Süddeutsche Zeitung

Gräfelfing:Hart, aber zerbrechlich

In seiner Herbstschau "Glas! Klar!" präsentiert der Kunstkreis einen unüberschaubar vielseitigen Werkstoff

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Glas hat etwas Trügerisches. Es besticht durch seinen Glanz, lädt ein zum faszinierenden Spiel mit Transparenz, dann ist da aber auch diese Härte: Glas ist schwer, oft scharfkantig, zerbrechlich und man kann sich daran verletzen. Diese Ambivalenz fasziniert die Glaskünstlerin Essi Utriainen.

Vier Tage lang kniete sie im Untergeschoss des alten Gräfelfinger Rathauses auf dem Boden und streute aus glitzernden Glassplittern ein raumfüllendes Muster auf den Boden, eine überdimensionale Schneeflocke, trügerisch weich wirkend wie ein Teppich. Unterbewusst prägt wohl die Herkunft die Ästhetik. Utriainen ist Finnin und mit Schnee sehr vertraut. Sie ist eine von neun Künstlern, die ihre Glaskunst von diesem Samstag, 12. November, an unter dem Titel "Glas! Klar!" im Alten Rathaus ausstellen. Die Kuratorinnen vom Kunstkreis Gräfelfing präsentieren einen Querschnitt zeitgenössischer Glaskunst, der eine überraschende Vielseitigkeit des Werkstoffes offenbart.

Die Herbstausstellungen des Kunstkreises präsentieren Jahr für Jahr Einblicke in verschiedenste künstlerische Ausdrucksformen. Nach Wasser und Textilien nun also Glas. Wohl selten war eine Ausstellung des Kunstkreises von solcher Anmut und Schönheit wie diese. Das liegt an den Eigenschaften des Werkstoffes Glas, der in Glanz und Glätte eine große Ästhetik mit sich bringt. Farbe und Licht erwecken ihn obendrein zum Leben. Die Kuratorinnen Cornelia von Detten, Kathrin Fritsche und Marie-Luise Felten-Linden haben Künstler ausgewählt, junge wie etablierte, die das Material auf unterschiedlichste Weise verarbeiten und so das ganze Spannungsfeld präsentieren, in dem sich Glas als Kunstwerkstoff bewegt. So wird Glas einmal filigran verwebt, es wird geschmolzen, aber auch beschichtet, gebogen und eingefärbt, es wird zur Skulptur gegossen, zerbrochen und erhält eine Reliefstruktur. Egal auf welche Weise Glas zur Kunst wird - stets steckt ein technisch aufwendiges Verfahren dahinter.

Schon im ersten Ausstellungsraum im Erdgeschoss entfaltet sich die ganze brillante, gläserne Schönheit. Der Glaskünstler Bongchull Shin arrangiert farbige Glaskuben vor einer weißen Wand. Das Licht vollendet das Kunstwerk: Je nachdem, von wo der Betrachter die Kuben aus betrachtet, entstehen völlig neue Eindrücke. Von der Seite gesehen, strahlen sie in leuchtenden Farben, von vorne betrachtet, wirkt es, als wäre alle Farbe entwichen und in den Schattenwurf an der Wand geflossen. Shin ist auf einer Blumenfarm aufgewachsen und setzt Lichtstimmungen aus der Natur in seinen Glasarbeiten um. In surreale Welten entführt im selben Raum Neringa Vasiliauskaite. Die Künstlerin arbeitet mit beschichtetem, in Pastelltönen changierendem Glas, in dem sich der Betrachter spiegelt. In der Spiegelung tut sich eine fiktive Welt auf, das Bild scheint ein Raum zu sein, in dem man sich bewegt.

Im Treppenhaus begegnet der Ausstellungsbesucher den gläsernen Schriftzügen von Jessica Kallage-Götze aus München. "Wortbruch" heißt die Satzfragmentserie, bei der die Künstlerin mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs arbeitet: Die Glasschriften selbst sind brüchig, aber auch die Worte selbst werden oft gebrochen. Völlig anders arbeitet wiederum Josepha Gasch-Muche mit Glas: Ihre Skulpturen scheinen sich - aus der Ferne betrachtet - federweich anzufühlen. Bei näherem Hinsehen sind spitze, scharfkantige, hauchdünne Glasscherben zu erkennen. Eng gefächert sind sie zu dreidimensionale Objekten verklebt. Es ist Handy-Display-Glas, das die Künstlerin mit der Zange zerbricht und in neuem Kontext zu faszinierend leuchtenden Objekten zusammenfügt. Es gibt noch mehr zu entdecken: luftig-leichte Glaswebkunst von Nadja Recknagel, massiv gegossene, farbige Skulpturen von Peter Bremers oder gläserne Reliefbilder von Thierry Boissel, in denen je nach Lichteinfall und Blickwinkel Figuren erscheinen und verschwinden.

"Die Ausstellung hat uns an unsere Grenzen gebracht", sagt Bettina Kurrle, Vorsitzende des Kunstkreises. Da war nicht nur der teure, aufwendige Transport der Kunstobjekte, den der gemeinnützige Verein finanzieren musste. Auch den Aufbau der zum Teil sehr schweren Werke mussten die Ehrenamtlichen leisten. Ohne Sponsorengelder, unter anderem von der Alexander-Tutsek-Stiftung, wäre die Ausstellung wohl nicht möglich gewesen. Dazu kommt: eine Unachtsamkeit, ein kleiner Stoß - und das Sujet zerbricht in tausend Scherben. "In fünf Minuten ist alles mit dem Besen weggefegt", sagt Utriainen über ihre gestreute Schneeflocke. Das Vergängliche hat auch seinen Reiz. Till Augustin nähert sich dem Werkstoff als Bildhauer: Eine drei Meter hohe Stele aus Industrieglasplatten zerhackt er mit der Axt. Der Betrachter kann den Kraftakt per Videoinstallation verfolgen. Doch von der Zerstörung bleibt nichts als Schönheit: An den Bruchstellen entstehen verschlungene Glaslandschaften, in denen sich das Licht bricht. Augustin hat sie in Fotografien festgehalten.

Die Ausstellung ist bis 27. November im Alten Rathaus Gräfelfing, Bahnhofstraße 6, zu sehen. Öffnungszeiten: donnerstags 17 bis 20 Uhr, freitags, samstags und sonntags 15 bis 18 Uhr. An den Samstagen, 19. und 26. November, findet jeweils um 17 Uhr eine Führung statt. Der Eintritt kostet drei Euro (Mitglieder kostenlos).

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Quelle:
SZ vom 12.11.2016
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