Süddeutsche Zeitung

Gräfelfing:Grüße aus der Vergangenheit

Liebesbotschaften, Wünsche oder Kochrezepte: Die Firma Zeitbote in Gräfelfing will einen alten Brauch wieder neu beleben und verschickt Briefe - genau zum gewünschten Zeitpunkt, den der Schreiber angegeben hat

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Ein persönlicher Brief, handgeschrieben, per Post versendet, ist ein aussterbender Brauch. Die Firma Zeitbote in Gräfelfing ist gerade dabei, ihn wieder mit Leben zu erfüllen, allerdings mit einer besonderen Note: die Briefe werden vom Verfasser im Hier und Jetzt geschrieben - versendet werden sie jedoch erst in der Zukunft, nach Monaten, Jahren oder Jahrzehnten. Die vor einem Jahr gegründete Aktiengesellschaft hat sich dafür eigens eine Postlizenz besorgt - nach eigenen Angaben die einzige in Deutschland - die es der Firma gestattet, Briefe zu lagern und erst in der Zukunft zu verschicken. Hauptzielgruppe der Geschäftsidee sind Brautpaare.

Dass Hochzeitsgäste Karten oder Briefe an das Brautpaar schreiben, kennt Pfarrer Bernhard Liess von der evangelischen Waldkirchengemeinde in Planegg in seiner Rolle als Gast bei Hochzeiten schon lange. Meist initiieren das die Trauzeugen, in den Briefen stünden Wünsche, Grüße, manchmal auch Kochrezepte für zweisame Abende. Die Gäste sind aufgefordert, die Briefe zu einem bestimmten Termin in der Zukunft abzuschicken. Doch genau das ist der Haken: die Gäste vergessen das.

Diese Nachlässigkeit macht sich die Gräfelfinger Firma zunutze - sie bietet den Briefkasteneinwurf als Dienstleistung an und liefert das Rahmenprogramm gleich mit: Briefpapier, Kuverts und Stifte in der Geschenkbox. Versandtermine und Anzahl der Briefe sind frei wählbar, viele Schenker greifen aber auf die Standardpakete zurück, besonders beliebt ist laut Firmengründer Markus Madlener, das Paket "7 Jahre Eheglück" mit sieben Briefen, die vom 1. bis zum 7. Hochzeitstag verschickt werden, Kostenpunkt: 139 Euro. Für den Preis werden die Briefe gelagert - in Karteikartenschränken, videoüberwacht, mit Chip zur eindeutigen Zuordnung versehen - und termingerecht versendet, bei Umzug wird sogar die neue Adresse recherchiert. Wer dem Paar gleich 25 Ehejahre zutraut, bezahlt dafür 339 Euro. Vertrauen muss der Käufer dabei in die Geschäftstüchtigkeit der Firma haben, dass diese nicht vor Versandtermin Pleite geht. Doch Madlener ist zuversichtlich: Rund 600 Briefpakete hat er im ersten Geschäftsjahr verkauft, 460 000 Hochzeiten finden im Jahr im deutschsprachigen Raum statt, "wir stehen erst am Anfang".

Die Briefe sollen "die Liebe wach halten", wünscht sich Madlener. Bei Sabine (sie will nicht mit Nachnamen genannt werden), die im vorigen Jahr geheiratet hat, liegen Monat für Monat Briefe aus dem Standardpaket "Begleitung durchs erste Ehejahr" im Briefkasten, ein Geschenk der Trauzeugen. Das Ehepaar öffnet jeden der Briefe gemeinsam, "wir zelebrieren das". Vor allem gefällt ihr, das Fest noch mal aus dem Blickwinkel der Gäste zu erleben. Ob die Briefe das Potenzial haben, auch über die Jahre die Liebe am Leben zu halten, bleibt das Wagnis des Schenkers. Die Hochzeit soll zwar der schönste Tag im Leben sein, aber der Beziehungsalltag ist oft nicht viele Jahre entfernt. Jede dritte Ehe wird geschieden, die meisten zwischen dem sechsten und zehnten Ehejahr, sagt die Statistik. Das Briefpaket "25 Jahre Eheglück" ist optimistisch geschnürt. Auch für den statistischen Fall hat der Zeitbote vorgesorgt: Das Brautpaar kann das Briefpaket stornieren - genauso wie die Schreiber die Briefe.

Tatsächlich ist die Erinnerung an schöne Zeiten gängige Praxis in der Paartherapie, sagt Eberhard Bergmann, Paartherapeut und Mediator bei der Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt in Planegg. Paare an den Anfang ihrer Beziehung zurückbegleiten und zu erinnern, was gut und schön war, kann heilsam sein. Er weiß aber auch: "In der Krise sieht man die Dinge so, wie man will." Positive Nachrichten dringen dann oft nicht ins Bewusstsein. Eine Briefvariante hat sich aber tatsächlich therapeutisch bewährt: Briefe, die das Paar sich gegenseitig in guten Zeiten geschrieben hat und die es schweren Zeiten hervorholt, meint Kollegin Sonja Schmid.

Ein Brief aus der Vergangenheit kann einen aber auch auf dem falschen Fuß treffen. "Eine Liebe entwickelt sich weiter", gibt Bernd Reichert, Pfarrer der evangelischen Michaelskirche in Lochham zu bedenken. Da gebe es Formulierungen, die gerade nicht zur aktuellen Situation passten und dann vielleicht auch "weh tun" könnten. Er ruft Paare der Kirchengemeinde zum zehnten, 25. und 50. Hochzeitstag lieber an und fühlt im persönlichen Gespräch vor, wie es den Eheleuten geht.

Wie gut ein Brief ankommt, hängt letztlich davon ab, was der Schreiber daraus macht, meint die frisch vermählte Sabine. Oder wie Paartherapeutin Schmid es ausdrückt: "Was ein Brief kann oder nicht, bleibt alles im Konjunktiv". Eines sind die Zukunftsbriefe auf jeden Fall: eine von vielen Geschäftsideen in der boomenden Hochzeitsbranche. Die Briefe fügen sich nahtlos ein in die Reihe unvergesslicher, außergewöhnlicher, einzigartiger Hochzeitsideen. Es gibt kaum etwas, was die Pfarrer nicht schon gesehen haben: Tauben, die in den Himmel fliegen, Rolls-Royce, die vor der Kirche vorfahren, eigenes entwickelt Logos, die sich auf Liedblättern, Einladungskarten und Anfahrtsskizzen wiederfinden, "manche Paare legen sich eine richtig eigene Corporate Identity zu", sagt Reichert. So stehen auch die Zukunftsbriefe symbolisch für die Leistungsschau, die eine Hochzeitsfeier, die sich meist an die kirchliche Trauung anschließt, heute oft ist: Alles muss originell sein, individuell und sich abheben. Das hält Menschen davon ab, vor den Altar zu treten, hat Pfarrer Liess erfahren. "Schade" findet er das, denn "heiraten geht auch ohne Supersause."

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SZ vom 16.01.2017
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