Großdemo "Jetzt gilt's":Politisch ist in München einiges in Bewegung geraten

Demonstration gegen Polizeiaufgabengesetz in München, 2018

Aus der Flüchtlingsarbeit, der Bürgerrechtsbewegung, aus Kirchen, Gewerkschaften und Parteien: Die Aktivisten, die am Mittwoch wieder demonstrieren wollen, kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen.

(Foto: Florian Peljak)
  • In diesem Jahr gab es in München sechs Demonstrationen, 2017 waren es dagegen nur zwei.
  • Die Demonstration "Jetzt gilt's!" am Tag der Deutschen Einheit soll den "Sommer des Widerstands" ausklingen lassen, sagt Thomas Lechner von der Initiative "Ausgehetzt".
  • Die Aktivisten sind untereinander gut vernetzt und können innerhalb kurzer Zeit viele Bürger auf die Straße bringen.

Von Dominik Hutter

Demokratie ist anstrengend. Sprüche müssen ersonnen, Demonstrations-Transparente fabriziert werden. Es gilt, Ordner zu beauftragen und den Kontakt zwischen den vielen Organisationen zu pflegen, die zur Kundgebung aufrufen - mehr als 50 sind es diesmal. Das Kreisverwaltungsreferat beschäftigt sich derweil mit Sicherheitsfragen, mit Straßensperrungen und Marschrouten. In dessen Büros an der Ruppertstraße lässt sich mit Zahlen belegen, mit welch großer Leidenschaft die Münchner neuerdings für politische Zwecke auf die Straße gehen. Zwar gab es 2017 insgesamt eine höhere Anzahl an Demos als 2018. Die Teilnehmerzahlen waren aber deutlich geringer. Während im vergangenen Jahr nur zwei Versammlungen mit "bis zu 5000 Teilnehmern" bei der Ordnungsbehörde angezeigt wurden, waren es 2018 bislang sechs mit "mindestens 5000 Personen".

Am Mittwoch ist es wieder so weit: Großdemo auf dem Odeonsplatz. Eine Art Ausklang des "Sommers des Widerstands", wie Thomas Lechner von der Initiative "Ausgehetzt" das Geschehen auf Münchens Straßen nennt. "Jetzt gilt's" ist die Demo überschrieben, sie steht in einer Reihe mit der Protestveranstaltung gegen das Polizeiaufgabengesetz im Mai, der Anti-Rechtsruck-Kundgebung "Ausgehetzt" im Juli sowie dem Mieterprotest "Ausspekuliert" vor zweieinhalb Wochen - mit jeweils zwischen 10 000 und gut 30 000 Demonstranten. Fünfstellige Teilnehmerzahlen, das war in München schon selten geworden. Auch wenn es den Münchner Initiativen über die Jahre hinweg immer wieder mal gelang, innerhalb kurzer Zeit eine stattliche Zahl von Bürgern gegen Rassismus auf die Straße zu bringen.

Das hätte wohl nicht geklappt, wenn die Gruppen nicht so gut vernetzt wären. Durch das breite Bündnis "München ist bunt" etwa, dessen Arm auch in das Münchner Rathaus reicht - die Vereinsvorsitzende Micky Wenngatz arbeitet im Büro der Dritten Bürgermeisterin. Inzwischen aber verfestigen sich auch die Strukturen eines anderen Bündnisses: "Ausgehetzt" und die Aktivisten gegen das Polizeiaufgabengesetz ("noPAG") haben die "Jetzt gilt's"-Demo gemeinsam organisiert, mit Thomas Lechner gibt es inzwischen einen "Ausgehetzt"-Vertreter in den Organisationsstrukturen von "noPAG". Man will zusammen kämpfen, und auch nach der Landtagswahl soll es weitergehen.

Politisch ist in München einiges in Bewegung geraten - außerhalb der Parlamente. Die Aktivisten pflegen Verbindungen zu zahlreichen Organisationen, darunter das Flüchtlingsprojekt Bellevue di Monaco, "Matteo - Kirche und Asyl", Attac, Flüchtlingsrat, DGB, aber auch zu SPD, Linken und Grünen. Die etablierten Parteien sollen allerdings nicht allzu sehr im Vordergrund stehen. Lechner findet, dass der von "Ausgehetzt" beklagte Rechtsruck keinesfalls nur in der CSU zu beobachten sei, sondern auch in vielen anderen Parteien. Parallel startet die Vernetzung mit Bündnissen aus anderen Städten, in denen gerade ähnliche Entwicklungen stattfinden.

