Erfinder aus Gräfelfing:"Ein ganzes Leben passt in so einen Rucksack"

Lesezeit: 3 min

Voller Ideen: Peter Aschauer mit seinem Lawinen-Airbag. (Foto: Catherina Hess)

Die aufblasbaren Lawinen-Airbags von Peter Aschauer gehören heute zur Ausrüstung von vielen Tourengehern und Extremskifahrern. Bis es soweit war, brauchte es aber 30 Jahre - und eine tote Gams.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Das Bild drängt sich geradezu auf. So wie Peter Aschauer dasteht, im verwilderten Herbstgarten seiner Firma an der Gräfelfinger Stefanusstraße. Einen Rucksack hat er auf dem Rücken, auf der rechten und linken Seite des Gepäckstücks haben sich zwei gigantische Luftkammern aufgebläht: Aschauer, der Schutzengel. Die Engelsflügel rahmen ihn ein und würden ihn retten, sollte er in eine Lawine geraten - und rechtzeitig am Griff ziehen.

Aschauer ist Unternehmer. Der Rucksack mit den aufblasbaren Flügeln ist seine Idee, mit der er vor genau 30 Jahren in den Markt gestartet ist. Anfangs wurde der Lawinenairbag in der Branche belächelt, heute ist es eine anerkannte Notfallausrüstung für Tourengeher und Extremskifahrer. Wie es dazu kam, ist eine Geschichte von Hartnäckigkeit und Ausdauer - und die einer toten Gams.

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Mit der Gams nahm alles seinen Anfang. In den Siebzigerjahren geriet der bayerische Forstmeister Josef Hohenester in eine Lawine. Er wurde aber nicht verschüttet, sondern blieb glücklicherweise an der Oberfläche. Der Grund: Der Förster hatte an seinem Rucksack, den er auf dem Rücken trug, eine erlegte Gams befestigt. Durch das dadurch größere Volumen wurde er an der Oberfläche des Schneebretts gehalten - die Idee für einen Lawinenairbag war geboren.

Was Aschauer noch alles entwickelte

Der Oberförster forschte und experimentierte und ließ sich schließlich das Patent für den Prototyp des Lawinenairbags eintragen. Peter Aschauer, der seit mehr als 40 Jahren in Gräfelfing lebt, las davon im Handelsblatt. Er war selbst beim Heli-Skifahren in Kanada nur knapp einer Lawinenverschüttung entgangen und erwarb das zum Verkauf angebotene Patent. Es roch nach etwas Neuem, das auf den Weg gebracht werden wollte.

Ganz das Ding also von Peter Aschauer. Als junger Unternehmer hatte er schon mit anderen Produkten Erfolg. Da waren die weißen Straßenleitpfosten mit dem schwarzen Balken, die heute das Landstraßenbild in Bayern prägen und die seine Firma führend in Bayern vermarktete. Später hat er mit seinem Bruder eine mobile Toilette kreiert, sogenannte Hyclos - eine Edelversion des Dixi-Klos mit Spülung und Waschbecken. Die Häuschen kamen bei Konzerten von Michael Jackson und den Drei Tenören zum Einsatz, auch bei Nato-Manövern. Irgendwann war Zeit für Neues - die Lawinenairbags.

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Beim Termin zum 30. Geburtstag des Produktes zeigt er sich als geduldiges Fotomodell. Eine Eigenschaft, ohne die es den Lawinenairbag wohl nicht geben würde. Denn als Aschauer 1985 auf der weltweit größten Sportmesse "Ispo" mit seiner Firma ABS das erste Airbagsystem präsentierte, hat sich die Branche "totgelacht", erinnert er sich. Heute weiß er, dass es zu früh für das Produkt war. Die Technik funktionierte, aber das System war mit vier Kilo zu schwer und ließ sich nicht komfortabel tragen. Aschauer gab aber nicht auf, der feste Glaube an die geniale Idee trieb ihn weiter. Zeitdruck gab es keinen, der Verkauf der Leitpfosten lief parallel.

Wie der Rucksack funktioniert

Oben bleiben, darum geht es beim Lawinenabgang. Aschauer demonstriert das Lawinenphänomen am Besprechungstisch in Gräfelfing. Eine Lawine ist wie ein Granulat. Er schraubt den Plastikdeckel einer Wasserflasche ab, wirft ihn in sein Glas, schüttet Zucker hinein - der Deckel wird verschüttet. Ein paar zusätzliche Gemeinheiten hat die Lawine parat: Die Schneekristalle drücken den Körper zwar nach oben, doch der Skifahrer sinkt immer wieder zurück.

Um das zu verhindern, muss man das Volumen des Körpers erhöhen, erklärt Aschauer. Das gelingt durch die Luftkammern, die im Notfall auf jeder Seite mit 85 Litern eines Luft-Gas-Gemisches aufgeblasen werden. So erhält der Skifahrer Auftrieb und bleibt meist im Oberflächenbereich der Lawine.

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Erst gegen Mitte der Neunzigerjahre gelang Aschauer der entscheidende Durchbruch mit dem Produkt. In die technische Entwicklung hat er in all den Jahren "viele Ferraris investiert", sagt er lachend. Heute sind 33 Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigt, aus dem Leitpfostengeschäft ist er lange ausgestiegen.

Die Verwaltung sitzt an Aschauers Wohnort Gräfelfing, die Produktion der Airbagsysteme findet im niederbayerischen Gottfrieding statt. Die Firma vermarktet die Airbags inzwischen weltweit, von Neuseeland bis Nord- und Südamerika, für die kommende Skisaison wurden 20 000 Rucksäcke mit ABS-System produziert. Und Aschauer hat inzwischen viele renommierte Rucksackhersteller als Kooperationspartner gewonnen.

Aschauer ist jetzt 72 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er nicht, es gibt noch zu viel Spannendes zu entdecken. So kann man an der Schraube des Restrisikos, das bleibt, weil ein Mensch, der in Panik ist, rechtzeitig den Airbag auslösen muss, noch ein wenig drehen. Bevor Aschauer im Herbstgarten zur Demonstration des Airbagsystems am Griff zieht, so dass sich die Flügel entfalten, bestückt er den Rucksack. Er schiebt die Carbonpatrone hinein, schließt Reißverschlüsse. "Jetzt ist das Ding scharf", sagt er und schwingt sich das Gepäckstück auf den Rücken, "ein ganzes Leben passt in so einen Rucksack".

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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