Süddeutsche Zeitung

München:Rechtsextreme "Graue Wölfe" nutzen Folklore als Tarnung

Lesezeit: 3 min

Von Martin Bernstein

Das Video zeigt viele kleine Kinder, auch alte Menschen, ganze Familien sind gekommen, um der Sängerin im türkisfarbenen Kleid zuzuhören. Ein Redner tritt auf, Wimpel werden überreicht. Ein Folklorenachmittag in einer Kleinstadt im Odenwald, so sieht es aus. Doch auch Fahnen werden geschwenkt, rote Fahnen mit drei weißen Halbmonden. Und immer wieder zeigen Menschen eine ähnliche Handbewegung: Mittel- und Ringfinger gegen den Daumen gedrückt, Zeigefinger und kleiner Finger nach oben abgespreizt.

Der angedeutete Wolfskopf ist das Symbol der "Grauen Wölfe", der türkischen Rechtsextremisten. Am 30. Dezember wird dieser Gruß auch in München gezeigt werden, dutzendfach mindestens. Die Anhänger der vom Verfassungsschutz beobachteten Ülkücü-Bewegung laden in einen Saal am Frankfurter Ring sein.

Nicht weit entfernt vom Ort des auf Facebook angekündigten Geschehens, in der Knorrstraße, hat das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz. Die scheinbar harmlose Folklore-Veranstaltung beschäftigt den Nachrichtendienst. "Das ist etwas, was man im Auge behalten muss", heißt es dort. Denn hinter der familiären Wohlfühlatmosphäre stecke eine Strategie.

Es gehe darum, neue Anhänger für die Ideologie der Grauen Wölfe zu gewinnen - und die sei gekennzeichnet von den klassischen Bestandteilen rechtsextremistischer Ideologie wie Rassismus, Überhöhung der eigenen Nation und Antisemitismus. Die vielen kleinen Kinder beim Tourneestart in Mosbach deuten an, dass die Ülkücü-Bewegung schon auf die Jüngsten Einfluss zu gewinnen hofft. Außerdem, so heißt es aus dem Landesamt, solle ein Konzert wie das kurz vor Silvester auch Geld für die beteiligten Organisationen einbringen.

Und schließlich geht es um Selbstvergewisserung der eigenen Anhängerschaft. "Birlik Gecesi" ist die Veranstaltung in München überschrieben - das bedeutet in etwa: Nacht der Einheit. Man zeigt, dass man sich der Ideologie der Grauen Wölfe zugehörig fühlt, dass man ein "Idealist" ist, der das Türkentum über alles stellt. Ein Türkentum, das nach Auffassung der Grauen Wölfe weit über die Grenzen der heutigen Türkei hinausreicht. Symbole, wie sie auch beim Konzert in München zu sehen sein werden, spielen dabei eine große Rolle: die Parteiflagge der ultranationalistischen MHP-Partei aus der Türkei; der "Wolfsgruß", der auf das mythologische Stammestier der Ur-Türken anspielen soll; und sogar die Farbe des Kleides, in dem die Sängerin auf dem Video aus Mosbach auftritt. Türkis steht nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer ebenfalls für den "Panturkismus", der halb Asien umfasst.

Nach Informationen der Münchner Fachinformationsstelle gegen Rechtsextremismus (Firm), die als erste auf das Konzert aufmerksam gemacht hat, soll unter anderem der Musiker und Sänger Mustafa Yıldızdoğan auftreten, ein Bewunderer des rechtsextremistischen Gründers der Grauen Wölfe. Dem "Führer" - so nennen ihn seine Anhänger - Alparslan Türkes hat Yıldızdoğan ein Lied gewidmet.

"Ich danke Allah dafür, dass es eine riesige große idealistisch nationalistische Partei der Bewegung gibt", zitieren die Experten von Firm den Musiker. "Sie sorgt für das Wehen unserer Fahnen." Auftreten wird auch Alparslan Yilmaz, der auf seiner Facebook-Seite den türkischen Sieg über ein christliches Heer im 11. Jahrhundert feiert. Nach Einschätzung von Experten sind "Großveranstaltungen mit Event-Charakter für die gesamte Familie" typisch für die Grauen Wölfe - auch für die Münchner Vereine. Nicht von ungefähr beginnt die Veranstaltung am 30. Dezember kinder- und familienfreundlich bereits am frühen Nachmittag.

Verfassungsschützer beobachten derzeit in München drei Vereine der Ülkücü-Bewegung. Zu einer eher islamischen Strömung gehört demnach der "Verein für Interkulturelle Jugendarbeit Alperen" in der Schießstättstraße. Vor gut zwei Jahren wurde dieser Verein selbst zum Ziel einer extremistischen Attacke - zu einem Brandanschlag auf das Vereinsheim bekannte sich eine kurdische Splittergruppe. Zwei weitere Münchner Vereine gehören zu "Bölge 2" (Gebiet Südbayern) des Ülkücü-Dachverbands ADÜTDF: das Türkische Erziehungs- und Bildungswerk in Bayern, "Münih Türk Egitim Ocagi", und das Türkische Kulturzentrum Bizim Ocak, gegen das bei der letzten Wahl zum Münchner Migrationsbeirat Manipulationsvorwürfe laut geworden waren. Die Staatsanwaltschaft München I hat am 9. Dezember das Ermittlungsverfahren gegen sechs Beschuldigte eingestellt, da ihnen eine Straftat nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Beide Vereine treten beim Konzert am 30. Dezember als Mitveranstalter auf.

Neben den organisierten "Idealisten" gibt es nach Erkenntnissen des Nachrichtendienstes zahlreiche, nicht an Vereine gebundene, vor allem jugendliche Graue Wölfe. Bei ihnen sehen die Verfassungsschützer ein hohes Aggressions- und Gewaltpotenzial, vor allem gegenüber kurdischstämmigen Menschen. So hatte der Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren ein Auge auf die in und um München aktiven Rockergruppen Turan und Turkos. Letztere machten auch durch Gewaltdelikte, etwa in Dachau, auf sich aufmerksam. Um diese Szene sei es aber zuletzt ruhiger geworden, sagen Verfassungsschützer. Die drei Münchner Ülkücü-Vereine gingen derzeit eher auf Distanz zu den Rockergangs.

In Bayern zählt der Verfassungsschutz etwa 1350 Graue Wölfe. Sie sind damit die zweitgrößte Gruppierung aus dem Bereich des Ausländerextremismus, mehr als halb so stark wie der inländische Rechtsextremismus. Diesem harten Kern gelingt es bei Veranstaltungen immer wieder, viele Anhänger und Sympathisanten zu mobilisieren. Allein zwischen 2011 und 2016 besuchten nach einer Aufstellung des Innenministeriums mehr als 5000 Menschen Veranstaltungen der Grauen Wölfe in München.

Auf dem Titelblatt des Kalenders 2019 der Münchner Konzertveranstalter reckt Hitler-Sympathisant Türkes den rechten Arm zum Wolfgruß. Seine Anhänger, die Grauen Wölfe Münchens, tun es ihm auf vielen weiteren Fotos nach. Markus Schäfert, Pressesprecher beim Verfassungsschutz, lässt keinen Zweifel: "Wer den Wolfsgruß zeigt, zeigt den bewusst."

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Quelle:
SZ vom 17.12.2018
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