Wirklich übersichtlich sind diese neuen Strukturen nicht. "Ausgehetzt" und "noPAG" sind selbst Zusammenschlüsse, die aus verschiedenen Organisationen bestehen. Zu den Treffen kommen mal 30 und mal 150 Leute. Irgendwie ist also jeder direkt oder indirekt mit anderen vernetzt und teilweise auch in einem Verein verbunden. Die Aktivisten kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen - aus der Flüchtlingsarbeit, der Bürgerrechtsbewegung, aber eben auch aus den Kirchen, den Gewerkschaften und von anderen etablierten politischen Spielern.

Lechner: "Unsere Demokratie ist in Gefahr"

Ob und wie diese politische Zusammenarbeit längerfristig weitergeht, ist offen. Lechner, der die Veranstaltungsabteilung des Kulturzentrums "Feierwerk" leitet, will auch ein Engagement bei einer Kommunalwahl nicht grundsätzlich ausschließen. Nicht unbedingt in einer Partei, "das ist nicht mein Ding". Aber das Kommunalwahlrecht, das bekanntlich keine Fünf-Prozent-Hürde kennt, bietet ja auch Möglichkeiten für kleinere Gruppierungen.

Zunächst aber geht es auf der Straße um das gemeinsame Ziel. Um eine "tief greifende gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, die nicht nur Bayern, sondern Deutschland und ganz Europa erfasst hat", wie es die beiden Bündnissprecher Fred Heussner ("Ausgehetzt") und Laura Pöhler ("noPAG") bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zur "Jetzt gilt's"-Demo verkündeten. In der Kritik steht das Polizeiaufgabengesetz als Eingriff in die Bürgerrechte ebenso wie ganz allgemein der Rechtsruck in der Gesellschaft.

"Unsere Demokratie ist in Gefahr", sagt Lechner, der eine zunehmend vergiftete Stimmung in Politik und Gesellschaft ausmacht. Dabei solle es nicht explizit gegen die CSU gehen, in der ja auch viele Mitglieder verständnislos den Kopf über die Äußerungen der Parteispitze zu Flüchtlingen geschüttelt hätten. Aber gegen Akteure wie Horst Seehofer und Markus Söder eben schon. Deren Konterfeis waren auch zusammen mit Alexander Dobrindt auf den Plakaten zur "Ausgehetzt"-Demo abgebildet. Und die CSU tat den Demo-Organisatoren den Gefallen und reagierte auffallend dünnhäutig. Das habe letztlich zum großen Erfolg der Demo beigetragen, findet Lechner. Die Rathaus-CSU hatte damals den Chefs der städtischen Theater, die Werbung für die Demo gemacht haben, einen Maulkorb verfassen wollen und eigens Gegenplakate kleben lassen. Klar, dass dies die Aufmerksamkeit und Sympathie für die trotz strömenden Regens beeindruckend große Demo noch erhöhte.

Micky Wenngatz, SPD-Landtagskandidatin und als Vorsitzende von "München ist bunt" eine erfahrene Netzwerkerin, ist sehr glücklich über das Engagement. Es handle sich um eine "gute Ergänzung zur Parteienlandschaft", jedes Treffen der Aktivisten sei "gelebte Demokratie". Ungewöhnlich findet Wenngatz an der aktuellen Situation, dass sich Bündnisse nicht nur für einen ganz speziellen Anlass bilden, sondern dass die Beteiligten Wert auf eine längerfristige Zusammenarbeit legen. Es handle sich um eine "Repolitisierung", vermutlich "aus der Not heraus, sonst nicht wirklich gehört zu werden".

Auch Ursula Münch, die Direktorin der Tutzinger Akademie für politische Bildung, findet es interessant, "dass sich unterschiedliche Bündnisse immer wieder neu zusammenfinden". Allerdings sieht die Wissenschaftlerin die Entwicklung zwiespältig. Denn so begrüßenswert es sei, dass sich so viele für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stark machen - letztlich könnten die Aktivitäten dafür sorgen, dass die ohnehin schon vorhandene Spaltung der Gesellschaft, die Polarisierung, noch wächst. Das liege an einem sozusagen demonstrationstypischen Problem: der eigentlich unumgänglichen Zuspitzung sowie der Fixierung auf einen gemeinsamen Gegner, sagt Münch.

