Comics:München, die gezeichnete Stadt

Taxifahrer
(Foto: Frank Schmolke/oh)

Früher fuhr Frank Schmolke mit dem Taxi durch München. Viele seiner Begegnungen hielt er in einem Skizzenbuch fest. Aus seinen Erinnerungen schuf er nun eine Graphic Novel.

Von Sabine Buchwald

Mercedes. E-Klasse. Automatik. Mit einem Fahrersitz so bequem wie ein Chefsessel. "In so einem Auto liegst du drin wie im Wohnzimmer", sagt Frank Schmolke. Viele Jahre lang ist er durch die Nächte mit einer beigen E-Klasse gefahren. Zu wissen, wo es lang geht, gehört als Taxifahrer zum Geschäft. Heute sagt er: "Diese Zeit war ein Abenteuer. Doch ich hatte immer Angst, vom Taxifahren nicht mehr loszukommen."

Losgelassen hat ihn der Job tatsächlich nicht, obwohl er inzwischen als Illustrator und Comiczeichner arbeitet. Schmolke ist ein Bildermensch geworden und kann davon leben. Am Lenkrad sitzt er nur noch privat. In den vergangenen drei Jahren hat er trotzdem wie früher viel nachts gearbeitet, diesmal aber am Zeichentisch. Er wühlte sich gedanklich durch seine Erinnerungen als Taxifahrer und machte daraus ein Buch. Mehr als 300 Din-A-3-Seiten mit Schwarz-Weiß-Zeichnungen liegen auf dem Tisch seines Ateliers in Markt Indersdorf. Im Frühsommer wird die Graphic Novel, ein illustrierter Roman, bei der Schweizer Edition Moderne erscheinen. Der Titel: "Nachts im Paradies" - ein Euphemismus.

Taxifahren sei ein "außergewöhnlich anspruchsvoller Job" gewesen, sagt Schmolke. Dabei gebe es Parallelen zum Zeichnen: Das Finden einer Route sei, wie mit dem Stift eine Linie zu ziehen: Manchmal perfekt, manchmal krakelig und fehlerhaft. Fahrgäste vergleicht er mit einem leeren Papier: Erst mal neutral. Während der Fahrt aber kommen Informationen dazu, wie sich ein Blatt mit jedem Strich füllt.

Im Sommer 1989, wenige Wochen vor dem Mauerfall, bestand Schmolke seine "Ortskundeprüfung" und bekam den Taxischein. 600 Straßen musste er auswendig lernen, Navigationssysteme waren damals noch längst kein Standard. Noch in derselben Nacht fuhr er Taxi. Er war 22 Jahre alt und hatte um vier Uhr morgens 190 D-Mark eingenommen. Er war stolz.

Taxifahrer
(Foto: Frank Schmolke/oh)

Damals, erzählt Schmolke, war man etwas Besonderes als junger Taxler. Den Beruf umgab eine Mystik, die der US-Regisseur Jim Jarmusch mit seinem Film "Night on Earth" noch verstärkte. Der Episodenstreifen kam 1991 in die Kinos und war Partygespräch. Den hippeligen Roberto Benigni oder die coole Winona Ryder am Steuer nachzuahmen gehörte zu einer Einladung wie der Mascarponeknüller Tiramisu. 1996 folgte im Hosentaschenformat das Kultbuch "Taxi Driver Wisdom" voller Aphorismen über das Leben, gesammelt in der New Yorker Taxifahrerszene. Sich in einer dieser Automatikkutschen chauffieren zu lassen, war in den Neunzigern Teil des Erwachsenwerdens.

Und Schmolke? Glücksspiel, Prostitution, internationales Business - als Taxifahrer traf er auf Welten, die er sonst nie kennengelernt hätte. Und wenn er am Taxistand auf den nächsten Kunden wartete, füllte er Skizzenbücher mit seinen Begegnungen. Es gab keine Smartphones, mit denen er die Zeit hätte überbrücken können. Also zeichnete er von den Fahrgästen der Nacht Porträts, manchmal ohne sie richtig gesehen zu haben. Heute erzählt Schmolke bei einem Besuch in seinem Atelier, wie er im Schein der Straßenlaterne die Gesichter seiner Fahrgäste oft nur schemenhaft erkennen konnte, dafür aber seine Nase geschärft war für den Alkoholgehalt im Atem oder das Parfüm in den Kleidern. Müdigkeit, Arroganz oder Angst, all das lasse sich aus einer Stimme heraushören. In seiner Fantasie verwandelten sich die Mitfahrer zu Tierwesen mit Vogelkrallen und Reptilienmäulern. Ein Taxifahrer weiß nie, was ihn erwartet, wenn die Tür seines Autos aufgerissen wird. Taxis gelten als Teil des öffentlichen Nahverkehrs, es gilt die Beförderungspflicht. Die meisten Menschen seien aber durchaus freundlich.

