Aktion am Isarring:Wenn die Zuversicht aus der Spraydose kommt

Lesezeit: 2 Min.

Botschaft Liebe: das Graffiti-Projekt für Jugendliche am Herzogpark. (Foto: Stephan Rumpf)

Am Herzogpark sprühen benachteiligte Jugendliche ein vierteiliges Graffito. Sie wollen Aufmerksamkeit schaffen für ihren Wunsch nach mehr Respekt und Teilhabe.

Von Christina Böltl

Hellblauer Nebel legt sich über die FFP2-Maske auf Leilani Offors Gesicht. Die 18-Jährige lässt ihre Spraydose vor der Schallschutzwand kreisen. Ihre pinkfarbenen Haarspitzen wippen im Takt zur Musik aus dem Bluetooth-Lautsprecher. Ein paar Autofahrer im Feierabendstau hinter ihr blicken zur einst grauen Wand auf ihrem Heimweg, die jetzt in Blau, Rot und Weiß erstrahlt.

„Das Graffiti auf der Mauer zwingt die Leute hinzuschauen“, sagt Offor. Zusammen mit 30 Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien hat sie in einem Workshop der gemeinnützigen Organisation „Dein München“ Herzenswünsche gesammelt. Das zentrale Anliegen der Jugendlichen? „Als Teil der Stadtgesellschaft mit dabei sein und nicht zur Seite geschoben werden“, sagt die 18-Jährige.

Mithilfe des Künstlerkollektivs „graphism“ illustrieren die Jugendlichen ihre Interessen in einem Graffito-Kunstwerk. Fast 90 Meter Wand besprühen sie in vier Abschnitten rund um die Bushaltestelle Herzogpark auf beiden Seiten des Isarrings. Ein aufgesprayter Demonstrationszug hält als Motiv auf der südlichen Straßenseite stellvertretend für die Jugendlichen Plakate mit „Wertschätzung“ und „Liebe“ hoch. Daneben steht: „Mach mir Mut auf Zukunft.“

Denn mutig in die Zukunft zu blicken, ist für die Jugendlichen nicht immer leicht. „Uns wurde in der Schule gesagt, dass wir ganz unten angekommen sind“, erzählt Leilani Offor. An der Mittelschule sei es manchen Lehrern egal gewesen, ob die Jugendlichen ihren Abschluss schaffen. „Die meinten, sie bekommen ihr Geld so oder so.“ Und auch Arbeitsgemeinschaften nach dem Unterricht oder Möglichkeiten, Neues auszuprobieren, habe sie an ihrer Schule vermisst. „Das ist ungerecht“, findet sie.

Evelyn Rudolf hat ihre Zeit an der Mittelschule ähnlich erlebt. „Die Menschen schauen auf dich herab, ohne zu verstehen, was in deinem Leben gerade abgeht“, sagt die 19-jährige Mutter eines elf Monate alten Kindes. Sie habe oft zu hören bekommen, dass sie es nicht schaffen könne. Deshalb sei ihr die Graffito-Botschaft wichtig. „Jugendliche können nicht alles alleine schaffen. Auch Politik und Gesellschaft entscheiden darüber, was aus uns wird.“

Leilani Offor (18) setzt sich als Jugendbotschafterin für die Interessen benachteiligter Jugendlicher ein. Mit 30 anderen Jugendlichen sprayt sie deren Wünsche an eine Wand am Isarring. (Foto: Stephan Rumpf)
Mara Bertling hat "Dein München" gegründet, um Jugendlichen zu helfen. Mit Graffiti-Aktionen will sie eine Plattform für deren Wünsche bieten. (Foto: Stephan Rumpf)

Mara Bertling will den Jugendlichen Mut und Zuversicht schenken. Vor mehr als zehn Jahren hat sie „Dein München“ mit dem Ziel gegründet, junge Menschen zu fördern und ihnen faire Startbedingungen zu geben. „Ich will den Jugendlichen Möglichkeiten aufzeigen“, sagt Bertling. Es gehe darum, ihnen zu zeigen, wo sich neue Türen öffnen – und dass ein Scheitern nicht das Ende bedeutet.

Dafür organisiert sie Workshops und Bildungsprogramme. Dafür holt sie Jugendliche aus ihren Stadtteilen und bezahlt die ÖPNV-Tickets für sie. Durch die Aktionen im ganzen Stadtgebiet sollen die jungen Menschen die Möglichkeit bekommen, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Außerdem will Bertling eine Plattform für die Anliegen der jungen Menschen bieten, zum Beispiel mit der Graffiti-Aktion und Jugendbotschaftern.

Ihre Werte illustrieren die Jugendlichen mit Silhouetten einer Demonstration. Die Wand nimmt die Farbe gut an, aber die wellige Struktur macht gerade Linien zur Herausforderung. (Foto: Stephan Rumpf)

Leilani Offor und Evelyn Rudolf sind beide in der siebten Klasse zu „Dein München“ gekommen. Inzwischen sind sie Jugendbotschafterinnen für die Organisation und vertreten die Interessen benachteiligter Jugendlicher gegenüber der Politik – in der Stadt, aber auch in Berlin. Bei „Dein München“ sind beide auch in der Theatergruppe aktiv. Für Offor hat sich das Engagement sogar in doppelter Hinsicht gelohnt: Sie wurde bei einer Premiere von einer Schauspielagentur angesprochen und hat seitdem an zwei Castings teilgenommen.

Das Engagement im Verein habe ihr auch bei einer erfolgreichen Bewerbung für die Kinderpflegeschule geholfen, sagt sie. Sie freut sich darauf, dort im September anzufangen. „Jeder sollte eine Chance haben“, sagt die 18-Jährige. Dafür brauche es Menschen, die Mut machten, den Jugendlichen zeigten, dass sie es schaffen könnten und sie mitreden ließen.

Leider säßen die Vorurteile bei manchen Menschen tief. „Die sehen Jugendliche sprayen und denken, das muss illegal sein“, sagt Evelyn Rudolf. Tatsächlich habe am Vortag eine Passantin die Polizei gerufen, berichtet Projektleiterin Anne Petersen-Landwehr. Dabei habe sie alles ordnungsgemäß angemeldet, inklusive Absperrungen und Zertifikat als Baustellenleitung.

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