Abgrenzung sei ein typisches Phänomen bei Demonstrationen. Idealerweise gehe man aber nicht gegen jemanden auf die Straße, sondern für etwas. Münch verweist auf die Partizipationsforschung, in der die Tendenz zu auffallend vielen Demonstrationen entweder auf eine extreme Spaltung der Gesellschaft sowie unübersehbare Missstände zurückzuführen ist. Oder aber auf eine sehr starke Politisierung. Münch fürchtet, dass Ersteres der Fall ist. Wobei auch eine starke Politisierung nicht immer positiv sei, wenn die Pole zugleich immer weiter auseinanderdriften. Das sei auch in der Weimarer Republik der Fall gewesen.

Münch hofft für die Zukunft auf eine "gewisse Mäßigung" in der politischen Szene. Die unterschiedlichen Akteure sollten sich dem Dialog stellen und auch andere Auffassungen akzeptieren. Dazu gehöre auch die Einsicht, dass nicht jeder, der sich für eine Begrenzung der Migration ausspricht, gleich auf der rechten Seite stehe. Die Diskutanten dürften sich nicht in Lagern verschanzen - hier die angeblich Guten und dort die angeblichen Rassisten.

Das Bündnis der Münchner Initiativen hat eine lange Vorgeschichte. Lechner hat im Herbst 2015, während eines Besuchs bei seinem Vater in Österreich, die Ankunft der Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof aus der Ferne mitverfolgt und sich für ein Engagement in diesem Bereich entschieden. Es entstanden organisierte Begegnungen zwischen Flüchtlingen und Münchnern im "Feierwerk", Diskussionsrunden und schließlich eine Demo vor der Bundestagswahl, unter dem Motto "Menschenrechte wählen". Die Kontakte zu anderen Aktiven wurden immer enger und zahlreicher.

Und irgendwann fiel Lechner auf, dass in der Politik "nur noch über Asyl gesprochen wird, über nichts anderes mehr", und dass es einen Rechtsruck gebe, der einen Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppen erfordere. Passiert ist das dann auf zwei Wegen: Die einen haben sich selbst gemeldet, bei den anderen hat man angefragt. Und sich dabei immer weiter politisiert, auch wenn das anfangs gar nicht beabsichtigt war. So ähnlich erging es auch Monika Hoenen von "Matteo - Kirche und Asyl". Sie sagt: "Wir sind nicht gestartet, weil wir politisch arbeiten wollten." Erst als durch Anzeigen plötzlich Pfarrer und auch Flüchtlinge im Kirchenasyl kriminalisiert wurden, habe man gemerkt, dass man aktiv werden müsse. Für Rechtsstaatlichkeit. "Wir stehen nicht gegen den Staat. Sondern für ihn."

Die Demo "Jetzt gilt's!" am Mittwoch, 3. Oktober, beginnt um 13 Uhr auf dem Odeonsplatz. Von dort ziehen die Demonstranten durch Brienner, Arcis-, Theresien- und Ludwigstraße. Um 15.30 Uhr ist die Schlusskundgebung auf dem Odeonsplatz. Am Samstag, 6. Oktober, steht die Demo "Mia ham's satt" von diversen Naturschutzverbänden an. Beginn: 11 Uhr auf dem Königsplatz, wo um 13.30 Uhr auch die Schlusskundgebung stattfindet. Die Demoroute führt über Karolinen-, Odeonsplatz, Ludwig-, Theresien- und Arcisstraße. Während beider Demos werden die MVG-Buslinien 58/68 und 100 für mehrere Stunden entlang der Route unterbrochen, die Tram 27/28 fährt nicht zwischen Kurfürstenplatz und Sendlinger Tor.

Zur SZ-Startseite
Abendlicht über München

Drei Monate vor der Landtagswahl
:Es scheint, als flöge München der CSU um die Ohren

Die CSU beunruhigt, dass der Protest gegen die Staatsregierung immer schärfer wird - besonders, weil München für die Landtagswahl entscheidend ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: