Wandmalereien gehören zu den ältesten erhaltenen Kunstwerken der Menschheit. Ob auch in der Steinzeit schon das Sprichwort von den Narrenhänden kursierte, die Tisch und Wände beschmieren, ist nicht überliefert. Graffiti, die zeitgenössische Form der Wandmalerei, sind im Volksmund jedenfalls oft als Geschmier verschrien.
Seit den achtziger Jahren hat es aber durchaus einen Meinungswandel gegeben. Die bunten Wandbilder stehen mittlerweile nicht mehr nur in der Schmuddelecke, sondern haben als akzeptierte Kunstform sogar den Weg in die Galerien gefunden.
Zu den Pionieren der Kunst in Deutschland zählt der Münchner Wolfgang Lehnerer, in der Szene besser bekannt als Z-Rok. "Von meiner Kunst kann ich mittlerweile leben", sagt Lehnerer. Seit mehr als 25 Jahren hat der 41-Jährige Spraydosen in der Hand. Angefangen zu sprühen hat er illegal, wie eigentlich jeder in der Szene. Doch mit den Jahren wurde die Kunst aus der Dose immer mehr akzeptiert. Heute begeistern sich Werbeagenturen, Firmen, öffentliche Einrichtungen und Privatleute für die knallbunten Bilder und lassen sich gegen Bezahlung ihre Wände verschönern.
Gerade hatte Z-Rok zusammen mit seinem Kollegen Flin eine Ausstellung in der Münchner "Färberei". Dort waren 30 großformatige Bilder zu sehen. "Gemalt mit Pinsel und Stift, aber im Graffiti-Stil", erklärt Z-Rok. Er hat sich bei seiner Kunst auf das "writing", den Schriftzug, spezialisiert, Flin konzentriert sich auf die "character", also die Figuren. "Wir arbeiten gerne zusammen, weil wir uns gut ergänzen." Die beiden Münchner Street-Art-Altmeister kennen sich seit 20 Jahren.
Besser ein schönes Bild als eine graue Mauer
Neben den Ausstellungen übernimmt Z-Rok viele Auftragsarbeiten. "Meistens große Fassadenwände oder Bürowände, aber ich hab auch schon Kindergärten verschönert", erzählt er stolz. "Die lustigen, bunten Bilder - etwa ein Dschungel mit Tieren - gefallen den Kids total gut,", erzählt der zweifache Vater.
Die Kosten für ein Graffiti von Z-Rok variieren je nach Größe der Wand und Extravaganz des Motivs. "Eine Garagenwand mit einem guten Bild kostet etwa zwei- bis dreitausend Euro." Auch von Seiten der Stadt bekommt er Aufträge für öffentliche Flächen. "Auch die haben erkannt, dass ein schönes Bild besser ist als eine graue Wand", lacht er.
Einmal im Jahr organisiert der Künstler den Neuanstrich der Brudermühlbrücke. Seit zwölf Jahren dürfen die Brückenpfeiler - immerhin eine Fläche von etwa 400 Quadratmetern - von den Münchner Graffiti-Sprayern legal besprüht werden. Die "Färberei", die eine Einrichtung des Kreisjugendrings München ist, übernimmt die Kosten für den Anstrich - dafür bekommen die Spaziergänger an der Isar eine außergewöhnliche Outdoor-Ausstellung gratis geboten. "Je nach Aufwand braucht man für eine Wand ungefähr 50 Dosen", sagt Lehnerer.
Das nächste Mal wird die Brudermühlbrücke wieder im Juni oder Juli verschönert, vor dem Brückenfest zum 850. Stadtgeburtstag. "Es gibt dann bestimmt auch ein paar Motive, die auf das Jubiläum anspielen", sagt Lehnerer.
Lesen Sie auf Seite zwei, was es mit den "Tags" auf sich hat und wie gesundheitsschädlich Sprayen ist.
Ist es nicht gesundheitsschädlich seit 25 Jahren die Dämpfe aus den Spraydosen einzuatmen? "Natürlich ist das nicht gesund. Man muss ungedingt eine Maske tragen," erklärt Z-Rok. "Bei mir bemerke ich noch keine Beeinträchtigungen, aber ich kenne Kollegen, die haben ernsthafte Lungenprobleme." Manche aus der New Yorker Sprayer-Szene seien gestorben, angeblich wegen der Gifte.
Jeder Graffiti-Sprayer verziert seine Werke mit seinem "Tag", einer Art Kürzel. Ein "Tag" ist wie das Autogramm eines Künstlers, sozusagen ein Pseudonym. "Heute weiß jeder, dass ich hinter Z-Rok stecke", lacht Lehnerer. Als er früher noch illegal sprühte, war sein "Tag" nur in der Szene bekannt. "Viele laufen auch durch die Stadt und bringen überall ihren Schriftzug an, damit sie möglichst präsent sind", erklärt er. Das ist sozusagen ein gewünschter Nebeneffekt, denn auch Sprayer haben ihren Stolz.
In seinen illegalen Zeiten ist Lehnerer schon mehrmals von der Polizei erwischt worden und musste Geldstrafen zahlen. "Doch eigentlich bin ich immer mit einem blauen Auge davongekommen", grinst er. Der Sprayer-Nachwuchs in München ist groß, aber seiner Meinung nach sind die Jungen nicht mehr so eifrig bei der Sache. "Es gibt viele Jugendliche, die es mal ausprobieren, aber wenige, die länger dabeibleiben", sagt Lehnerer. "Die meisten machen es so lange, bis sie einmal erwischt werden, dann reicht es ihnen."
Die Münchner Polizei berichtet, dass die Graffiti-Künstler ihre Aktivitäten in der Landeshauptstadt im vergangenen Jahr wieder gesteigert haben. Im Jahr 2007 registrierten sie 11.341 illegale Kunstwerke, das sind 18,9 Prozent mehr als 2006. Der entstandene Schaden komme auf 2,4 Millionen Euro. Mit mehr als 80 Prozent sind die S-Bahnen am stärksten betroffen. Ihr Kunstwerk auf einem Waggon fahren zu sehen, lieben die Sprayer besonders.
Hat er vor, bis zu seiner Rente zu sprayen? Lehnerer lacht. Ja, ohne Graffiti kann er sich sein Leben nicht vorstellen. "Graffiti im weitesten Sinne, auch wenn sie nicht gesprayt, sondern gemalt sind."
Mehr Graffiti-Kunst von Wolfgang Lehnerer unter www.z-rok.de.