Süddeutsche Zeitung

Gratis-Konzerte in Münchner Kneipen:Klingt gut, lohnt sich aber nicht

Lesezeit: 5 min

Von Tanja Schwarzenbach

Das war doch so, damals, als Teenager: Man saß an der Isar, in einer lauen Sommernacht, hatte ein paar Getränke dabei und irgendjemand eine Gitarre im Gepäck, und dieses ganze Sommergefühl, die Musik - es war einfach so da, kostenlos und ohne Erwartungen. So ähnlich fühlt es sich an, um 21 Uhr abends bei 30 Grad im Biergarten der Glockenbachwerkstatt zu sitzen. Auf der Bühne, unter einer Girlande bunter Glühbirnen, steht Singer-Songwriter Rasmus Hoffmeister, der ungefähr so bekannt ist wie damals der Freund mit der Gitarre. Außerhalb von Flensburg, so Hoffmeister, kenne man ihn nicht. "Ich gehe durch die Straßen . . ." singt er, in den Händen die Gitarre.

Das Konzert kostet keinen Eintritt und die Atmosphäre ist vielleicht auch deshalb so entspannt, weil die Gäste nichts zu verlieren haben, wenn sie hierher kommen, ohne je von der Band gehört zu haben. Brigitte jedenfalls, die mit einer Freundin an einem der Tische sitzt, kannte die Band nicht und auch die jüngeren Besucher wie Leander und Karin hatten keinen blassen Schimmer, wer Rasmus Hoffmeister ist. Das Gute daran für die Musiker ist natürlich: Jetzt wissen es die Gäste. Und dabei haben sie auch noch einen netten Abend: "Es ist einfach wunderschön, in einer Stadt, in der alles viel Geld kostet, an einem lauen Sommerabend kostenlos Live-Musik zu hören", sagt Brigitte.

Lokalen fehlt die Konzession

Tatsächlich ist es nicht so einfach in dieser Stadt, jenseits der Festivals an kostenlose Live-Musik zu kommen und das vielleicht auch noch in einer gemütlichen Kneipe. Aber bevor nun das Klagelied einsetzt, und über die wahnsinnig tollen Zeiten sinniert wird, in denen in Schwabing an jeder Ecke Live-Musik zu hören war, ohne dafür in den Geldbeutel greifen zu müssen: Es gibt die kostenlose Live-Musik, immer noch. Nicht nur in der Glockenbachwerkstatt, die in großen Stücken von der Stadt gefördert wird, sondern auch in Kneipen, Bars und Restaurants.

Oft haben diese aber keine Konzessionen für Live-Musik, und das Kreisverwaltungsreferat (KVR) schiebe daher einen Riegel vor, wie es Marco Vecchioni, musikalischer Leiter der Open Stage im "Fresh Bagels and Muffins", ausdrückt. Nur zweimal im Monat dürfen "Schank- und Speisewirtschaften" ohne entsprechende Genehmigung Live-Musik spielen - vor allem wegen der möglichen Lärmbelästigung der Nachbarn. Das sind aber immerhin 24 Mal im Jahr. Würde außerdem ein Pianospieler leise Hintergrundmusik spielen, sei das auch so kein Problem, heißt es aus dem KVR.

Die Szene kennt und trifft sich

Da trifft es sich gut, dass Francesco Dreyfus, Betreiber des Bagelshops an der Barer Straße, neuerdings ein, wie er sagt, "leises" Klavier an der Bühne stehen hat. Seit sich eines Tages Boris Ruge in das Schaufenster des Bagelshops setzte, das damals noch ein deutsch-amerikanischer Lebensmittelladen war, und mit der Gitarre Klezmer-Musik spielte, hat sich Live-Musik eingeschlichen, wo man erst einmal keine vermuten würde. In dem Bagelshop riecht es nach Gebratenem, doch hinten, wo sich die warme Luft sammelt, wärmer noch als die abendlichen Temperaturen draußen, sitzen die Gäste an der Bühne.

Anfänger wie alte Hasen greifen hier zu ihren Instrumenten und unterstützen sich gegenseitig, erzählt Dreyfus. Es ist eine Szene, die sich kennt und hier trifft, wie das bei Open-Stage-Veranstaltungen, bei denen jeder spontan auf der Bühne spielen kann, üblich ist. Aber es finden auch fremde Gäste herein, manche sind überrascht davon, dass hier kostenlos Live-Musik zu hören ist, andere kommen genau deshalb hierher. Die beiden Open-Stage-Freitage seien die umsatzstärksten im Monat, sagt Dreyfus. Aber natürlich ist das relativ zu sehen. Beispielsweise muss Dreyfus an diesen Abenden auch Gema-Gebühren zahlen, die, sagt Marco Vecchioni, eine "ernsthafte Einschränkung für die Kleinkunst" seien. Rudolf Bayer etwa, der in seinem Café am Beethovenplatz täglich kostenlose Live-Musik anbietet, zahlt um die 15 000 Euro Gema-Gebühren im Jahr. Andererseits kommen die Gebühren auch Musikern zugute.

