Große Augen, große Aufmerksamkeit:Von wegen nerdige Nische

Große Augen, große Aufmerksamkeit: Als Berrin Jost ihre Hündin Goji nicht mehr mit in die Arbeit nehmen durfte, machte sie sich selbstständig als Illustratorin.

Als Berrin Jost ihre Hündin Goji nicht mehr mit in die Arbeit nehmen durfte, machte sie sich selbstständig als Illustratorin.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Berrin Jost, 32, zeichnet Mangas, seit sie elf Jahre alt ist. Nun stellt sie zum ersten Mal ihre Zeichnungen aus - in einer renommierten Galerie für zeitgenössische Kunst

Von Theresa Parstorfer

Sie fängt an mit einem Kreis, zeichnet ihn locker aus der Schulter. Das wird mal ein Gesicht. Der Bleistift in Berrin Josts Hand scheint über das Papier ihres Skizzenbuchs zu fliegen, eine feine Linie legt sich über die andere. "Nicht zu fest aufdrücken, das ist wichtig", sagt Jost. Sie unterteilt den Kreis mit zwei Linien. "Oberhalb der Linie kommen die Augen." Auf diesem Gesicht liegt die Linie etwas tiefer, die Augen sollen sehr groß werden, größer als bei einer naturgetreuen Zeichnung. Denn Berrin Jost, 32, ist Manga-Zeichnerin. Und Manga-Figuren haben große Augen.

Jost sitzt in der Karin-Sachs-Galerie in der Augustenstraße, ganz nah an den großen Museen - Glyptotheken, Pinakotheken, Lenbachhaus - umgeben von ihren kleinen Werken: Eine Meerjungfrau mit pinkem Haar und Baseballcap, ein Engel, der die Arme zum Sprung über eine Klippe ausbreitet, ein Mann, der zwischen Hochhäusern entlang sprintet, ein Pärchen, das ein Selfie von sich macht. Alle haben sie die großen Augen, die für Mangas so typisch sind, einige sind farbig, andere mit Tusche gezeichnet, manche sind auf dem iPad entstanden, andere mit Aquarellfarben. Es ist Josts erste Einzelausstellung, und dass sie so etwas jemals haben würde, hätte sie nie gedacht. Als Karin Sachs, die Galerie-Besitzerin, ihr eine E-Mail schrieb, ob sie denn Interesse an einer Ausstellung hätte, "dachte ich, das sei Spam", sagt Jost und lacht. Sie trägt ein dunkelgrünes Kleid, die Haare sind dunkelrot gefärbt, sie hat ein breites Lächeln und sie lächelt viel.

Karin Sachs, die Galeristin, sitzt ihrer Künstlerin gegenüber, blickt auf das Skizzenbuch. Sie sieht die Ausstellung "Mangawelten" als Möglichkeit, ein Genre zu zeigen, das nicht oft in Kunstgalerien vertreten ist, ein Genre, das nicht einmal unbedingt als Kunst verstanden wird. "Ich glaube aber, das wird kommen", sagt Sachs. Mangas sind einfach so anders als zeitgenössische Kunst, verspielter, nicht so abstrakt. Selten hat Sachs ein so junges Publikum wie bei dieser Ausstellung.

Mangas kommen aus Japan; dort ist Manga-Zeichner, ein "Mangaka", ein etabliertes Berufsbild. Nicht so sehr hier in Deutschland. Der Hype um die Figuren mit den großen Augen ist zwar nicht neu, steht aber immer noch ein bisschen in der Nerd-Ecke, die über Pausenhof und sogenannte Conventions, bei denen Fans und Spezialisten sich austauschen, nicht hinauskommt.

Wie ausdifferenziert Manga als Genre ist, weiß in Deutschland kaum jemand. Es gibt spezielle Unter-Genres für unterschiedliche Zielgruppen. "Shōjos" beispielsweise, sind für junge Mädchen gedacht, es geht ums Verliebt-Sein, aber auch um lustige Alltagsbegebenheiten; die Zeichnungen sind detailverliebt und zart. "Shōnen" ist das Pendant für Jungen, "Shōnen Ai" erzählt Geschichten, in denen es um die romantische Beziehung zwischen zwei jungen Männern geht. "Josei" sind für Frauen ab 18, es geht um den Berufseinstieg, um Beziehungen und Alltagsprobleme, und "Seinen" werden für Männer geschrieben und gemalt, oft mit erotischen oder gewalttätigen Motiven.

Jost kennt all diese Unterscheidungen, sie war zwar selbst noch nie in Japan, aber sie zeichnet Mangas, seit sie elf Jahre alt ist, und animierte Filme und Spiele wie Pokémon und Dragon Ball gut fand. Ja, vielleicht war sie schon eher eine von den Nerds, die anstatt auf Parties zu gehen, lieber zuhause Computer-Spiele zockte - und eben Mangas malte. Ihr gesamtes Taschengeld steckte sie in Manga-Comics. Bei fünf Euro pro Heft und 20 Euro Taschengeld, waren das vier Geschichten im Monat. "Das fanden meine Eltern nicht so gut", sagt Jost, so ein Heft habe man schließlich ziemlich schnell gelesen.

Jost wuchs in der Nähe von Stuttgart auf, die zehn Jahre ältere Schwester studierte Medizin, ebenso viele der Cousinen und Cousins. Jost wollte immer zeichnen. Also studierte sie Kommunikationsgestaltung mit einem Auslandssemester in Vancouver. Mit ihrem Mann zog sie vor ein paar Jahren nach München, arbeitete bei mehreren Agenturen als Grafikerin. "Aber richtig glücklich war ich da nie", sagt sie.

Und dann kam Goji. Goji ist eine japanische Hündin, ein Shiba-Inu, die an diesem Tag durch die Galerie tapst. Weil weder Jost noch ihr Mann sie mit ins Büro nehmen durften, kündigte sie ihren Job und machte sich selbständig. Nach wie vor als Grafikerin, aber immer wieder auch als Illustratorin. Außerdem gibt sie Zeichenunterricht. Zwei Bücher hat sie im Eigenverlag veröffentlicht. Das eine handelt von Goji, der Hündin, die sich manchmal krank stellt, weil es beim Tierarzt die guten Leckerlis gibt.

Die Ausstellung "Mangwelten" in der Galerie Karin Sachs ist bis zum 29. Februar zu sehen.

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