlich schräg? Hier wird die sogenannte subjektive visuelle Vertikale bestimmt. In anderen Räumen werden die Patienten weiter untersucht, etwa durch eine Ohrspülung oder mittels einer speziellen Brille, die die Augenbewegungen misst.



In seinem Büro hält Andreas Zwergal ein Modell des menschlichen Gleichgewichtsorgans in den Händen. Es liegt hinterm Ohr im Knochen und heißt Labyrinth. Es hilft, die Bewegungen des Kopfes zu verarbeiten und dadurch das Gleichgewicht zu behalten. Nach all den Experimenten muss man dem Labyrinth danken, dass man wieder schwindelfrei laufen kann.
Denn gleich auf der anderen Seite des Gangs ist Konzentration und Feinmotorik gefragt, da wäre Schwindel ziemlich hinderlich. Die Chirurgie lädt ein, eine laparoskopische Operation auszuführen. Natürlich nur als Trockenübung. Aber mit den Geräten, die täglich im Operationssaal zum Einsatz kommen.
Bei der laparoskopischen OP wird der Bauch nicht komplett geöffnet, stattdessen werden nur einzelne Punkte in der Bauchdecke aufgemacht, und die OP findet im Inneren statt. Dafür sind eine spezielle Kamera nötig sowie spezielle Instrumente, lange Stäbe mit kleinen Griffen an den Spitzen. Das alles wird durch Röhrchen, sogenannte Trokare, in den Bauch eingeführt. Wenn Ärzte über minimalinvasive Eingriffe am Bauch reden, ist häufig die Laparoskopie gemeint. Kleine Schnitte, kleine Wunden, kleine Narben.
Am Laparoskopie-Box-Trainer ist eine gute Hand-Augen-Koordination gefragt – und auch viel Geduld
Alexander Frank steht an einem der beiden Laparoskopie-Box-Trainer, die er auch am kommenden Samstag für die Besucher aufbauen wird. Damit können sich die Medizin-Studierenden, die am LMU-Klinikum praktische Teile ihres Studiums absolvieren, an den laparoskopischen Geräten ausprobieren. Frank leitet die Kurse, die sie anbieten, als freiwilliges Extra. Und die seien heiß begehrt, erzählt er, denn dadurch hätten die Studierenden die Chance, mal sehr praxisnah selbst tätig zu werden – ohne die Gefahr, jemanden durch Unerfahrenheit zu verletzen.
Frank, weißer Kittel, dunkles Brillengestell, macht es vor, und es sieht so selbstverständlich, so locker-leicht aus: Er nimmt mit der Zange am Ende seines Laparoskopie-Stabs ein Mini-Kügelchen, höchstens ein paar Millimeter Durchmesser, hebt es hoch und legt es in einer dafür vorgesehenen Mulde ab. Alles winzig klein. Jetzt möchte man es unbedingt selbst ausprobieren. Das sollte doch hinzubekommen sein!

So viel sei gesagt: Diese Übung ist definitiv nicht nur ein Test der Hand-Augen-Koordination, sondern auch, und vor allem der Geduld. Denn der größte Haken an der Übung ist, dass man mit den Stäben im fingierten Bauch in einem dreidimensionalen Raum hantiert. Jedoch das Bild von der Kamera, die das Geschehen im Bauch filmt, ja nur zweidimensional auf einem Bildschirm angezeigt wird. Und nur das Bild dient der Orientierung.
Weil es so eine kniffelige Arbeit ist, setzt Jens Werner, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie sich dafür ein, dass diese Übung verpflichtender Teil der Weiterbildung zum Chirurgen wird, wie es in den USA längst der Fall sei. Denn die Chirurgie sei auch ein Handwerk, so Werner. Und das müsse man üben.
Tag der offenen Tür am Klinikum Großhadern, Samstag, 14. September 2024, 10 bis 16 Uhr. Mehr Informationen unter https://www.lmu-klinikum.de/50-jahre-grosshadern.