Taxifahrer Comic

Frank Schmolke in seinem Atelier in Markt Indersdorf. Das Spielzeugauto diente dem Zeichner als Modell für seine Graphic Novel übers Taxifahren.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Fast 30 Jahre liegt seine erste Taxinacht nun schon zurück. Nach den ersten intensiven Jahren, einer Ausbildung zum Technischen Zeichner und seiner Entdeckung als Comic-Künstler ist er zwischendurch immer wieder gefahren, wenn die Auftragslage unsicher und das Geld zum Leben für die Familie knapp wurde. Vieles hat sich über die Jahre in München verändert. 300 000 Einwohner mehr wohnen jetzt in der Stadt. Bars und Clubs verschwanden, neue entstanden, ganze Stadtviertel wie das in Riem kamen hinzu. Und die Konkurrenz zwischen den Taxiunternehmen wurde immer schärfer.

2014 war so ein mageres Jahr, in dem Schmolke wieder bei seinem alten Arbeitgeber anklopfte. Uwe heißt der, und er ist eine der Personen seines Buches geworden. Auch die Prostituierte und ihren Zuhälter gibt es in der Realität. Protagonist aber ist der Taxler Vincent, in dem viel Frank zu finden sei, wie Schmolke sagt. Einer, der mit Leidenschaft und Verantwortungsgefühl andere durch die Stadt chauffiert; eine betrunkene Frau bis in ihre Wohnung bringt, in Sorge, dass sie es nicht alleine schafft. Auf dem Papier vermischen sich Realität und Fiktion. Schmolke bettet die Charaktere aus seiner Erinnerung in eine Romanhandlung, die er auf drei Tage während des Oktoberfestes verdichtet und surreal enden lässt. Die Wiesn ist Ausnahmezustand, es sind die umsatzstärksten Wochen im Taxigeschäft.

Taxifahrer
(Foto: Frank Schmolke / edition moderne)

Die Geschichte beginnt mit einer Fahrt zum Flughafen, die Schmolke tatsächlich erlebt hat. Zwei Männer in feinen Anzügen springen auf die Rückbank. Sie sind angetrunken und spät dran. Sie drängen ihn, schnell zu fahren. Vincent alias Frank gerät auf der Autobahn in eine Geschwindigkeitskontrolle und kassiert dafür Punkte in Flensburg zusammen mit einer Geldstrafe. Das Einkommen der Nacht geht flöten. Die Männer rührt das nicht. Sie erwischen ihren Flug, demütigen den Fahrer mit einer Münze Trinkgeld und trollen sich. "Taxi Driver Wisdom" rät dazu: "Es ist immer besser hinter einem Polizeiauto zu fahren." Schmolke bittet seine Leser im Nachwort, wenn sie demnächst in einem Taxi säßen, ein "gutes Trinkgeld" zu geben. Der Fahrer könne es wahrscheinlich gut gebrauchen. So gut wie in seinen Anfangsjahren, sagt er, verdiene man längst nicht mehr.

2013, ein Jahr bevor Schmolke noch mal intensiv am Steuer einer E-Klasse saß, erschien seine bislang erfolgreichste Graphic Novel "Trabanten" (ebenfalls Edition Moderne). In ihr verarbeitete er seine Jugend in Schwabing. Nun also folgt mit "Nachts im Paradies" seine Zeit hinterm Lenkrad. Comics sind ein bisschen wie Filme, aber man kann sie auch von hinten nach vorne lese, einzelne Bilder minutenlang betrachten. Jedes ist ein Kunstwerk bei Schmolke, in langen Nächten geboren, mit viel Schwarz umgesetzt. Farbe hat da keinen Platz.

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Mehr als Klischees: München in Comics

München ist wohl organisiert und wohlhabend, wovon Unternehmen wie BMW und riesige Ein-Liter-Krüge zeugen. Und am Wochenende widmen sich die Einwohner dem Alkohol, was man am Erbrochenen auf der Straße sehen kann. So jedenfalls hat der serbische Zeichner Aleksandar Zograf die Stadt in einem zweiseitigen Comic in der serbischen Wochenzeitschrift Vreme beschrieben, nachdem er 2004 anlässlich einer Ausstellung hier war. Würde er darin nicht auch noch vom Tierpark erzählen, könnte man sagen: Hier sind fast alle München-Klischees versammelt. Aber warum sollte ein Comic-Zeichner die Stadt anders als die Mehrheit sehen? Tatsächlich kann man typische München-Bilder auch in anderen Comics finden. So hat etwa der Münchner Comic-Verein Comicaze 2010 anlässlich des Oktoberfest-Jubiläums einen Band mit "Wiesn G'schichtn" herausgebracht. Und vor zwei Jahren hat der Comic-Zeichner Sascha Pelzig in "Die Bayern-Story" die Geschichte des FC Bayern geschildert.

Das hiesige Comicfestival 2017 bewies in der Ausstellung "Gestrandet und verwurzelt", dass es auch ein München jenseits der Klischees gibt. Dort gab es etwa Comicreportagen, die vom Alltag von Migranten handelten. Mit "Hector Umbra" hat Uli Oesterle 2009 bewiesen, dass man hier sogar eine am Film Noir geschulte Hardboiled-Detektiv-Geschichte spielen lassen kann. 2007 war Aleksandar Zograf erneut in München und hat danach, diesmal in der Zeitschrift Internazionale, von einem Besuch der Frauenkirche berichtet. Dabei hatte er seinen Fuß dort neben den berühmten "Teufelstritt" gestellt und bemerkt: Er und der Teufel haben die gleiche Schuhgröße. JÜRGEN MOISES

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