Grimme-Preis für Philipp Walulis:Grenzen überschreiten - aber charmant

Er ätzt nicht wie Oliver Kalkhofe, er schulmeistert nicht wie manche ältere Kabarettisten, er blödelt nicht platt wie Stefan Raab: Der Münchner Philipp Walulis ist für seine intelligente, wunderbar böse und medienkritische Fernseh-Satire ausgezeichnet worden - obwohl es erst vier Folgen davon gibt.

Judith Liere

Vor ein paar Tagen noch hat sich Philipp Walulis ganz bescheiden gegeben. Es sei ja schon toll, überhaupt gemeinsam mit Sendungen wie "Pastewka", "Stromberg" und der "heute-show" nominiert zu sein, gegen die könne man auch guten Gefühls verlieren. Aber Philipp Walulis hat nicht verloren. Sondern mit seiner kleinen, intelligenten, wunderbar bösen und medienkritischen Sendung "Walulis sieht fern" den Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung gewonnen, wie am Dienstag bekanntgegeben wurde.

Grimme-Preis für Philipp Walulis: Mit dem Rücken zur Wand? Von wegen. Philipp Walulis gehört die Zukunft der Fernsehsatire.

Mit dem Rücken zur Wand? Von wegen. Philipp Walulis gehört die Zukunft der Fernsehsatire.

(Foto: Robert Haas)

Mit einer Sendung, von der es bisher gerade mal vier Folgen gibt, die mit kleinem Budget vom Münchner Aus- und Fortbildungskanal afk tv produziert wird und die Donnerstagabends um 0.40 Uhr auf Tele 5 (ja, das gibt's noch) läuft. "Eine der vergnüglichsten Entdeckungen des TV-Jahres", schreibt die Grimme-Jury in ihrer Begründung. Philipp Walulis sagt: "Das ist schon cool, das hätte ich echt nicht für möglich gehalten."

Der 31-jährige Walulis, aufgewachsen im Süden Münchens und offiziell eigentlich noch Student der Theaterwissenschaft, hat seine ersten Sendungen beim Studentenradio M 94.5 gemacht und beim BR gearbeitet. Walulis kann sehr treffend Klischees, Muster und Maschen analysieren und überspitzen. Davon leben die parodierenden Clips, mit denen er Fernsehformate vorführt, "Bauer sucht Frau" zum Beispiel. Walulis' Off-Stimme erklärt genau, wie eine typische Kuppel-Sendung aufgebaut ist, welche Charaktere darin wie inszeniert werden - und ganz beiläufig fallen so treffende Gemeinheiten wie: "Bauern, die eigentlich viel lieber familienintern geheiratet hätten."

Der Beitrag "Der typische ,Tatort' in 123 Sekunden" bringt die immer gleiche Dramaturgie der Krimireihe auf den Punkt und wurde begeistert bei Facebook und in Blogs geteilt - und hat so wahrscheinlich mehr Zuschauer erreicht als auf dem eigentlichen Sendeplatz.

Philipp Walulis' analytischer Blick macht sich auch im Alltag ständig bemerkbar. Als er für den Fotografen im Café posieren soll, fallen ihm zahlreiche Vergleiche ein, an welche inszenierten Promi-Posen ihn das erinnert - geht also nicht. Stattdessen lieber ganz neutral schauen vor der Backsteinwand, das ist unbelasteter. Über den Adolf-Grimme-Preis sagt er, es wäre toll, ihn zu gewinnen, weil man das auch den Großeltern gut erzählen könnte: "Schaut mal, ein richtiger Preis, von Leuten, die Vornamen tragen, die ihr von früher kennt."

Nicht sofort als Satire durchschaut

Walulis sagt dauernd solche Sachen, aber man findet das bei ihm nicht böse, sondern charmant, das unterscheidet ihn von seinen Satire-Kollegen. Er ätzt nicht wie Oliver Kalkhofe, er schulmeistert nicht wie manche ältere Kabarettisten, er blödelt nicht platt wie Stefan Raab. Vielleicht liegt es daran, dass er mit dem ordentlichen Hemd, den blonden Haaren und seinen guten Manieren ein bisschen wie der wohlerzogene junge Mann von nebenan wirkt. Vielleicht liegt es aber auch am beiläufigen Tonfall, mit dem er solche Sachen sagt.

Man hört zu, nickt - und merkt erst ein paar Sekunden später, wie viel Biss tatsächlich in seinen Aussagen steckt. Ziemliche gute Voraussetzungen für eine große Fernsehkarriere, und es wäre sehr verwunderlich, wenn Walulis in den nächsten Jahren nicht öfter und zu prominenteren Sendezeiten auf dem Bildschirm auftauchen würde.

Das Analysieren und Zuspitzen von Klischees hat Walulis vor knapp fünf Jahren schon einmal viel Aufmerksamkeit beschert: Da gründete er mit ein paar Freunden als satirische Antwort auf den Ghetto-Rap des Labels Aggro Berlin die Gruppe Aggro Grünwald auch genannt Die Stehkrägen. Aggro stand für Aktien, Geld, Grundbesitz, Rendite, Opulenz. Walulis rappte als MC Erbgraf und gab vor, mit bürgerlichem Namen Constantin Kress zu Krassnstein-Seyn zu heißen, und ihre Single hatte den Refrain "Hey kleiner Mann, deine Armut kotzt mich an, hast du keinen Vater, keine Mutter, die was kann".

Das verursachte viel Wirbel, weil es nicht sofort als Satire durchschaut wurde und die Gruppe auch nicht dazu Stellung bezog. "Wir haben ein bisschen gezündelt, und es ist explodiert", sagt Walulis über die Aufregung in den Medien. "Das hat mich gewundert - so viele Figuren auf einen Haufen, die so dumm und überzeichnet sind. Aber wenn man sich die Münchner so anschaut, übertrifft da die Realität ja meistens noch die beste Satire."

In Wirklichkeit hat Philipp Walulis tatsächlich Freunde, die von ihren Familienverhältnissen her in die parodierte Schnösel-Kategorie passen könnten - sein Vater war Lehrer an der Munich International School in Starnberg-Percha. "Aber ihre Herkunft beschäftigt weder sie noch mich. Wären das oberflächliche, ignorante Menschen, wären sie nicht meine Freunde."

In einer Sache hat Philipp Walulis allerdings geschummelt: Er schaut nie fern, auch wenn der Titel seiner Sendung das behauptet. "Ich recherchiere gezielt nach Sendungen und nehme die mit einem Online-Rekorder auf. Der Mist ist ja schon von der Ferne zu erkennen." Perlen wie "Walulis sieht fern" muss man dafür leider mit der Lupe suchen. Tele 5 wiederholt die vier Folgen von 22. März an, diesmal um 23.05 Uhr. Walulis grinst: "Das ist ja schon die Primetime des kleinen Satirikers."

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