"Götterdämmerung"-Premiere in München:Fukushima erreicht Wagners Götterwelt

Richard Wagners "Ring"-Finale mit Euro, Tsunami-Katastrophe und Sex-Appeal? Geht nicht? Doch! Andreas Kriegenburgs "Götterdämmerung" strotzt an der Bayerischen Staatsoper vor aktuellen Bezügen. Und das funktioniert sogar.

Oliver Das Gupta

Apokalyptisch beginnt Andreas Kriegenburgs "Götterdämmerung" am Samstagnachmittag an der Münchner Staatsoper: Projektionen von Nachrichtensendungen rahmen stumm die Bühne ein. Eine graue Riesenwelle rollt über Autos und Häuser; Feuer zucken in hölzernen Trümmern; undefinierbare Relikte einer zerstörten Stadt schwappen durchs Bild. Musik setzt ein. Die schicksalswebenden Nornen stimmen ihren ahnungsvollen Gesang an.

Fotoprobe Goetterdaemmerung

"Siegfried"-Darsteller Stephen Gould lenkt sein Boot auf einem Rhein aus Menschen.

(Foto: dapd)

Zwischen ihnen stapfen Gestalten in Schutzanzügen, kontrollieren Pässe, packen Kontaminiertes in Plastiksäcke, halten ihre Geigerzähler über kauernde Menschen. Reaktorblöcke im Atomkraftwerk Fukushima sind explodiert, ein Tsunami hat ganze Landstriche Japans verheert. Die Super-Katastrophe unserer Tage verquickt mit dem Untergang von Richard Wagners Götterwelt. Das ist eindrucksvoll - aber warum macht Andreas Kriegenburg das?

Zu Beginn des Jahres hat der Regisseur noch erklärt, "eher demütig mit dem Werk umzugehen", was heißen sollte, "dass wir uns eher von ihm als Künstler ernähren, als dass wir jetzt versuchen, einen künstlerischen Gegenentwurf auf die Beine zu stellen."

Entsprechend puristisch brachte er die ersten drei Ring-Opern an der Bayerischen Staatsoper auf die Bühne. Große Bilder, wenig Schnickschnack enthielten sein "Rheingold", "Die Walküre" und der "Siegfried". Dass sich Kriegenburg herausnahm, den irrwitzigen Walkürenritt mit einer wilden Tanzeinlage vorab zu karikieren, war gelungen und zugleich Grund für den Aufschrei mancher.

Aktuelle Bezüge gab es nicht - die hat sich Kriegenburg für die "Götterdämmerung" aufgehoben. Das Finale des "Rings" und zugleich Premiere der Münchner Opernfestspiele strotzt vor Verweisen ins Heute: Gunthers Hof ähnelt einem verglasten Atrium einer Konzernzentrale. Anzugträger hasten durch die Stockwerke, liefern Dokument A zu Abteilung B, bedienen Computer. Projektionen zeigen Edel-Boutiquen, wie sie in der nahen Maximilianstraße zu finden sind, dazu, übergroß, das Wort "Gewinn".

Inmitten der Szenerie räkeln sich die Chefs des Konzerns: Boss Gunther, Schwester Gutrune und Halbbruder Hagen als Turbo-Kapitalisten. Gelangweilt und in wahrhaft spätrömischer Dekadenz paffen sie Zigarren, lümmeln auf Sofas, zwingen Bedienstete zum Sex.

Der Konnex in die Gegenwart, den Kriegenburg spannt, überrascht und verwirrt. Aber hat nicht auch Wagner selbst einen Bruch in seinem "Ring"? Unterscheiden sich nicht "Rheingold" und "Walküre" deutlich von der zweiten Hälfte der Tetralogie?

Kriegenburgs "Götterdämmerung" mag etwas schief sein, aber sie funktioniert doch, den großartigen Sängern sei Dank. Zwar kommt "Siegfried"-Darsteller Stephen Gould weder in Erscheinung noch in Sanges-Leistung an Lance Ryan heran, der in den Helden im dritten Teil des "Rings" verkörperte.

Warum die Premiere beinahe platzte

Die übrigen Partien sind bestens besetzt: Wolfgang Koch gibt erneut den Alberich und trichtert seinem Sohn Hagen seine diabolischen Gedanken ein an das Gold in Ringform zu kommen. Herrlich zerrissen zwischen Geilheit, Angebertum und Gewissensbissen singt Iain Paterson den Gunther - er hätte mehr Applaus verdient gehabt.

Gutrune Goetterdaemmerung Anna Gabler

Gelangweilt und in wahrhaft spätrömischer Dekadenz: Anna Gabler als Gutrune

(Foto: dapd)

Lüstern wippt Anna Gabler als Gutrune auf einem güldenen Euro-Zeichen auf der Bühne - selten verströmte die ramponierte Währung so viel Sex-Appeal wie an Gunthers Hof. Man hätte gerne gewusst, was sich bei diesem Anblick der im wahren Leben mit Euro-Bonds und Rettungsschirmen arg beschäftige Horst Seehofer dabei denkt. Der bayerische Ministerpräsident sieht aus der Königsloge zu.

Besonders umjubelt ist an diesem Abend Nina Stemme als Brünnhilde. Wie sie die betrogene, rächende und schließlich wieder liebende Brünnhilde singt, ist große Kunst. Dass sie über die volle Zeit gegen das Spiel des Staatsorchesters ankommt, ist Stemmes Stimmvermögen ebenso zuzurechnen wie dem aufmerksamen Dirigat von Kent Nagano.

So endet nun also Kriegenburgs "Ring" überraschend. Diejenigen, die sich darauf gefreut hatten, dass er erneut Menschen als Teil des Bühnenbild einsetzen oder eine Verbindung herstellen würde zu Spencer Tunicks spektakulären Foto-Session mit hunderten Nackten auf dem Platz vor der Oper, wurden enttäuscht.

Die meisten Zuschauer im Nationaltheater klatschen trotzdem eifrig, als Kriegenburg am Ende auf die Bühne kommt. Die Erleichterung auf seinem Gesicht weist darauf hin, dass er wohl selbst mit mehr Buhs rechnete.

Dem größten Applaus erhält allerdings neben Brünnhilde der den Hagen mimende Eric Halfvarson. Der amerikanische Bass meuchelt Siegfried nicht nur in überzeugender Niedertracht, sondern macht die Premiere erst möglich: Zwei Hagens sagten wegen entzündeter Stimmbänder ab, deshalb flog Halfvarson mittags aus Wien ein: "Er ist quasi mit dem Fallschirm abgesprungen, um uns zu retten", sagt Opernintendant Nikolaus Bachler vor der Vorstellung.

Und so zeigt sich Halfvarson danach demonstrativ erleichtert: Er verbeugt sich, grinst ins Publikum - und wischt sich scherzhaft den Schweiß von der Stirn. Das Publikum lacht. So lustig endete eine "Götterdämmerung" selten.

Lesen Sie am morgigen Montag die ausführliche SZ-Opernkritik der Premiere der "Götterdämmerung" bei Süddeutsche.de oder in der gedruckten SZ.

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