Es gehört schon ein gewisser Idealismus dazu oder wenigstens eine große Liebe zur Musik, um ein Live-Musik-Programm am Leben zu halten. Für die Musiker gilt das gleiche: "Vom Musikmachen kann nahezu keiner mehr leben", erzählt Alex Sebastian, der das neue Klavier im Bagelshop bespielt. "Es haben eigentlich alle noch einen Blumenstrauß an Nebentätigkeiten, viele unterrichten zum Beispiel."

Auf der Bühne im Glockenbach unter den Wipfeln hoher Bäume erzählt Rasmus Hoffmeister seinen Zuhörern, wie er und sein Bandkollege am Tag zuvor festgestellt hätten, dass sie Musik offenbar nicht für Geld machen: "Wir haben gestern Abend 15 Euro eingenommen und uns heute Morgen davon ein Frühstück gekauft." "Hätten wir nicht hoch professionelles Couchsurfing während unserer Deutschlandtour betrieben", erklärt Hoffmeister später am Telefon, "wären uns nicht mal die 50 Euro pro Person geblieben, die wir am Ende übrig hatten." München, sagt er, liege mit den 80 Euro, die später im Hut landeten, im Durchschnitt. Am spendabelsten seien die Menschen im Norden und Westen Deutschlands gewesen.

Nur wenige Wirte würden für einen Auftritt zahlen

Andreas Langhammer, der sich in der Glockenbachwerkstatt um die Veranstaltungen und das Booking kümmert, hält den Hut für eine gute Sache. Oft komme damit mehr Gage zusammen als mit Eintrittsgebühren. "Ich finde es auch wichtig, den Zugang zur Live-Musik niedrigschwellig zu halten, damit jeder partizipieren kann. Und ich glaube, dass es auch für die Musiker schön ist, dadurch ein sehr offenes Publikum zu haben", sagt Langhammer. Es würden unglaublich viele Indie-Bands anfragen. Auch, weil es für sie wenig kleine Bühnen in München gebe.

Da ist aber zum Beispiel auch noch der Salon Irkutsk in der Isabellastraße, der nicht klein ist, sondern winzig, und dessen Namen man schon ganz genau lesen muss, um ihn anschließend halbwegs korrekt über die Lippen zu bekommen. Der Salon ist laut Wanja Belaga, dem Inhaber, eine Mischung aus Nachbarschafts- und Kunstkneipe, ehemals eine "Bierboazn". Viele Singer-Songwriter träten hier auf, was Belaga ganz recht ist, weil dann keine Gema-Gebühren anfielen. Heute aber steht Jazz-Sängerin Gerti Raym mit ihrer Band in der Kneipe, ohne Gäste an diesem frühen Abend - trotz des freien Eintritts. Es ist wohl selbstredend, dass sie es für keine gute Idee hält, statt Gage zu bekommen einen Hut rumgehen zu lassen, gerade jetzt im Sommerloch. Das Risiko, am Ende des Abends kaum etwas verdient zu haben, ist dann immer da. Doch wenige Wirte, Belaga eingeschlossen, würden heute noch für einen Auftritt bezahlen, sagt die Sängerin. Außer es handele sich um sehr bekannte Musiker.

Gagen sind Werbekosten

Denn natürlich tragen die Wirte ein finanzielles Risiko, wenn sie eine Gage anbieten. Zwar greift das Kulturreferat der Stadt den Wirten hin und wieder unter die Arme, doch nur, wenn ein außergewöhnliches Musik-Programm geboten ist und bestimmte Kriterien erfüllt sind. Rudolf Bayer, der mit seinem Café am Beethovenplatz seit 18 Jahren das älteste noch bestehende Konzertcafé Münchens betreibt, stemmt sein Live-Musik-Programm alleine: Bis zu 70 000 Euro gibt er jährlich für die Gagen aus - Werbekosten, wie Bayer meint, weil die Konzerte in den Zeitungen erwähnt würden. Trotzdem: "Live-Musik ist für alle Seiten schwierig", sagte er.

Nur für eine nicht: den Gast. Der darf sich ganz entspannt zurücklehnen und sich fühlen wie damals an der Isar: kaum Geld in der Tasche und trotzdem ein Abend, der glücklich macht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2611957
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.08.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.